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Deutsches Stromnetz in der EnergiewendeWattzahlen allein zählen nicht

Bernward Janzing
Kommentar von Bernward Janzing

In Deutschland können noch so viele Windräder gebaut werden. Ohne Ertüchtigung des Stromnetzes wird es mit der Energiewende auch so nichts.

Auch auf den Stromleitungsbau wird es in der Energiewende ankommen Foto: Christian Charisius/dpa

W ie jedes Halbjahr hat die Windbranche wieder ein umfassendes Zahlenwerk über den Anlagenzubau vorgelegt – zufrieden ist sie damit natürlich nicht. Der Zubau von Windrädern an Land, so formuliert die Lobby, sei „hinter den Erfordernissen für die sichere Erreichung eines Ausbauziels von 115 Gigawatt im Jahr 2030“ zurückgeblieben.

Neu aufgestellte Megawatt – für eine Branche sind das naturgemäß entscheidende Zahlen. Will man jedoch aus einer übergeordneten Perspektive beurteilen, wie es mit der Energiewende vorangeht, ist das nur ein Aspekt von vielen. Denn an anderer Stelle hakt es noch gewaltiger: Immer öfter reichen die Netze nicht mehr aus, um den wetterabhängig erzeugten Strom vollumfänglich aufzunehmen. Immer mehr Energie aus Windkraft und zunehmend auch aus Photovoltaik muss in der Folge abgeregelt werden.

Trotzdem hat man in der Energiewende-Debatte den Eindruck, als hinge der Erfolg der Energiewende alleine am Ausmaß des Anlagenzubaus. Eine gefährliche Kurzsichtigkeit. Wenn wir die Windkraft von heute 59 Gigawatt bis in sieben Jahren verdoppeln und die Photovoltaik von heute 72 Gigawatt verdreifachen wollen, müssen wir endlich darüber reden, was das für die Stromwirtschaft bedeutet.

Wir müssen diese Debatte einerseits technisch führen, also die Frage beantworten, wie ein Netz mit 330 Gigawatt summierter Solar- und Windleistung stabil zu managen sein wird. Ausreichend Speicher dürfte es dafür auch 2030 noch nicht geben.

Ökonomischer Kannibalismus

Wir müssen die Debatte zudem ökonomisch führen. Schon in den vergangenen Wochen fiel der Börsenstrompreis mittags immer wieder auf null oder sogar satt ins Negative. Bei 215 Gigawatt Photovoltaik, wie sie die Bundesregierung für 2030 anpeilt, wird Solarstrom, sobald die Sonne landesweit scheint, nichts mehr wert sein. Gleichermaßen wird der Windstrom wertlos sein, wenn es ordentlich bläst. Ökonomisch werden sich die Anlagen also kannibalisieren. Soll das dann der Staat auffangen? Viele Fragen also – abseits der reinen Megawattzahlen.

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Bernward Janzing
Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen.
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20 Kommentare

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  • Der letzte Abschnitt gefällt mir so gar nicht. Statt hie "ökömomischnen Kannibalismus" zu bejammern und und von offenen Fragen zu reden, könnten eben diese Frage doch mal gestellt werden:



    - Wo bleiben umfassende Konzepte zur Energiespeicherung?



    - Warum werden keine neuen Pumpspeicherwerke gebaut? Mögliche Standorte gibt es wohl.



    - Wo bleibt die Wasserstoff-Initiative? Chemie und Düngerwerke produzieren immer noch Wassersoff aus Erdgas.



    - Wo sind die Angebots-orientierten variablen Stromtarife? z.B.: Solar-Überschusstarife für Industriem Haushalte und e-Ladesäulen.



    - u.s.w.

    Jede Menge Fragen, die man doch mal aufschreiben und immer wieder stellen sollte.

  • Die Batterie- Technologien machen viele Fortschritte. Die werden billiger und können in großen Mengen produziert werden.



    Vielleicht dauert es auch bis 2035, aber dann sollten Batterie- Pufferspeicher zum Standard gehören.

