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Diskurs über GeflüchteteStimmung kippt nicht, man kippt sie

In der Migrationsdebatte tauchten wieder rechte Narrative auf. Erneut ist von „Wellen“ die Rede, von „Flut“ – als hätten wir aus 2015 nichts gelernt.

Brandspuren an der Fassade einer geplanten Asylunterkunft in Bautzen im Oktober Foto: Paul Glaser/dpa

Seit Beginn des erweiterten russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Februar suchen immer mehr Ukrai­ne­r*in­nen Schutz in Deutschland. Die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft war von Beginn an enorm, die Überforderung von Behörden und Bevölkerung blieb weitestgehend aus.

Trotzdem hört man seitdem vielerorts die Mahnung, die Stimmung im Land drohe zu kippen. In den vergangenen Tagen, also kurz vor der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwochnachmittag, wo es auch um die Unterbringung von Geflüchteten geht, erreichte diese Schwarzmalerei einen neuen Höhepunkt.

In zahlreichen Beiträgen in Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen mahnen Lokalpolitikerinnen, Landräte und Ober­bür­ger­meis­te­r*in­nen, dass jetzt wirklich etwas passieren müsse, sonst mache die Gesellschaft das nicht mehr mit. Man müsse die Sorgen der Bür­ge­r*in­nen ernst nehmen. Schließlich dürfe sich 2015 nicht wiederholen. Und auf einmal befinden wir uns wieder mitten in einer Debatte über Migration, in der rechte Narrative verbreitet werden, von denen wir geglaubt hatten, sie längst überwunden zu haben.

Plötzlich ist wieder von „Flüchtlingswellen“ die Rede, von einer „Flut“ und einem „wachsenden Flüchtlingsstrom“, der auf uns zukomme. Es werden also Sprachbilder genutzt, die Migrationsbewegungen als eine Gefahr darstellen, die über uns hereinbricht und gegen die wir ankämpfen müssen. Dabei geht es hier um Menschenleben, nicht um lebensbedrohliche Naturkatastrophen. All das haben wir schon vor Jahren diskutiert.

Mit Angstmacherei ist nicht geholfen

Klar ist, dass die Kommunen aktuell vor einer Herausforderung stehen und die zugesagte finanzielle Unterstützung durch den Bund dringend benötigen. Denn die Verantwortung und Finanzierung darf nicht auf den Schultern einzelner Kommunen und ehrenamtlicher Hel­fe­r*in­nen liegen. Aber mit Angstmacherei ist den Kommunen nicht geholfen – im Gegenteil.

Katastrophenmetaphern sorgen erst dafür, dass eine gesellschaftliche Stimmung kippt. Die längst existierenden Hakenkreuz-Graffiti und brennenden Flüchtlingsunterkünfte müssen wir als Gesellschaft natürlich ernst nehmen. Jedoch nicht als besorgte Bürger, sondern als Bedrohung für unsere Gesellschaft. Sonst droht sich wirklich der hässliche Teil von 2015 zu wiederholen.

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18 Kommentare

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  • Nicht zu vergessen auch gezielte Stimmungsmache und Aufhetzen der Bevölkerung von Seiten gewisser Medien und Konzerne.

    Allen voran die Springer-Gruppe (BILD und WELT) und rechte Hetz-Publikationen wie "Tichys Einblick" und "Die Weltwoche" bringen seit Wochen regelmäßig einseitige Artikel gespickt mit Kampfbegriffen wie "Migrations-Krise" (BILD-Titelseite gerade erst vor 3 Tagen) oder "Flüchtlings-Flut", "Asylanten-Katastrophe", "Angst vor Flüchtlingsflut" etc.

    In der Mehrheit der Bevölkerung existiert das gar nicht, aber wenn die rechten Lügen regelmäßig wiederholt werden, glaubt der deutsche Michel irgendwann diesen Schauermärchen. Dem muss man also ganz klar mit Fakten dagegenhalten und darf nicht einfach zusehen.

