Lisa Paus zur Kindergrundsicherung: „Die FDP weiß, wofür das Geld ist“
Die Familienministerin drängt auf eine rasche Einigung bei der Kindergrundsicherung. Im Streit mit Lindner sieht die Grüne die SPD auf ihrer Seite.
taz: Frau Paus, schreddert Christian Lindner mit der Kindergrundsicherung gerade den Plan, nach dem die Grünen als sozialpolitisch engagierte Partei wahrgenommen werden sollen – und nicht nur als Klimapartei?
Lisa Paus: Die Kindergrundsicherung wird kommen. Im Koalitionsvertrag, den alle drei Ampelparteien unterschrieben haben, steht sie nicht allein als Digitalisierungsprojekt, sondern vor allem als sozialpolitisches Projekt, mit dem wir verdeckte Armut deutlich reduzieren und Kindern mehr Teilhabechancen eröffnen wollen. Dazu habe ich ein Konzept vorgelegt.
Der Finanzminister hat eine andere Interpretation. Er meint, die bereits erfolgte Kindergelderhöhung reiche für ein sozialpolitisches Projekt.
Christian Lindner weiß genau wie ich, dass das Kindergeld spätestens alle zwei Jahre erhöht wird, weil es mit dem verfassungsrechtlich gebotenen steuerlichen Kinderfreibetrag nach dem Existenzminimumbericht angepasst wird. Im vergangenen Jahr war das angesichts der Krisensituationen und der Rekordinflation besonders wichtig.
Die Grünen mussten zuletzt die Erfahrung machen, dass sich der Kanzler in Sachen Klima auf die Seite der FDP geschlagen hat. Wird sich das bei der Kindergrundsicherung wiederholen?
Ich habe sehr, sehr viel Rückhalt in der Zivilgesellschaft, den Verbänden und auch guten Rückhalt in der SPD. Mit dem Kanzler bin ich in einem guten Austausch hierzu. Die Kindergrundsicherung ist auch ein zentrales Projekt der SPD. Und das schon seit vielen Jahren. Deshalb kann man das nicht vergleichen.
Die Frage ist ja nicht, ob, sondern mit welcher Ausstattung die Kindergrundsicherung kommt. Steht der Kanzler hinter den 12 Milliarden Euro, die Sie für die Einführung veranschlagt haben?
Die Verhandlungen laufen.
Wofür soll das Geld genau verwendet werden?
Die 12 Milliarden Euro lassen sich aus dem Koalitionsvertrag ableiten. Zum einen soll die Leistung bei den Familien ankommen, die jetzt schon einen Rechtsanspruch auf sie haben, diesen aber nicht wahrnehmen – wie insbesondere beim Kinderzuschlag oder beim Bildungs- und Teilhabepaket. Außerdem haben wir im Koalitionsvertrag verankert, dass das soziokulturelle Existenzminimum von Kindern neu berechnet werden soll.
Jahrgang 1968, ist seit Ende 2021 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Zudem gehört sie seit 2009 dem Deutschen Bundestag an. Zuvor war sie Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus.
Der sogenannte Warenkorb soll also neu bemessen werden.
Das Existenzminimum ergibt sich aus den sogenannten Regelbedarfen der Kinder und ihren Bildungs- und Teilhabebedarfen. Beides wollen wir stärker an den Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen orientieren. Und dann wird es zwei Komponenten der Kindergrundsicherung geben: erstens den Garantiebetrag, den alle unabhängig vom Einkommen erhalten – wahrscheinlich erst einmal in der Höhe des Kindergeldes; und zweitens den einkommensabhängigen Zusatzbetrag. Der wird mit steigendem Einkommen abgeschmolzen.
Dabei ist wichtig, dass nicht mit jedem Euro, den ich dazuverdiene, einer abgezogen wird – denn dann ist der Erwerbsanreiz für die Eltern dahin. So wollen wir das Lohnabstandsgebot wahren. Auch diese Veränderung habe ich einkalkuliert. Mein Ziel ist, dass das Kindergeld nicht mehr auf das Bürgergeld der Eltern angerechnet wird. Es sind also viele Punkte. Tatsächlich sind 12 Milliarden eher eine untere Grenze. Es gibt Konzepte von Verbänden, die von ganz anderen Summen ausgehen.
Warum sind Sie dann nicht mit einer höheren Forderung eingestiegen?
Ich habe ein Konzept vorgelegt, das sich an den Vorgaben des Koalitionsvertrags orientiert. Deshalb habe ich diese Größenordnung angemeldet. Das Entscheidende ist momentan, dass wir uns über die Grundzüge der Kindergrundsicherung einig werden, denn nach der Sommerpause soll das Gesetzgebungsverfahren starten. Damit 2025 ausgezahlt werden kann, müssen wir jetzt die notwendigen Entscheidungen treffen.
Bieten Sie der FDP damit, dass Sie den Finanzbedarf nicht genauer aufdröseln, nicht einen unnötigen Angriffspunkt?
Natürlich weiß die FDP, wofür das Geld gedacht ist, das leitet sich ja aus dem Koalitionsvertrag ab und Christian Lindner saß bei den Verhandlungen mit am Tisch. Die FDP würde das Geld gerne anders ausgeben. Wir haben aber seit vielen Jahren eine strukturell verfestigte Kinderarmut in Deutschland. Das ist ungerecht gegenüber jedem einzelnen Kind. Und es ist auch für die Gesellschaft unsinnig. Wir reden vom Fachkräftemangel und der Zukunftsfähigkeit Deutschlands, und da ist es nicht nachvollziehbar, dass wir ein Fünftel unserer Kinder derart vernachlässigen. Das muss endlich aufhören. Die Kindergrundsicherung ist eine der besten Zukunftsinvestitionen, die wir machen können.