    • @Christoph Strebel:

      Die erforderlichen Speicherkapazitäten und -kosten werden regelmäßig unterschätzt. In D gibt es z.B. Gasspeicher für 250 TWh, und wir zitterten letzten Winter, ob die wohl auch ausreichen. Wir hatten Glück, der Winter war mild.



      Wie (und zu welchem Preis) wollen Sie diese durch Akkus ersetzen?



      Beispielrechnung: In ein 200 l-Rollsickenfass (Preis ca. 150 €) gehen 2000 kWh in Form von Biodiesel oder E-Fuel rein. 1 kWh Akkukapazität kostet in billigster Form (Blei) ca. 150 € - Faktor ca. 2000, in Worten zweitausend.



      Da können Akkus um einen Faktor von 10 billiger werden - sie sind dann immer noch 200 mal teurer ais das Rollsickenfass.

  • Speicher und Digitalisierung sind das Schlüsselwort. Es werden doch jetzt in D Speicher mit über 200 MW angekündigt. Die Heimspeicher müssen natürlich auch steuerbar sein mit Smart Metern. In NL ist das schon der Fall, dort haben wir auch variable Stromtarife. Mittags ist der Strom dann billiger, dann kann die Industrie mehr produzieren und das E-Auto lädt. Wenn es aber zehn Jahre dauert bis wir smart Meter haben, dann gute Nacht. In den NL wurden die schon vor Jahren installiert. Warum ist das hier so schwierig? Habe auch eine PV-Anlage in NL installieren lassen. Schnell und günstig. Auch V2G also dass E-Autos Strom zur Verfügung stellen muss man ermöglichen. Das läuft teilweise in NL auch schon. H2 kann man auch lokal speichern. Wir müssen mal langsam in die Gänge kommen und nicht immer nur meckern.

    • @Surfbosi:

      In NL läuft im Energiesektor einiges besser. z.B.: Gehören die Netzbetreiber dort dem Staat.



      Und es kommt noch wilder: Die niederländische Staatsfirma Tennet besitzt auch deusche Stromnetze. So bezahlen wir in einigen Bundesländern bis zu 8 Cent/kWh an die Niederländer.



      Das ist wieder mal Energiegeld, dass ins Ausland abfließt. Gleichzeitig wird bei uns der Handlungsspielraum eingeschränkt.

  • Ökonmischer Kannibalismus? Wer kann mich schlau machen, wo das Problem ist? Wenn zeitweise Energie im Überfluss da ist, werden sich die Verbraucher darauf einstellen. Z.B. Intelligente Wallboxen etc. Außerdem ist das dann der Moment wo die heißdiskutierten E-fuels produziert werden könnten...und schon gibt's wieder Nachfrage....

  • Sehr schöner Beitrag, der verdeutlicht, wie die Energiewende in ihrer Komplexität viel zu häufig unterschätzt wird. Wollen ist nicht gleich Können.

  • Die Energieerzeuger haben aber kein Interesse am Netzausbau und Speichern, weil Sie an EE-Überproduktion und der gleichbleibend hohen Braunkohleverstromung gut verdienen. EE-Ausbau ohne Speicher ist erfolgreiches greenwashing und verhindert zugleich den Kohleausstieg.

    Von daher fördert man die Erzählung dass die Speicherproblematik technisch gelöst sei und wir sie nur noch nicht brauchen. Tatsächlich bräuchten wir große Speicher schon längst, es ist nur keine praktikable Lösung in Sicht.

    • @Descartes:

      Ich fürchte, da ist was dran. Es wäre die Aufgabe der Regierung, dem etwas entgegen zu setzten,



      Es gibt aber ein Problem: Energieversorger sitzen an einem recht langen Hebel. Erpressung fällt ihnen nicht schwer. Und das nicht nur mit dem leidigen "da fallen aber Arbeitsplätze weg".

  • Aus diesem Grund muss der Energiesektor verstaatlicht werden. Warum privaten Unternehmen Geld für wertloses Zeug zahlen.