  • 2023 wird es hoch und runter gehen mit der 'Welle' oder 'Flüchtlingsflut'. Es ist jetzt schon klar, dass von rechtsextremer Seite das bedient wird. Und je mehr Menschen kommen, desto schwieriger wird es, diese Diskussion wieder zu versachlichen. Die vielen Menschen aus der Ukraine sind m.M. auch eine Chance, genauso wie viele Geflüchtete. Es ist immer auch ein Risiko dabei, aber grundsätzlich glaube ich dass es auch darauf ankommt, wie wir mit diesen Menschen umgehen und welche Integrationsmöglichkeiten wir anbieten. Wenn diese 'harte' Linie gemacht wird, dann steigt die Belastung des Systems stark an, mehr Menschen vor Gericht, in Beratungsstellen,mehr Konflikte in Unterkünften und Ämtern, mehr Kindeswohlgefährdungssituationen für die Jugendämter und dann wieder abtauchen, sich entziehen, etc. die harte Linie funktioniert am Ende nicht.

    Wer das fordert, der tut es, um sie zu fordern, um den Status Quo zu kritisieren und eigentlich ohne Alternativen.

    Und ein wesentlicher Punkt ist immer das Versagen westlicher Außen- und Sicherheitspolitik: Afghanistan, Irak, Türkei, Syrien .... hier ist der Westen gescheitert. Nur im Iran trifft die westlichen Staaten gerade keine direkte Schuld.

    Wer weniger Zuwanderung haben will, der müsste besser an funktionierenden Lösungen arbeiten. Das sehe ich aber nicht. Mit den vielen Konflikten in Iran rechne ich nächstes Jahr mit weiterer Zuwanderung, einem Anstieg. Alles andere wüder mich wundern.

  • @CUTIA

    Nein. Auch Unterkünfte von Ukrainer*innen werden abgefackelt. Auch sie werden auf der Strasse verprügelt.

    Es bringt nichts, die eine Gruppe gegen die andere auszuspielen. Alle verdienen es, als Menschen behandelt zu werden.

    "Komfort" ist bestimmt nicht das, was Flüchtlinge erleben. Welche auch immer.

  • 2015 ist doch nie vorbeigegangen, hier wiederholt sich nichts, es dauert an. Und es wird bis zum Ende nicht mehr enden.

  • Danke!

  • 2015 darf sich nicht wiederholen?



    Warum eigentlich nicht?



    Mir bleibt die Willkommenskultur in guter Erinnerung.



    Schon klar, dass es Brandanschläge und den ganzen Mist gab, ich lasse mir die positive Erfahrung dadurch allerdings nicht zerstören.



    Es bleibt in Erinnerung mit Vielen zusammen gearbeitet zu haben, viele Menschen kennen gelernt zu haben und Einigen auch geholfen zu haben .



    Allerdings muss ich feststellen, dass mir jetzt die Power fehlt, im gleichen Maße weiter zu machen.



    Es freut mich sehr, zu hören, dass sich Viele, besonders auch in Berlin, so tatkräftig für ein Zusammenleben einsetzen - Danke!

  • Der rassistische Diskurs wiederholt sich nicht wegen den Ukrainer*innen, sondern weil es noch ein paar Tausend Leute aus Nicht-EU-Staaten, die bisher auf der Balkanroute festhingen, gewagt haben sich nach Deutschland weiter zu bewegen. Auf einmal wird wieder "Alarm geschlagen", Überforderungsgejammer bemüht und das Gejaule nach noch schärferem "Grenzschutz" ist schon nicht mehr zu ertragen. Dabei verfügt die EU in ihrem "unerklärten Krieg gegen Flüchtende" (Autor*innenkollektiv mEUterei) schon über eine der technisch hochgerüstesten und militarisiertesten Grenzen der Welt, die für Flüchtende zur tödlichen Falle werden. Was braucht es denn bitte schön noch, Selbstschußanlagen? Um sich auch dem letzten Rest von Verantwortung zu entledigen. Das Ganze ist widerlich und nur noch erbärmlich. Die Lektüre hierzu kaum zu ertragen.



