Schweiger und die Folgen: Gefeuert gehört das System

Die Debatte um Grenzüberschreitungen von Kulturpromis verdeckt: Zu viele fühlen sich pudelwohl im Klima der Angst. Denn sie profitieren davon.

Til Schweiger im Profil

Regisseur und Schauspieler Til Schweiger wird nach einer „Spiegel“-Recherche Machtmissbrauch vorgeworfen Foto: dpa

Til Schweiger wurde outgecallt. Das Öffentlichmachen von missbräuchlichem Verhalten ist notwendig und extrem mutig von denjenigen, die das Schweigen brechen. Dank ihnen sprechen wir also seit einigen Tagen wieder über Machtmissbrauch im Kulturbetrieb. Diesmal eben beim Film – doch die Parallelen zu den regelmäßigen Enthüllungen am Theater sind deutlich. „Klima der Angst“? Das kennen wir doch irgendwoher.

Die Wiederholungen werfen Fragen auf: Warum fällt es uns so schwer, für ein besseres Arbeitsklima einzustehen, Missbrauch zu melden und uns gegen Gewalt zu stellen? Auf unterer Ebene geht es auch um Existenzangst. Doch einige Kol­le­g*in­nen oder gar Verantwortliche in Produktionsfirmen oder der Kulturpolitik müssen sich die Frage stellen lassen, wie stark Karrierismus, Geld- und Machthunger ausgeprägt sind, um diese ausbeuterischen Verhältnisse weiterhin zu dulden oder gar zu fördern. Zu viele fühlen sich pudelwohl im Klima der Angst – sonst würden sie sich für einen Klimawandel einsetzen.

Das ist einer der kritischen Punkte von Call-out-Culture: Es sollte nicht um Einzelfälle ­gehen oder darum, ob dieser eine prominente Kopf rollt oder nicht. Wir sollten den Anlass nutzen, um die Strukturen zu analysieren, strukturelle Probleme zu benennen und dann auf allen involvierten Ebenen nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Geniekult, Starkult und eine Gesellschaft, in der diejenigen als cool gelten, die besonders hart und erfolgreich sind, statt jener, die besonders freundlich und fürsorglich sind, führen dazu, dass gewaltsames Verhalten zu spät als solches erkannt und benannt wird.

Wenn prominente Personen outgecallt werden, wenn auch denjenigen Grenzen aufgezeigt werden, die berühmt oder mächtig sind, dann wird das Signal gesendet, dass man sich auch in hohen Positionen nicht alles erlauben kann. Es nimmt hoffentlich Tä­te­r*in­nen das Gefühl, unantastbar zu sein.

Es gibt Hoffnung

Dass Betroffene sich solidarisch zusammenschließen und sich an die Presse wenden, ist ein großer Gewinn für alle. In einem Gefüge aus Netzwerken und Beziehungen, in dem sich Arschlöcher gegenseitig decken und befördern und dann auch noch behaupten, sie täten das für die Kunst, ist es nicht nur sehr erfrischend, Gegenstimmen zu hören – diese Gegenbewegung gibt Hoffnung, dass Menschen im Betrieb, aber auch das Publikum sich in Zukunft dafür einsetzen werden, dass auch Kunst fair produziert wird.

Wichtig ist, genau hinzuschauen, was nach jedem Call-out passiert, welche nächsten Schritte ergriffen werden. Die Arbeitsbedingungen im Kulturbetrieb müssen auch dann Aufmerksamkeit bekommen, wenn es keine sensationellen Enthüllungen gibt. Die großen Gehaltsgefälle, die Abhängigkeiten, die starren Hierarchien – alles, was Machtmissbrauch begünstigt, muss hinterfragt werden. Gefeuert gehört ein System. Nicht nur eine einzelne Person.

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Simone Dede Ayivi ist Autorin und Theatermacherin. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim. Aktuell arbeitet sie zu den Themen Feminismus, Antirassismus, Protest- und Subkultur.

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