Debatten innerhalb von Safer Spaces: Ohne Streit geht nichts voran
Der Kampf gegen rechte Trolle nimmt den Raum für kritischen Diskurs innerhalb der eigenen Community. Dabei ist gerade der am wichtigsten.
Was führt Menschen aus marginalisierten Gruppen in die Strukturen einer Community – und in sogenannte Safer Spaces? Neben der Suche nach politischen, solidarischen Gemeinschaften im Kampf gegen Diskriminierung ist es oft der Wunsch nach Zugehörigkeit und Verständnis. Auch für mich war die Vorstellung von Schwarzen Räumen erst mal eine von Zusammenhalt: Ruhe vor dem rassistischen Draußen, die Möglichkeit, zu entspannen und Kraft zu finden. Das war meine Fantasie. Nach einem Ort für noch mehr Konflikt und Konfrontation habe ich mich nicht gesehnt.
Aber ein Raum, um Differenzen untereinander anzusprechen und zu streiten, ist wichtig. Ohne diese Debatten kommen wir nicht weiter. Doch es ist kompliziert: In sozialen Netzwerken ist es für Betroffene und deren Verbündete kaum noch möglich, produktiv miteinander zu diskutieren, weil das Gebrülle und Getrolle von Rechts zu laut ist. Ich lösche auf Instagram viele Kommentare, die ich als destruktiv oder der Diskussion nicht zuträglich empfinde, damit Betroffene sich nicht die ganze Zeit daran abarbeiten müssen – sondern in einen konstruktiven Austausch miteinander treten können, der gerne auch kontrovers werden kann.
Vielstimmigkeit wird unterdrückt
Doch durch die rechten Attacken der letzten Jahre werden viele Netzaktivist*innen leiser. Der Druck ist so stark, dass viele Stimmen verstummen, die ich sehr gerne hören würde. Stimmen, deren Klang sich in den letzten zehn Jahren erst so richtig zu entwickeln begonnen hat, oder es wird sich eben an konservativen und rechten Talking Points abgearbeitet, statt eigene Diskussionen zu führen und Konflikte auszutragen. So wird Vielstimmigkeit innerhalb marginalisierter Communities unterdrückt. Wenn ein Raum abwehrend reagiert, sobald rassistische Strukturen benannt und thematisiert werden, halte auch ich oft zur einzigen anderen Schwarzen Person auf dem Podium – auch wenn ich ihr in einzelnen Punkten nicht zustimme.
Auch, wenn wir uns nach außen gemeinsam verteidigen müssen, müssen wir nach innen unsere Unterschiede nicht unter den Teppich kehren. Diversität und Meinungsvielfalt innerhalb einer Community anzuerkennen ist notwendig um voneinander zu lernen, unsere Themen voranzutreiben und miteinander zu wachsen. Es hilft uns als Gruppe und jeder einzelnen Person beim Finden der eigenen Haltung und Stimme.
Ich verstehe die Angst vor Spaltung: Wenn man doch schon eine Minderheit ist, dann müssen doch alle zusammenhalten, oder? Ich glaube, dass politische Positionen ausgehandelt werden müssen. Es hilft, zu erkennen, dass wir neben einer geteilten Diskriminierungserfahrung auch Individuen sind, die sich mehr oder weniger gut verstehen. Das schützt vor Enttäuschungen. In einem Safer Space ist nicht alles harmonisch. Differenz auszuhalten, ist auch eine Form von Zusammenhalt.
Leser*innenkommentare
White_Chocobo
"Ich verstehe die Angst vor Spaltung: Wenn man doch schon eine Minderheit ist, dann müssen doch alle zusammenhalten, oder? Ich glaube, dass politische Positionen ausgehandelt werden müssen. Es hilft, zu erkennen, dass wir neben einer geteilten Diskriminierungserfahrung auch Individuen sind, die sich mehr oder weniger gut verstehen. Das schützt vor Enttäuschungen. In einem Safer Space ist nicht alles harmonisch. Differenz auszuhalten, ist auch eine Form von Zusammenhalt."
Das stimmt und ich denke, dass das auch in solch einem Raum extrem wichtig ist. Es schließt zudem ja gleichzeitig nicht aus, dass man nicht auch Brücken für Solidaritäten zwischen anderen marginalisierten Gruppen baut oder auch zu Verbündeten aus der Mehrheitsgesellschaft. Beides scheint mir sehr wichtig, um eine breite gemeinsame Basis für die eigenen politischen Belange zu schaffen. Aber der Safer Space als Raum der gemeinsamen Auseinandersetzung innerhalb der jeweiligen Community ist eben auch wichtig.