    Die Ukrainer*innen genießen allen Komford, den sich die anderen in mühseligen, kräftezehrenden Verfahren erst erkämpfen mussten. Für die Ukrainer*innen wird sich sogar um die "Zusammenführung mit den Haustieren" gekümmert, während anerkannte Geflüchtete aus Syrin, Iran oder Afghanistan Jahrelang auf den Nachzug ihrer Familien warten müssen. Was manch Nachzugsberechtiger schon mit dem Leben bezahlt haben dürfte. Dies ist kein Plädoyer gegen den Umgang mit den Ukrainer*innen, sondern dafür, alle anderen annähernd gleich zu behandeln. Die Menschenrechte sind universell...von wegen, höchstens weiß und christlich.

  • Das ist (von einigen Politiker*innen) Absicht [1]. Das war auch 2015 Absicht. Das Muster heisst im Angelsächsischen "Dog Whistle" [2]. Ich bin davon überzeugt, dass 2015 Seehofer entscheidend zur Formung von Pegida beigetragen hat. Jedenfalls hat er aus voller Lunge in die Hundepfeife gepustet.

    Heute ist es noch gefärlicher: befinden sich doch die Konservativen in der (sehr verdienten!) Sinnkrise. Da kommen ihnen die Hunde gerade recht.

    [1] Von welchen? Raten Sie mal.



    [2] en.wikipedia.org/w...whistle_(politics)

  • Plötzlich ist wieder von „Flüchtlingswellen“ die Rede, von einer „Flut“ und einem „wachsenden Flüchtlingsstrom“, der auf uns zukomme. Allein die Wortwahl zeigt, dass hier Fabulierer und Märchenerzähler am Werk sind. In Berlin zumindest ist nichts davon zu spüren. Die Aufnahme- und Hilfsbereitschaft der Menschen ist nach wie vor hoch und Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten sind sowieso kein Thema. Im Moment sind alle eher von der Klimakatastrophe gebannt.

  • [...] Beitrag entfernt. Bitte beachten Sie die Netiquette. Vielen Dank! Die Moderation

    • @rolf -berlin:

      Wenn nan Ihre Zeilen liest, könnte man meinen, Deutschland sei ein armes Land.



      Ist es aber nicht .



      Die "Armen" hierzulande sind nicht vom Hungertod bedroht und auch nicht durch Krieg.



      Warum wir Jammerweltmeister sind, ist mir unbegreiflich!

      • 0G
        06455 (Profil gelöscht)
        @Philippo1000:

        Dann scheint es Ihnen sehr gut zu gehen. Freut mich!



        Vielen geht es aber nicht gut in diesem "reichen" Land. Ich kann dad nichtmehr hören. Die Tafel sind überfordert, Rentner/innen sammeln Flaschen um zu überleben.



        Googeln Sie doch mal den Asternweg in Kaiserslautern.



        Dort können Sie live erlenen wie gut es den Menschen in D geht.



        Es gibt sehr viele Asternwege in D.



        Kaiserslautern nimmt auch gerne Spenden an, jeglicher Art.



        Schauen und helfen statt Behauptungen.

  • Man kippt keine Stimmungen. Es gibt zu jedem Thema stets unterschiedliche Meinungen. In gewissen Fällen erscheint es opportun bestimmte Meinungen anders darzustellen, was im Ergebnis auch nach hinten los gehen kann. Und jeder kann hakt auch mal eine Meinung ändern.

  • 4G
    49732 (Profil gelöscht)

    "Katastrophenmetaphern sorgen erst dafür, dass eine gesellschaftliche Stimmung kippt."