    • @JanD:

      Ich würde die Erzeuger da ausnehmen. Es ist die Infrastruktur, die in die öffentliche Hand gehört! Bei den Autobahnen ist das der Fall, warum nicht beim Strom?



      So kann auf Erzeugerseite weiter die Marktwirtschaft funktionieren, während monopolistische Strukturen im Bereich der Netze unterbunden würden.



      Marktwitschaft ist nicht wirklich schlecht: Erinnern wir uns an die Telefonkosten vor 40 Jahren...

      • @Jörg Schubert:

        das mit den Telefonkosten ist wohl eher ein Verdienst der oft grschmähten europäischen Regulierung

  • genau das kommt dabei raus, wenn asoziale - hier nachweislich neoliberale von cdu/fdp/spd - auf sozial tun ... aber weder das ausreichende wissen noch die ausreichende interressen für das allgemeinwohl mitbringen.

    wir zahlen mittlerweile milliarden für die abregelung. das ist ein asozialer reaktionismus par excellence und entspricht ungefähr den selben repressiven toleranzen wie bei lebensmitteln und medikamenten, die wir tagtäglich wegwerfen obwohl anderorts die leute verhungern.

    der ganz normale wahnsinn von asozialen ideologien und ihren gläubigern / aktionären, die weiterhin die sozial begrenzte kontrolle ausüben über die ressourcen, politik und die ökonomie!



    selbstverständlich wird da nicht so weit gedacht, sonst müssen wir doch noch was ändern und sozial anpassen ... oh nein ... wie furchtbar ... lieber gleich stillstand wählen und mauern bauen (cdu/afd ... höchstens fdp/spd ... alles anderen sind bekloppte, straftäter und neidische verbrecher)!

    wer brauch schon solarstrom, halbeiter, regionale saubere agrarwirtschaft, wohungsbau für die massen, bildung und lehrer für fachkräfte, soziales steuersystem oder gesundheitssystem, soziale gerechtigkeit ... nein .... brauchen wir nicht, wir haben die tollen ideen von cdu und spd ... unsere allwissenden volksparteien, die weiter das land und die kompetenzen vor sich hinsiechen lassen und lieber milliarden an asoziale unternehmensberater und lobbyverbände, sowie asoziale banken und großproduzenten ausgeben, als für die bürger, verbände und die wissenschaft!

    ... ach so ja, und sozial effiziente energienetze und -gesetze.

  • Bei 215 Gigawatt Photovoltaik, wie sie die Bundesregierung für 2030 anpeilt, wird Solarstrom, sobald die Sonne landesweit scheint, nichts mehr wert sein. Gleichermaßen wird der Windstrom wertlos sein, wenn es ordentlich bläst. Ökonomisch werden sich die Anlagen also kannibalisieren. Soll das dann der Staat auffangen?



    ----



    Nein! Wir müssen den verwerten.



    Das Solar & Windstrom volatil sind. ist bekannt. Das der gespeichert werden muss auch.



    D.h. doch logisch & ökonomisch, Kurz-, Mittel- & Langfrist-Speicher müssen auch gebaut werden.



    Erneuerbare Energie zu ernten ist das EINE. die durch Netze zu bringen, das ANDERE, doch das o.a. Zwischen-Puffern das DRITTE!



    Sonst bleibt jede Energiewende Stückwerk!



    Jeder 5 jährige weis heute das sein E-Auto zum Spielen ohne einen Satz "Batterien/Akkus = Energiespeicher" nur ein kurzes Glück ist!



    Das sollten "Erwachsenen" doch auch auffallen!



    Besonders wenn SIE. Zitat:



    "Fachjournalist mit Schwerpunkt Energie und Umwelt seit 30 Jahren. Naturwissenschaftler - daher ein Freund sachlicher Analysen. ..."!



    sind, da reicht ein Satz (slebst als Link) um Abspann nicht, denn die Leser müssen mit der Nase darauf gestoßen werden,(1) wo es weiter gehen kann & soll! :-((



    Brummt Sikasuu



    .



    (1) Platzprobleme, wie im Print. sollten doch im WWW nicht das Problem sein?

