Meduza-Auswahl 8. bis 14. Juni: Gewappnet gegen „westliche Werte“

In Russland wird ein Gesetz gegen die Selbstbestimmung in Kraft treten. Exilmedien sammeln Spenden für Kriegsgegner. Texte aus dem Exilmedium.

Eine Frau schütz sich mit Hilfe einer russischen Fahne vor der Sonne

St. Petersburg, 12. Juni: Frau mit Fahne am Tag Russlands Foto: Dmitri Lovetsky/ap

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 8. bis 14. Juni 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Gegen die westliche Anti-Familien-Ideologie

Die russische Staatsduma bereitet ein Gesetz vor, das trans-, inter* und nichtbinären Menschen unter anderem vollständig verbieten soll, ihren Geschlechtseintrag in offiziellen Dokumenten zu ändern. Als Begründung geben die Gesetzgeber an, Russland „mit seinen kulturellen und familiären Werten und traditionellen Grundlagen für künftige Generationen retten“ und „gleichzeitig eine Barriere gegen die westliche Anti-Familien-Ideologie errichten“ zu wollen.

In diesem Bericht sammelt Meduza Stimmen von Menschen in Russland, die von diesem neuen Gesetz direkt betroffen sind (englischer Text).

Nate (24) erzählt von einer Erfahrung in Sankt Petersburg: Dort gebe es eine besondere Praxis. Man dürfe zwar darf den Vor- und Nachnamen ändern, nicht aber den patronymischen Familiennamen. Der ist eine Besonderheit im Russischen. Dafür wird der Vorname des Vaters übernommen und mit einer klaren männlichen oder weiblichen Endung ergänzt. Bleibt dieser Familienname im Pass, ist auch die Geschlechtszuordnung unveränderbar.

Sascha (19) sieht im neuen Gesetz „eine effektive Art, vielen Menschen die Zukunft zu verbauen“, wenn sie es bis jetzt nicht geschafft haben, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen und ihre Papiere zu ändern.

Spenden-Marathon für Kriegsgegner

In Solidarität mit den politischen Gefangenen in Russland und mit allen Gegnern des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine fand am Montag, 12. Juni, ein Medienmarathon statt. Der Tag wurde nicht zufällig gewählt, denn seit 1994 feiert die Russische Föderation an diesem Datum offiziell den Tag Russlands. Am 12. Juni 1990 hatte der erste Kongress der Volksdeputierten der RSFRSR die Deklaration der staatlichen Souveränität der RSFRSR angenommen. Genau ein Jahr später hatten die ersten freien Präsidentschaftswahlen in Russland stattgefunden. Allerdings hat dieser Tag für die Bevölkerung weniger Bedeutung als der 9. Mai, der „Tag des Sieges“.

Den ganzen Tag nahmen unabhängige russische Medien, die im Exil arbeiten, daran teil – unter anderem Doschd, Meduza und Mediazona, istories.media, The Insider und Holod. Ziel war es, Spenden zugunsten der politischen Gefangenen und ihrer Familien zu sammeln. Als Hashtag der Kampagne wurde #youarenotalone (#тынеодин) benutzt, damit die Aktion die Öffentlichkeit und die sozialen Medien erreicht. In diesem Bericht kann man zusammenfassende Videos des Medienmarathons sehen (russischer Text). 34 Millionen Rubel (umgerechnet 375.627,31 Euro) wurden gesammelt.

Russische Juristen befürworten ein Sondertribunal

Mitte März erließ der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag einen Haftbefehl gegen Wladimir Putin wegen illegaler Kinderverschleppung aus den von der russischen Armee besetzten Gebieten der Ukraine nach Russland. Allerdings hat Russland das Römische Statut nicht ratifiziert, daher erkennt Moskau die Zuständigkeit des Gerichts nicht an.

Mittlerweile haben sich mehrere Vertreter der Europäischen Union (EU) und der Vereinigten Staaten der Initiative von Wolodimir Selenski angeschlossen, ein Sondertribunal zur Untersuchung und Verfolgung des Verbrechens der russischen Aggression auf die Ukraine errichten.

Nun haben sich sechsundzwanzig russische Juristen, Rechtsgelehrte und Menschenrechtsaktivisten in einer Erklärung Anfang Juni zusammengeschlossen, um den Vorschlag von Selenski zu unterstützen. Ihre “Brüsseler Erklärung“ hat Meduza in voller Länge zusammen mit der Liste der Unterstützer veröffentlicht (englischer Text).

Die komplexe Geschichte von Belgorod, an der Grenze

In einem Gastbeitrag für Meduza (englischer Text) schreibt Matthew Light, außerordentlicher Professor am Zentrum für Kriminologie und soziojuristische Studien der Universität Toronto, über seine Erfahrung als Doktorand in den Jahren 2005 und 2006 in der russischen Stadt Belgorod und in der Region Krasnodar, an der Grenze zu Ukraine.

„Als ich von Moskau aus zu meiner Feldforschung aufbrach, hatte ich keine Ahnung, dass Belgorod oder Krasnodar historische Verbindungen zur benachbarten und mir noch unbekannten Ukraine hatten“, beginnt er den persönlichen Text.

„Starke öffentliche Kritik an der Politik oder den Beamten war nicht erwünscht. Mit anderen Worten: Es gab keine echte politische Opposition“, berichtet Light, der damals Fälle von Unterdrückung rechtsextremer Gewalt gegen ethnische Minderheiten beobachtet hat.

Zudem beschreibt Light die historischen Beziehungen zwischen Belgorod und Charkiw, ebenso wie ihre unterschiedlichen Entwicklungen. „Es besteht kein Zweifel daran, dass die gemischte ukrainisch-russische Identität der Belgorod-Region heute hauptsächlich eine historische Kuriosität ist. Ukrainisch hat keinen offiziellen Status und wird mindestens seit den 1930er Jahren nicht mehr im öffentlichen Unterricht verwendet. Während Charkiw tatsächlich (wenn auch nicht offiziell) zweisprachig ist, ist Belgorod sowohl rechtlich als auch in der Praxis monolingual.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.