Schwarz-rot in Berlin: Das linke Berlin – ein Luftschloss

Berlin, konservativ. Wie kann das sein, fragen sich viele. Dabei war Berlin nie so links und grün wie sein Ruf.

Ein Arbeiter transportiert Sitzbänke auf der Friedrichstraße ab

Unspektakuläres Ende des umstrittenen Grünen-Pilotprojekts „Autofreie Friedrichstraße“ Foto: Carsten Koall/dpa

Der größte Verlierer der Berlin-Wahl ist Markus Söder. Die abdankende Bürgermeisterin Franziska Giffey hat mit ihrem Move zur CDU nicht die Linken und die Grünen im Stich gelassen, die auch keinen Bock auf R2G mehr hatten, sondern den armen bayerischen Poltergeist. Was soll der jetzt nur tun? Wenn Schwarz-Rot zustande kommt, ist es vorbei mit Söders geliebtem Berlin-Bashing.

Nie mehr Spotten über die rot-grün-roten Spin­ne­r, die sich „mehr ums Gendern als um Gauner“ kümmern. Das schöne Feindbild, weg. Stattdessen nun ein CDU-Mann, von dem bisher nur die Vornamen bekannt sind, die er von Silvesterrandalierern wissen wollte, um sie des Migrantentums zu überführen. So einem Unionsfreund mit niederen Instinkten kann Söder nichts vorwerfen. Berlin – plötzlich Partnerstadt der CSU. Eine Katastrophe, nicht nur für Söder, weil jetzt Stillstand bis Rückschritt droht.

Wie konnte das passieren? Das fragen sich augenreibend und seit drei Wochen händeringend auch viele Innenstadtberliner, die immer davon ausgingen, dass die Mehrheit tickt wie sie. Also links und öko, wie sie sich selber fühlen, ohne unbedingt auch so zu leben. Im Gegensatz zu Söder, der seine albernen Klischees absichtlich pflegt, um den rechten Kulturkrampf anzuheizen, glaubten viele Linke wirklich an das alternative Berlin, das so ganz anders sei als die Provinz. CDU? Wahlsieger? Kann doch nicht sein! Selbst bei zehn Prozent Vorsprung eher ein Rechenfehler als ein Regierungsauftrag.

Doch das linke Berlin ist ein Luftschloss. Die SPD ist nicht wirklich links, auch unter Grünen-Wählern gibt es längst mehr Hausbesitzer als -besetzer und die einzig dezidiert Linke ist von Wahl zu Wahl geschrumpft. Zwei Drittel von Berlin waren immer strukturkonservativ, die CDU mit Diepgen hatte 40 Prozent. Und diese Leute sind ja nicht alle tot, sie fühlten sich aber zuletzt oft so behandelt. Vor allem von den Grünen. Das Problem war dabei nicht eine angeblich radikale grüne Politik, die es nie gab, sondern die abgehobene Attitüde.

Eine autofreie Friedrichstraße ohne Plan für die Gestaltung schien den Grünen wichtiger als der öffentliche Nahverkehr, Moralpredigten bequemer als Taten für Wohnungen, Schulen oder gar Verwaltung. Auch Giffey arbeitete sich lieber rhetorisch an ihren eigenen Partnern ab, ohne damit neue Wähler zu erreichen. Klaus Wowereit war der Letzte, der die ganze Stadt ansprach.

Für die Grünen ist die Opposition jetzt eine Chance, so eine Sprache selbst zu finden. Wenn sie endlich ein realistisches Berlin-Bild und ein mehrheitsfähiges Konzept entwickeln, das über symbolische Selbstbeglückung hinausgeht. Erst dann wird ein modernes Berlin möglich, über das auch ein Söder nicht mehr lästern kann.

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seit 1999 bei der taz, zunächst im Inland und im Parlamentsbüro, jetzt in der Zentrale. Besondere Interessen: Politik, Fußball und andere tragikomische Aspekte des Weltgeschehens

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