piwik no script img

Hafenexplosion im LibanonJuristisches Limbo geht weiter

Ein korrupter Generalstaatsanwalt hat alle Verdächtigen im Fall der Explosion von 2020 freigelassen. In Beirut protestieren Angehörige der Opfer.

Protest gegen die Freilassung der Verantwortlichen für die Explosion im Hafen von Beirut Foto: Aziz Taher/reuters

Beirut taz | In Beirut haben sich am Donnerstag rund 100 Menschen aus Protest vor dem Justizpalast versammelt. Sie demonstrierten für Gerechtigkeit und Aufklärung der Explosion vom 4. August 2020. Damals waren hunderte Tonnen Ammoniumnitrat im Beiruter Hafen explodiert. Nach dem Ereignis versprach der damalige Ministerpräsident Hassan Diab, innerhalb von fünf Tagen für Aufklärung zu sorgen. Mittlerweile ist Diab selbst des Mordes angeklagt; die Ermittlungen zur Beiruter Hafenexplosion sind zu einem Schauspiel der korrupten Justiz geworden.

Im neusten Akt diese Woche hat der Ermittlungsrichter Tarek Bitar seine Ermittlungen nach einem Jahr des Stillstands wieder aufgenommen – und wurde durch einen Generalstaatsanwalt gleich sabotiert. Bitar hatte Anfang der Woche Anklage gegen acht Verdächtige erhoben – auch gegen Generalstaatsanwalt Ghassan Oweidat. Der wehrte sich und ließ alle 17 Verdächtigen aus dem Gefängnis frei. Außerdem schickte er einen Beamten zu Bitars Haus, um ihn vor Gericht zu laden, weil er ihn des „Verbrechens der Machtübernahme“ beschuldigte.

Der 49-jährige Bitar gilt bei den Angehörigen der Explosionsopfer als vertrauenswürdig. Der Untersuchungsrichter hat unter anderem den ehemaligen Premierminister Diab, den ehemaligen Innenminister Nouhad Machnouk, den früheren Finanzminister Ali Hassan Khalil und den Ex-Minister für öffentliche Arbeiten Ghazi Zaiter wegen Fahrlässigkeit mit Todesfolge angeklagt. Die Beamten hätten es versäumt, die Gefahr des potenziellen Sprengstoffs zu kommunizieren, angemessen zu untersuchen und zu entfernen.

Die schiitische Partei und Miliz Hisbollah bezichtigt den Ermittler, parteiisch zu sein. Deshalb klagten Khalil und Zeaiter, beide mächtige Männer in einer Schwesterpartei der Hisbollah, gegen den Richter.

Fahrlässige Tötung, Brandstiftung, Sabotage

Die Untersuchung lag brach, da ein Richter jenes Gerichts zurücktrat, das über mehrere solcher Beschwerden entscheiden muss. Weil die Behörden nichts unternommen haben, hat Bitar nun seine Arbeit auf eigene Faust wieder aufgenommen. Er soll insgesamt gegen 13 hochrangige Funktionäre ermitteln – wegen fahrlässiger Tötung, Brandstiftung und Sabotage.

Unter ihnen ist Oweidat. Er erhielt im Mai 2019 einen Bericht des Generaldirektors der Staatssicherheit über die Gefahr des Ammoniumnitrats. Seine Schwester ist mit dem angeklagten Zaiter verheiratet. Aus diesem Grund war er von seiner Position als Richter am Kassationsgericht zurückgetreten, ignorierte das nun jedoch, indem er beschloss, alle in der Ermittlungsakte festgenommenen Personen freizulassen – darunter der frühere Hafendirektor Hassan Koraytem und der Generaldirektor der Zollbehörde, Badri Daher.

Gegen diese Entscheidung protestierten die Menschen am Donnerstag vor dem Justizpalast. Sie befürchten, dass Bitar als Ermittler zurücktreten muss und die Ermittlung ohne Ergebnisse eingestellt wird. „Es ist, als würden sie uns immer wieder töten“, sagte Mireille Khoury, die Mutter von Elias Khoury, einem Jugendlichen, der durch die Explosion getötet wurde. „Es gibt keine Gesetze oder Ermittlungen im Libanon. Unsere einzige Hoffnung ist die internationale Gemeinschaft.“

Die Familien der Opfer der Explosion haben eine Klage im US-amerikanischen Texas eingereicht, unterstützt von der Stiftung Accountability Now. Sie klagen gegen das Unternehmen, das die tödliche Fracht in den Libanon gebracht hat – und versuchen so, auch die libanesischen Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.

Sicherheits-Chef setzt sich in USA ab

Oppositionelle Abgeordnete versuchten während der Proteste draußen, im Justizpalast selbst mit dem geschäftsführenden Justizminister Henri Chury zu sprechen. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten mit dessen Wachleuten. Sie sollen versucht haben, den Abgeordneten ihre Telefone zu entreißen, als sie das Gespräch filmten. Einige Abgeordnete berichteten, sie seien angegriffen worden, und forderten den Rücktritt des Ministers.

Der Oberste Justizrat des Landes wollte am Donnerstagnachmittag zusammenkommen, um über die Entwicklungen bei der Untersuchung der Explosion zu beraten. Das Treffen wurde jedoch aufgrund der Proteste abgesagt.

Währenddessen verbreitete sich in den sozialen Medien das Bild von Mohammad Ziad al-Owf. Der amerikanische Staatsangehörige saß in einem Flieger auf dem Weg in die USA, sein Anwalt sagte der Nachrichtenagentur AFP, sein Mandant werde nicht in den Libanon zurückkehren. Owf ist der Leiter der Sicherheitsabteilung des Beiruter Hafens.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • "Währenddessen verbreitete sich in den sozialen Medien das Bild von Mohammad Ziad al-Owf."

    Auf dem Bild trägt er ein 300 USD Shirt von Paul&Shark und eine Rolex am Handgelenk. Sag doch noch mal jemand, dem Libanon gehe es finanziell schlecht /s