    Naja, da traut man seinen Mitbürgern aber wenig Sachverstand zu.

  • Ist der "Strom" und die "Welle" wirklich klar auf das Katastrophenszenario abgestimmt?

    Wir sprechen doch auch von der "Urlaubswelle", ebenso von der "Rentenwelle" - gemeint ist damit weniger eine Katastrophe, sondern ein nicht zu stoppendes Ereignis mit dem wir konfrontiert werden. Und die Flüchtlinge sind nicht zu stoppen, solange der Krieg anhält.



    Ebenso der Strom. Wir verwenden das Wort bei Warenströmen und bei Menschenmassen (Besucherstrom).

    Beide Begriffe (und auch die seltener verwendete "Flut") haben gemein, dass sie auf die Unaufhaltsamkeit und Flexibilität der Bewegung von Wasser anspielen. Legt man etwas in den Weg, dann staut es nicht, sondern fließt um das Hindernis herum. Grenzen dicht zu machen ist ein sinnloses Unterfangen, denn dann passiert das Gleiche: Die Flüchtenden bleiben nicht stehen, sondern umwandern das Hindernis über die "Grüne Grenze". Aufhalten kann die Welle oder den Strom nur ein Damm: Harte, lückenlose Grenzen. Sowas hatten wir in Europa lange nicht mehr und keiner (zumindest keiner den man ernst nimmt) will sie zurück.

  • Die Medien sind voll von "Wohnraumnot wohin man schaut" und gleichzeitig liest man "tausende neue Flüchtlinge auf dem Weg nach Deutschland".



    Wen wundert es, wenn gerade bei den Mitbürgern der unteren Einkommensschichten hierdurch Existenzängste entstehen.



    Wen wundert es, wenn viele sich nicht gehört fühlen und aus Ängsten eine Abwehrhaltung wird.



    Wen wundert es, wenn rechte Rattenfänger genau in diesem Milieu ein leichtes Spiel haben, einen auf "Deutschland zuerst" zu machen.



    So lange wir nicht plausibel erklären, wie man diese Menschen dauerhaft unterbringen kann, ohne dass es auf Kosten des ohnehin knappen Wohnraumes geschieht, darf man sich ob einer Abwehrhaltung vieler gar nicht wundern.

    Solange die Reaktion auf solche Mitbürger welche sich leider in die rechte Ecke verirren nur die ist, sie auch in eine rechte Ecke zu schieben, statt ihnen Sicherheit und eine Perspektive für ihr eigenes Leben zu geben, so lange wird es immer mehr geben, die unsere Politik ablehnen und sich der AfD zuwenden, welche aktuell und erschreckenden Weise bei 16% ist!

    • @Rudi Hamm:

      Erstens gibt es genug Wohnraum in Deutschland, er liegt nur in den "falschen" Orten, zB Dorf im Erzgebirge mit 40% Leerstand, Altersdurchschnitt 67 J. & Nazi-Quote 85%, oder befindet sich im Eigentum der falschen Leute, zB Dt. Wohnen & Co.



      Zweitens brauchen wir dringend eine Zustrom von jungen Menschen, um den Altersdurchschitt der Bevölkerung zu senken, die ansonsten in spätestens 10 Jahren demographisch kollabieren wird.



      Mehr Wohnraum ist also alternativlos.

    • @Rudi Hamm:

      Zum Einen kommen AFD Wähler aus der Nitte der Gesellschaft.



      Zum Anderen ist soziale Arbeit mit sozial Schwachen und Flüchtlingen wichtig .



      Nur wenige Harz 4 EmpfängerInnen sind svharf auf ein Bett in einem Flüchtlingsheim mit Dusche auf dem Gang und bestenfalls Gemeinschaftsküche.



      Letztlich ist es natürlich die Gesellschaft, die selbst Akzeptanz herstellen muss.



      Ich freue mich über soviel Hilfsbereitschaft in der deutschen Bevölkerung!