  • "Immer mehr Energie aus Windkraft und zunehmend auch aus Photovoltaik muss in der Folge abgeregelt werden."



    Das ist in jedem (auch fossilem) Stromnetz so: Es wird eine Überkapazität an Kraftwerksleistung vorgelegt, die dann auf den tatsächlichen Bedarf heruntergeregelt wird. Das geht rein physikalisch gar nicht anders.



    Das Problem von PV und Wind ist nicht, dass manchmal abgeregelt werden muss. Das Problem ist, die Löcher zu stopfen, wenn das Angebot an PV und Wind dürftig ist. Weshalb man zuvörderst vermeiden sollte, die Löcher durch nicht weglastmanagebare Grundlast noch zu vertiefen.

  • Grosse Verteilungsnetze von Nord nach Süd sind natürlich in einer nach wie vor auf Grosserzeugern fixierten Netzbetreibergemeinde und Politik zu bevorzugen und von allen Stromkunden zu bezahlen. Ein zukunftsweisender Umbau, lokale bzw. regionale Industriegrossverbraucher mit als Puffer ausgelegten Anlagen oder Ladeinfrastruktur die das Laden von E-Autos am jeweiligen Standort (z.B. Arbeitsplatz) zu Spitzenerzeugungszeiten ermöglicht darf daher nicht gefördert werden und ist ebenso abzulehnen wie regional nach Herstellungs- und Transportkosten berechnete Stromtarife.



    Nur so kann ein erfolgreicher Umbau dauerhaft verhindert werden.

  • "Auch auf den Stromleitungsbau wird es in der Energiewende ankommen" ? Das meint der Autor doch nicht ganz ernst. Wo soll der Strom den hin, bei 215 Gigawatt Solarleistung? Zufällig ist es in Europa mehr oder weniger überall gleichzeitig hell. Also werden uns die Nachbarn auch mit überschüssigem Sonnenstrom beliefern wollen. Energiespeicherung scheint mir der fehlende Baustein der Energiewende. Am besten alles dezentral und vor Ort. Grüne Stromquellen (Solar/Wind/Wasserkraft) und Energiespeicherung incl. Abwärmenutzung an jeder Ortsnetzstation, jedem Umspannwerk, jedem Mittespannungstrafo. Gegen die angesprochene Kannibalisierung hilft vielleicht die Vergesellschaftung aller Energienetzbetreiber zu einem, dem Gemeinwohl verpflichteten Akteur, der den Produzenten von grünem Strom fixe Abnahmepreise und Abnahme garantiert. Dafür darf dieser Akteur dann auch die netzdienlichen Speicher in der notwendigen Menge in seinem Netz betreiben. So wie der Energiemarkt jetzt designt ist, wird das nichts mit der Energiewende.

  • "Eine gefährliche Kurzsichtigkeit. Wenn wir die Windkraft von heute 59 Gigawatt bis in sieben Jahren verdoppeln und die Photovoltaik von heute 72 Gigawatt verdreifachen wollen, müssen wir endlich darüber reden, was das für die Stromwirtschaft bedeutet."

    Sind es nicht eher 72 Megawatt Photovoltaik?



    Erscheint mir Recht viel. Im Vergleich zur Windkraft...

    • @Lukas Norden:

      Gerade nochmal geguckt, es sind wohl doch Gigawatt, aber der Windkraft anteil bezieht sich nur aufs Onshore Anlagen?

      Das es deutlich mehr Photovoltaik, als Windkraft geben soll, überrascht mich jedenfalls.

      • @Lukas Norden:

        Doch, das stimmt schon, Photovoltaik hat Windkraft längst überholt, zumindest was die installierte Maximalleistung betrifft, die durchschnittliche Jahresleistung ist dann wieder was anderes…

        Aber im Sommer bei dem Wetter natürlich nicht zu vernachlässigen: Wir hatten in den letzten dreißig Tagen einen regenerativen Stromanteil von 68%, das wäre ohne Photovoltaik kaum zu schaffen…