80410 (Profil gelöscht)
Gast
Gruppen / Communities könnten einfach beherzigen, was der nigerianische Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka sagte:
"The greatest threat to freedom is the absence of criticism."
Scheint allerdings, meiner persönlichen Erfahrung nach, den meisten zu schwer zu fallen, auch wenn vornerum gerne das Gegenteil beteuert wird.
BigRed
Nicht, dass ich was gegen das Foto hätte, aber gerade mit dem Fokus auf die Lippen der Frau ist mir der Zusammenhang mit dem Beitrag nicht so richtig klar.
Agarack
Entschuldigung, wenn das jetzt vielleicht etwas naiv oder altmodisch klingt, aber: Wäre die naheliegendste Lösung für die Problematik, wenn es um die interne Kommunikation geht, nicht, sich außerhalb der sozialen Netzwerke zu treffen? An einem Ort, wo man genau weiß, mit wem man eigentlich redet, und rechte Trolle von vornherein nicht herein kommen? Den neuen "Netzaktivismus" in allen Ehren, aber soziale Medien waren noch nie ein sinnvoller Ort für den Meinungsaustausch. Das liegt nicht mal (nur) an den rechten Trollen, sondern auch daran, dass sich gerade in "aktivistischen" Bubbles gerne eine gewisse Profilierungssucht breitmacht, und absolut ALLES, was man sagt, grundsätzlich von vielen Leuten so negativ wie möglich aufgefasst wird. Ich könnte kaum posten: "Ich mag Äpfel", ohne dass jemand entgegnet: "DU HASST ALSO BIRNEN?????".
Die Ironie dessen, dass ich das hier in einem Onlineforum für den Meinungsaustausch schreibe, ist mir bewusst. Ich sehe dies allerdings nicht als Aktivismus.
BigRed
@Agarack Gerade wenn man Teil einer Minderheit ist, kann es aber gut sein, dass die Menschen, mit denen man sich austauschen will, geographisch nicht so richtig nah sind.
Und dann sind soziale Medien schneller, einfacher, billiger und ökologischer.
White_Chocobo
@BigRed Soziale Medien waren noch nie "billig" (es wird immer bezahlt, nur eben mit Daten), sind voraussetzungsreich (Rechner, Handys, nicht unbedingt barrierefrei, in vielen Ländern nicht ohne Zensur, Überwachung und Verfolgung) und nie auch nur im Ansatz "ökologisch" (Co2 der Server, Energiekosten etc.pp.).
Soll jetzt nicht den Punkt von Agarack bestätigen, aber ich finde, dass das wichtig ist anzumerken, weil diese Punkte in Bezug auf Social Media - insbesondere von den profitierenden Unternehmen - gerne unsichtbar gemacht werden.
Benedikt Bräutigam
Konstruktivität ist am wichtigsten. Wenn nicht anders möglich auch in sicheren Räumen. Eine Frage ist aber, ob es denn da noch genug Reibung gibt, oder ob dort nicht einfach zu viel Verständnissuche herrscht. Communities können genau so ein Teil des Problems sein wie die gezielte Destruktivität von rechts in offenen Räumen. Offenheit ist für den Diskurs einfach entscheidend, falls man überhaupt daran glaubt, dass es noch unvoreingenommene Menschen gibt, die überzeugt werden können.
665119 (Profil gelöscht)
Gast
Kann man da die Unterscheidung zwischen "Gemeinschaft" und "Gesellschaft" nach Tönnies bemühen?
Ich habe leider noch keine das Gemeinschaftserlebnis versprechende Gruppe erlebt, in der offene Kritik im freien Diskurs nicht mit der Gefahr behaftet war, als "Spalter" und "Miesmacher" unter den Bus geworfen zu werden, besonders nicht bei solchen, die sich über einen Gegner oder eine Bedrohung von außen definieren.
Zugehörigkeit und Gruppenwärme sind ja sehr schön, nur haben die anscheinend immer einen Preis...
659554 (Profil gelöscht)
Gast
DAS große Problem der Linken. Uns geht es um Ideen und Ideale, und daher gibt es Nuancen und Diskussionen. Den Rechten geht es nur um die Macht und den Profit, da sind sie sich imner einig.