Sie haben gesagt, die Kindergrundsicherung muss ein sozialpolitisches Projekt sein. Ab wann ist es das?
Die Kindergrundsicherung muss die entscheidenden Leistungen zusammenführen. Sie muss besser ausgestattet sein als bisher, und das Geld muss bei den Familien tatsächlich ankommen. Dazu muss die Antragstellung einfacher sein, und das Ganze muss an einer Stelle möglichst unbürokratisch zusammengeführt werden, damit wir verdeckte Armut endlich wirksam bekämpfen.
Derzeit wird der Kinderzuschlag nur für sechs Monate bewilligt, was für die Betroffenen schwierig ist. Würde sich das mit der Kindergrundsicherung auch ändern?
Mein Ziel ist, dass wir über ein Jahr reden, aber darüber wird noch verhandelt.
Das Zusammenführen der Maßnahmen und eine Digitalisierung soll zur Vereinfachung führen. In der Praxis ist das häufig kompliziert – bei der Grundrente war es ein extrem langwieriger Prozess, Daten der Finanzämter mit denen der Rentenversicherung kompatibel zu machen.
Es stimmt, das ist nicht trivial. Deswegen habe ich sofort mit der Bundesagentur für Arbeit Kontakt aufgenommen, die die entsprechende Expertise hat. Wir machen nicht erst das Gesetz und anschließend die Digitalisierung, sondern bereiten beides soweit wie möglich parallel vor.
Wo sehen Sie das größte Problem?
Wir wollen, dass Familien, die wahrscheinlich Anspruch auf den Zusatzbetrag haben, dazu möglichst automatisiert einen Hinweis bekommen. Dafür wollen wir den „Kindergrundsicherungs-Check“ einführen. Die Familienkasse, die zur Kindergrundsicherungsstelle ausgebaut werden soll, braucht dafür zum Beispiel Einkommensdaten – etwa von den Finanzämtern. Manche dieser Schnittstellen gibt es noch nicht.
Besteht die Gefahr, dass Sie am Ende der Legislaturperiode mit einem halbfertigen Digitalisierungsprojekt dastehen und nicht mehr Geld bei den Familien ankommt, weil der Finanzminister eine Aufstockung blockiert?
Es wäre für die gesamte Koalition nicht gut, wenn wir am Ende keine digitale Kindergrundsicherung haben. Vor allem muss bei den Familien eine substanzielle Verbesserung ankommen.
Für die Grünen, die die Kindergrundsicherung zu ihrem zentralen sozialpolitischen Projekt gemacht haben, wäre das ein Fiasko. Sie wollen sich inhaltlich breiter aufstellen – auch als Grundlage für den Kampf ums Kanzleramt.
Die Kindergrundsicherung ist ein zentrales sozialpolitisches Projekt der gesamten Ampelregierung. Es gilt: pacta sunt servanda. Es geht um die Kinder und nicht um parteipolitische Profilierung. Deswegen kämpfe ich jeden Tag für wirkliche, spürbare Verbesserungen für Familien mit Kindern. Der Paradigmenwechsel muss in dieser Legislaturperiode kommen.
Frau Paus, wir würden gern noch über das Selbstbestimmungsgesetz für trans, inter und nichtbinäre Menschen sprechen: Bis Ostern sollte es endlich einen Gesetzentwurf geben, aber es gibt ihn noch nicht. Wann kann man damit rechnen?
Wir sind dran.
Können Sie Ihren Zeitplan noch halten? Das Gesetz sollte bis zum Sommer verabschiedet sein.
Wir geben alles dafür, dass wir das schnell durchbringen. Für die Betroffenen ist es wichtig, dass dieses Gesetz zügig kommt.
Der Gesetzentwurf soll eine dreimonatige Wartezeit bei der Änderung des Personenstandseintrags enthalten und eine Klausel zum Hausrecht bei geschützten Räumen wie Frauensaunen oder Frauenhäusern. Beides war in Ihren Eckpunkten nicht vorgesehen. Wie kam es dazu?
Es hat noch Diskussionen in der Koalition gegeben. Ich finde aber, wir haben eine gute Regelung gefunden. Wir haben uns an Luxemburg und Belgien orientiert. Dort gibt es eine dreimonatige Regelung und es ist trotzdem einfach und unbürokratisch.
In Argentinien gibt es so eine Wartezeit nicht. Warum Luxemburg und nicht Argentinien? Lag es an FDP-Justizminister Marco Buschmann?
Unsere Ministerien sind gemeinsam federführend, wir mussten uns auf einen Entwurf einigen. Ich finde aber, diese Einigung ist vertretbar.
Vor allem die Klausel zum Hausrecht stößt auf heftige Kritik. Können sich trans, inter und nichtbinäre Menschen darauf verlassen, dass es keine Verschlechterung der Rechtslage geben wird?
Es wird sich am Hausrecht und der derzeitigen Regelung mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz nichts ändern.
Es ist auch ein Fonds für Opfer des Transsexuellengesetz vorgesehen, das ja in Teilen verfassungswidrig ist. Wird er mit dem Selbstbestimmungsgesetz kommen?
Es ist richtig, dass viel Leid produziert worden ist dadurch, dass trans- und intergeschlechtliche Menschen lange als krank gesehen wurden. Deswegen ist es gut, dass wir endlich mit dieser unwürdigen Diskriminierung Schluss machen. Der Fonds wird aber nicht in dem Selbstbestimmungsgesetz geregelt werden.
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