Expert_in über Selbstbestimmungsgesetz: „Es ist eine historische Chance“

Das kommende Selbstbestimmungsgesetz wird von vielen Queers kritisiert. Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* mahnt, den Gesetzentwurf abzuwarten.

Portrait von Kalle Hümpfner

Kalle Hümpfner von Bundesverband trans* Foto: Anja Weber

taz: Kalle Hümpfner, das geplante Selbstbestimmungsgesetz soll dafür sorgen, dass der Geschlechtseintrag wie der Name niedrigschwellig geändert werden kann. Die nächsten Tage soll der Entwurf dazu veröffentlicht werden. Bis dahin wollten Sie ihn erst mal nicht kommentieren. Bleiben Sie dabei?

Kalle Hümpfner: Wir können als Bundesverband Trans* nicht vorwegnehmen, was im Entwurf steht. Was wir sehr wichtig finden, ist, dass der Entwurf bald kommt. Daher finden wir es sehr positiv, dass es eine Einigung auf politischer Ebene zwischen den federführenden Ministerien gab. In unserem Statement haben wir das kommentiert und deutlich begrüßt. Nun beobachten wir, dass eine breitere Debatte losgetreten wurde. Einerseits geht es um die dreimonatige Wartefrist und andererseits geht es um einen Passus zum Hausrecht.

Zuerst zur Wartefrist: Die dreimonatige Pause zwischen Antrag und tatsächlicher Änderung des Geschlechtseintrags war eine Neuigkeit, die so nicht in den Eckpunkten stand. Haben Sie dazu keine Haltung?

Tatsächlich ist uns erst seit Kurzem bekannt, dass es eine entsprechende Frist geben soll. An dieser Stelle können wir sagen, dass wir diesen Punkt und seine Bedeutung in der Praxis genau prüfen werden. Wenn die Wartefrist die Änderung des Geschlechtseintrags deutlich schwieriger gestaltet, werden wir das selbstverständlich kritisieren, sobald der Gesetzentwurf den Verbänden vorgelegt wird.

ist Fachreferent_in für gesellschaftspolitische Arbeit beim Bundesverband Trans*

Gehen Sie davon aus, dass die Bundesregierung daraufhin etwas nachjustiert?

Das lässt sich sehr schlecht vorhersehen. Wir werden in der Verbändeabteilung alles anmerken, was wir kritisch finden. Was davon aufgegriffen wird, ist noch unklar. Wir hoffen auf jeden Fall auch auf die Möglichkeit, uns bei einer öffentlichen Anhörung im Bundestag einzubringen. Dort wollen wir die Punkte erneut einbringen, die durch die Regierung nicht berücksichtigt wurden.

Dann gibt es da noch die Debatte um das Hausrecht. In geschützten Frauenräumen soll unabhängig vom Geschlechtseintrag im Pass wie bisher das Hausrecht erlauben, bestimmte Personen des Orts zu verweisen. Die Koalition argumentiert mit Paragraf 20 des Allgemeinen Gleichberechtigungsgesetz (AGG). Darin heißt es, eine „Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion, einer Behinderung, des Alters, der sexuellen Identität oder des Geschlechts ein sachlicher Grund vorliegt“. Lassen Sie dieses Argument zählen?

Wir kennen den entsprechenden Passus noch nicht, deswegen ist es sehr schwierig, sich dazu zu äußern. Es ist alles bis zu einem entsprechenden Grad spekulativ. Ferda Ataman erklärte in einem aktuellen Statement, dass ein gruppenbezogener Ausschluss anhand körperlicher Merkmale oder dem Erscheinungsbild nach dem AGG nicht zulässig sei.

Ich würde an der Stelle mit einem gewissen Optimismus, dass dieser Punkt berücksichtigt wurde, dafür plädieren, den Entwurf abzuwarten und dann genau zu prüfen. Natürlich werden wir uns als Verband mit Ex­per­t*in­nen aus dem Antidiskriminierungsrecht beraten, um exakt zu klären, was dieser Punkt in der Praxis bedeutet.

Was stimmt Sie so optimistisch?

Sven Lehmann hat als Queer-Beauftragter der Bundesregierung wiederholt bekräftigt, dass das Selbstbestimmungsgesetz Diskriminierung abbauen soll und nicht zu neuer Benachteiligung führen wird. Diese Zusicherung stimmt mich zuversichtlich, solange ein Entwurf Schwarz auf Weiß nicht eine andere Sprache spricht.

Die aktuelle Debatte, die an vielen Stellen ins Spekulative abdriftet, besorgt mich dagegen. Es ist nicht auszuschließen, dass diese Auseinandersetzung auch von transfeindlicher Seite gepusht wird. Die starke Fokussierung auf die Hausrechtsdebatte spielt Gegner_innen in die Hände, weil es dazu führen kann, dass sich der Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz weiter verzögert. Gleichzeitig werden absurde Diskussionen geführt, die Vorurteile verstärken.

Was meinen Sie damit?

Was wir erleben, sind Diskussionen von Menschen, die kaum mit trans, inter und nichtbinären Personen in Kontakt stehen. Ich kenne sehr viele trans Personen in meinem Umfeld, die sagen, sie würden sowieso nicht in eine Sauna gehen, weil sie dort diskriminiert werden oder sich unwohl fühlen. Auch die hohe Gewaltbetroffenheit von trans, inter und nichtbinären Personen kommt in der Diskussion selten zur Sprache. Stattdessen werden sie als Tä­te­r*in­nen konstruiert. Wir reden hier eigentlich am Thema vorbei.

Gleichzeitig gibt es trans, inter und nichtbinäre Personen, die öffentlich diese Debatte führen. Sollten sie sich eher zurückhalten?

Die Frustration, Empörung und Verunsicherung kann ich verstehen, wenn mögliche Verschlechterungen des Selbstbestimmungsgesetzes in Medien thematisiert werden. Leider befürchte ich, dass eine sehr starke Gegenreaktion auf Gerüchte auch gefährlich für das gesamte Vorhaben sein kann. Damit wird das Gesetz in der Öffentlichkeit als umstritten wahrgenommen. Es kann der Eindruck entstehen, dass die trans Communitys das Selbstbestimmungsgesetz nicht unterstützen. Dann fragen sich die Ministerien, warum sollen wir das voranbringen, wenn wir nur kritisiert werden?

Das ist ein Moment, an dem das Vorhaben kippen könnte. Es ist eine historische Chance, dass das Selbstbestimmungsgesetz jetzt im Koalitionsvertrag steht. Aber es ist noch nicht umgesetzt.

Glauben Sie wirklich, dass das Gesetzesvorhaben noch scheitern könnte?

Wir haben jetzt das schlechteste Szenario, dass wir in einer aufgeheizten Debatte stehen und widersprüchliche Informationen zum Entwurf vorliegen. Wir – und viele weitere Verbände – äußern uns daher nicht. Eine fachliche Debatte ist derzeit nicht möglich. Dadurch entsteht eine Diskussion, in der viele wichtige Stimmen in der Öffentlichkeit auch fehlen. Das ist ein Ungleichgewicht.

Auch wenn Sie den Entwurf noch nicht kennen: Würden Sie sagen, das Selbstbestimmungsgesetz, wie es nun angedacht ist – inklusive Hausrechtsklausel –, ist trotzdem ein Fortschritt für trans, inter und nichtbinäre Menschen?

Wir haben natürlich verbandsintern diskutiert. Es gibt rote Linien. Es wäre ein massives Problem, wenn es einen Passus zum Hausrecht gäbe, der Diskriminierung verstärkt. Hier spreche ich sehr bewusst im Konjunktiv. Ich hoffe sehr, dass diese Situation nicht eintritt.

Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass es Entwürfe gab, die nicht tragbar waren. 2019 wurde ein Entwurf unter der damaligen Justizministerin Katarina Barley vorgestellt, der deutliche Verschlechterungen enthielt. Es gab zu Recht starke Kritik und in der verbleibenden Legislaturperiode war es nicht mehr möglich, einen weiteren Anlauf für ein neues Gesetz zu nehmen. Ich hoffe sehr, dass wir nicht an diesen Punkt kommen.

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