Faktenchecks in Medien: Der Fokus wird verschoben

Journalistische Faktenchecks wollen Tatsachen schaffen. Doch zwei Beispiele zeigen, dass sie politische Konflikte nicht so einfach entschärfen können.

Eine Talkrunde, bestehend aus Sahra Wagenknecht, Heribert Prantl, Herfried Münkler, Louis Klamroth, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Katrin Göring-Eckardt

Bei „Hart aber Fair“ wurden Aussagen von Sahra Wagenknecht live in der Sendung gefaktcheckt Foto: Future Images/imago

Ursprünglich wollte der ARD-Faktenfinder in einem Text die Investigativrecherche des US-Journalisten Seymour Hersh über die Sprengung der Nord-Stream-2-Pipeline kritisch abklopfen, produzierte aber dabei selbst eine Ente. „In einer früheren Version war von Sprengstoff ‚in Form von Pflanzen‘ die Rede“, hieß es im nachgereichten Korrekturhinweis auf der Website. Wo Hersh schreibt, C4-Sprengstoff sei platziert worden (to plant), machte der Faktenfinder daraus wegen eines Übersetzungsfehlers explosive Pflanzen. Und: Die Redaktion hatte die Waffenbotanik keineswegs nur beiläufig behandelt. Der Frage, wie plausibel der Einsatz von Sprengstoff in Pflanzenform sei, war in der ersten Version des Textes ein ganzer Absatz gewidmet worden. Sogar einen Sprengstoffexperten hatte man dazu befragt.

Nachträgliche Korrekturen im Journalismus sind immer ungünstig. Doch diese Geschichte ist eine besonders peinliche Ausnahme, da Faktenchecks qua Genre eine ausgesprochene Genauigkeit versprechen. Sie ist außerdem brisant, weil die Frage, wie man es mit der Hersh-Story hält, längst zu einem Politikum geworden ist. Die Antwort darauf hängt oft von der Haltung zu kontroversen Themen ab, etwa zur Rolle der Nato.

Ein im Kern politischer Konflikt sollte im ARD-Faktenfinder durch Tatsachenprüfung entschärft werden – und das ging schief. Der Vorgang steht damit sinnbildlich für ein grundsätzliches Problem des Formats Faktencheck. Denn Angebote wie der ARD-Faktenfinder können selbstredend gute Dienste leisten, zum Beispiel übersichtlich Informa­tionen zu verbreiteten Gerüchten aufbereiten. Doch das implizite Versprechen des Fact-Checking geht deutlich darüber hinaus: Es ist das einer über den Dingen stehenden, gewissermaßen letztgültigen Wahrheits-Instanz.

Das eigentliche Thema gerät in den Hintergrund

Mit dem Bremer Soziologen Nils Kumkar lässt sich schon die Grundannahme anzweifeln, politische Konflikte könnten dadurch geklärt werden, dass problematischen Behauptungen vermeintlich reine Tatsachen entgegengestellt werden. In seinem gleichnamigen Buch erklärt er die kommunikative Funktion „alternativer Fakten“. Diese böten eine Ausflucht aus Dilemmata, die entstehen, wenn Tatsachen klar auf der Hand liegen, „mit denen man sich nicht auseinandersetzen kann oder will“. Der Streit um die Wahrheit selbst werde zum Thema. Das, worum es zunächst ging, gerate in den Hintergrund.

Auch Nachrichtenmedien und Talkshows hätten, so Kumkar gegenüber der taz, im Zuge der Debatte um Fake News zunehmend darauf umgestellt, diese selbst als Problem zu thematisieren. „Wenn es einen politischen Konflikt gibt, wird sofort geguckt: Können wir ihn nicht aus der Welt schaffen, indem wir die Faktengrundlage klären.“ Politische Konflikte würden so als Faktenkonflikte gerahmt.

Gut beobachten konnte man das in der Ausgabe von „Hart aber Fair“ vom 27. Februar. Dort hatte die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht auf die Thematisierung von Vergewaltigungen in von Russland besetzten Gebieten der Ukraine mit der Aussage reagiert: „Die UN-Menschenrechtskommissarin hat immer wieder darauf hingewiesen, auch in diesem Krieg: Kriegsverbrechen werden von beiden Seiten begangen.“ Moderator Louis Klamroth unterbrach Wagenknecht daraufhin, erklärte, er könne „das so nicht stehen lassen“, und spielte einen Film ein: Belege für Vergewaltigungen durch ukrainische Soldaten lägen der UN nicht vor, hieß es dort. Klamroth vollführte einen Live-Faktencheck.

In sozialen Medien erhielt er dafür Applaus. Der auf der Webseite der Sendung wie üblich publizierte nachträgliche Faktencheck allerdings entwickelte ein Eigenleben: Zunächst musste eingeräumt werden, dass sich Wagenknechts Aussage auf Kriegsverbrechen im Allgemeinen bezog, der eingespielte Film aber auf Vergewaltigungen. Nachträglich wurden außerdem zwei weitere UN-Berichte ergänzt, denen zufolge nicht nur durch ukrainische Soldaten begangene Verbrechen dokumentiert seien, sondern auch (zwei) Fälle sexualisierter Gewalt. Wagenknecht verbreitete in sozialen Medien einen entsprechenden Ausschnitt des ergänzten Faktenchecks. Den direkt folgenden Satz („Auch in diesem Bericht wird der Großteil der verübten Verbrechen den Russen angelastet“) ließ sie weg.

Kommunikative Begleiterscheinung politischer Konflikte

Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin des WDR, man habe zwar im Vorfeld der Sendung von weiteren UN-Berichten gewusst, sich aber zunächst nur auf jenen aus dem Dezember 2022 bezogen. „Einige Zuschauer und auch Sahra Wagenknecht fanden das nicht ausreichend, sie verwiesen auf die Berichte aus dem Juli und September 2022“, so der WDR. Man habe diese daher „der Vollständigkeit halber“ im Faktencheck ergänzt, sei „aber der Auffassung, dass auch diese Berichte die These unseres Films nicht in Frage stellen“.

Der Faktencheck, so der WDR, sei „als klärende Ergänzung zu solchen Passagen der Sendung“ gedacht, „in denen sich widersprechende Aussagen zu Fakten gemacht werden“. Nils Kumkar gibt dagegen zu bedenken, dass hinter dem Faktencheck verloren zu gehen drohe, dass mitunter so verschiedene Perspektiven auf eine Sache existierten, „dass diese gar nicht mehr direkt aufeinander beziehbar sind“. Dann werde aneinander vorbeigeredet, wie im Fall der „Hart aber Fair“-Sendung, das ließe sich nicht mit Tatsachenprüfungen wegregulieren.

Um das eigentliche Thema – Kriegsverbrechen und sexualisierte Gewalt – ging es in der Debatte kaum mehr. Doch auf Faktenchecks zu verzichten, hätte an dieser Dynamik nichts geändert. Sie sind eine kommunikative Begleiterscheinung politischer Konflikte, nicht ihre Ursache. Ein wirksames Mittel zu ihrer Lösung sind sie aber auch nicht.

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