Solardächer in der Landwirtschaft: Mauerblümchen unter den Ökoenergien
Landwirte experimentieren mit Solardächern über Weiden und Feldern. Oben Strom, unten Pflanzen. Auch die Firma Sunfarming ist dabei.
Schrum, leuchtend blaues Jackett, grüner, schräg sitzender Hut, hanseatisch klingend, ist Miteigentümer des Solarenergie-Unternehmens Sunfarming. Hier in Rathenow an der Havel, 90 Kilometer westlich von Berlin, präsentiert er, welchen Effekt Photovoltaikmodule neben der Stromerzeugung auch haben können: Sie helfen der Landwirtschaft.
Das Stückchen Wiese, über das sich die kleine Kuhherde gerade hermacht, ist quasi überdacht. Die Solarenergieplatten sind in einer Höhe von ungefähr 1,80 Meter bis 2,50 Meter schräg montiert. Sie fangen nicht nur Sonnenstrahlen auf, sondern auch heftigen Regen – und verteilen ihn mittels Rinnen gleichmäßig über die Wiese. Außerdem spenden sie Schatten gegen starke Hitze, was die Verdunstung der Feuchtigkeit im Boden verlangsamt. Das ist ein Grund, warum alles besser wächst, als wenn die Wiese der Sonne so schutzlos ausgesetzt wäre wie das Landstück jenseits des Zaunes.
Aus Strom und landwirtschaftlichem Ertrag kann also doppelter gewonnen Nutzen werden. Grundsätzlich. Doch noch sind die sogenannten Agri-PV–Solarmodule über Äckern, Weiden, Plantagen oder Gemüsebeeten ein Mauerblümchen unter den Ökoenergien. Bislang sind genutzte Flächen und Stromertrag sehr gering. So gibt das Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg die installierte elektrische Leistung der Agri-PV mit rund 19 Megawatt (Millionen Watt) in ganz Deutschland an. Zum Vergleich: Die Gesamtleistung der hiesigen Solaranlagen beträgt mittlerweile etwa 70 Gigawatt (Milliarden Watt).
27 Anlagen bereits in Betrieb
Der Chef von Sunfarming will das ändern. Deshalb gibt es die Forschungs- und Entwicklungsanlage in Rathenow. Hier wachsen unterschiedliche Pflanzen unter diversen Arten von Solardächern. Die Firma probiert aus, unter welchen Bedingungen Apfelbäume, Himbeeren, Kohlrabi, Wein, Tomaten, Mais oder Kartoffeln am besten zurecht kommen. Wie viel Licht und Regen müssen die Solarmodule durchlassen, welcher Neigungswinkel und welche Höhe sind optimal? Letzteres ist auch wichtig, weil sich die Anlagen auf Bauernhöfen und in Gartenbaubetrieben bewähren müssen. Die Konstruktionen sollen so gestaltet sein, dass Maschinen darunter hindurchfahren können.
Inzwischen geht die Entwicklung etwas schneller voran als früher. Laut ISE sind bundesweit momentan 27 Forschungs- und Praxisanlagen in Betrieb, aber weitere 38 in Vorbereitung. So wagen sich in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen Landwirte beispielsweise an die Viehhaltung unter Photovoltaik heran, in Rheinland-Pfalz wird mit dem Anbau von Äpfeln und Wein experimentiert.
Der Fortschritt mag auch damit zusammenhängen, dass die Bundesregierung im vergangenen Jahr einige Gesetzesänderungen vorgenommen hat. Auf dem Weg zur Klimaneutralität 2045 soll sowieso der Anteil der erneuerbaren Energien massiv steigen – aber auch die landwirtschaftliche Produktion von Solarstrom einen größeren Beitrag leisten. Eine neue Regelung im Baugesetz ermöglicht deshalb jetzt, dass bestimmte landwirtschaftliche Solaranlagen ohne die normalen, jahrelangen Genehmigungsverfahren errichtet werden können. Außerdem erhält Agri-PV eine zusätzliche öffentliche Förderung von 1,2 Cent pro Kilowattstunde Strom, um die Kosten für die Aufständerung der Module in mehreren Metern Höhe zu kompensieren.
Dieser neue Anschub sei gut, reiche aber nicht, erklärte Geschäftsführer Schrum am Dienstag. Die Förderung solle auf bis zu zwei Cent angehoben werden. Der Adressat der Botschaft war mit zwei schwarzen Limousinen aus Berlin angereist. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollte sich in Rathenow über Potenziale und Fortschritte der landwirtschaftlichen Solarenergie informieren.
Bauernverband unterstützt Agri-PV
Einerseits war er von dem Konzept angetan, andererseits hielt er den Ball flach, was zusätzliche Unterstützung betrifft. Bei der finanziellen Förderung der erneuerbaren Energien müsse man die Balance wahren zwischen den Interessen der Energiefirmen und der Stromkunden, sagte Habeck. Letztere bezahlten schließlich die Förderung mittels Aufschlägen auf ihre Strompreise.
Die Forderung nach mehr Geld und erleichterten Bedingungen für die Agri-PV unterstützt auch der Deutsche Bauernverband. Denn die doppelte Nutzung verringert die Flächenkonkurrenz. Landwirte müssten sich nicht zwischen den Alternativen Agrar- und Stromproduktion entscheiden. Beides ist gleichzeitig möglich – höhere Erträge pro Hektar inklusive.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben