Streit um Gebetsruf in Kölner Moschee: Wenn der Muezzin ruft

Am Freitag rief der Muezzin der Kölner Zentralmoschee zum Gebet – und Kritik hervor. In Iran und der Türkei zeigt sich, wie kompliziert der Streit ist.

Der Muezzin Mustafa Kader, ein junger Mann, die Augen halb geschlossen, die Hände an den Wangen, singt in ein Mikrofon

Mustafa Kader rezitiert am Freitag Mittag in der Kölner Zentralmoschee den Gebetsruf Foto: Martin Meissner/ap

An der Zentralmoschee der Türkisch-Islamischen Union Ditib in Köln hat am Freitagmittag erstmals ein Muezzin über zwei Lautsprecher zum Gebet gerufen. Der Ruf dauerte laut dpa weniger als fünf Minuten und war nur in unmittelbarer Nähe der Moschee zu hören: „Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hörte man nichts mehr.“

Vorab war in Köln und darüber hinaus Kritik laut geworden. Der Berliner Islamismusexperte Ahmad Mansour etwa störte sich daran, dass die Entscheidung dafür von der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker verkündet worden sei, ohne dass vorher eine Diskussion stattgefunden habe. Die parteilose Politikerin begründet ihr Ja zum Ruf des Muezzins damit, dass der Ruf den Muslimen aufgrund der im Grundgesetz verbrieften Freiheit der Religionsausübung nicht verweigert werden kann.

Machtdemonstration oder Beheimatung?

Für Glaubensfreiheit sei natürlich jeder, meint Man­sour. „Aber den Muezzin­ruf einfach nur in diesen Kontext zu stellen, ist sträflich naiv.“ Er charakterisierte den Gebetsruf als „Machtdemonstration des politischen Islam“ und erinnerte daran, dass Ditib der verlängerte Arm der türkischen Religionsbehörde in Ankara sei.

Auch Lale Akgün (SPD) aus Köln übte Kritik: „Der Muezzinruf mag in Köln leise sein, aber in der Türkei, aber auch in Deutschland erklingt er sehr laut. Weil damit klar ist, dass der politische Islam auch in Köln hörbar ist“, sagte sie. Zur Einweihung der Moschee im Jahr 2018 war der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan eigens angereist und hatte bei dieser Gelegenheit erklärt, eines Tages werde der Ruf des Muezzins weltweit erklingen.

Abdurrahman Atasoy, stellvertretender Vorsitzender im Ditib-Bundesverband, sagte, man sei sehr glücklich über den mit der Stadt Köln geschlossenen Vertrag: „Der öffentliche Gebetsruf ist ein Zeichen für die Beheimatung der Muslime.“ Aus „unsichtbaren und usseligen Hinterhofmoscheen“ hätten sie es nun in die Mitte der Gesellschaft geschafft. „Dass Muslime mit ihren repräsentativen Moscheen als sichtbarer und mit ihrem Gebetsruf als hörbarer Teil endlich gesellschaftlich angekommen und angenommen sind, ist die Kernbotschaft dieses langen Prozesses.“

Das Recht auf Kopftuch

Einige Menschen demonstrierten laut dpa am Freitag gegenüber der Moschee mit Sprechchören und Transparenten gegen den Muezzinruf und die Unterdrückung von Frauen im Iran. Auch Lale Akgün hatte diesen Zusammenhang hergestellt: Der Gebetsruf sei wie das Kopftuch ein Symbol des politischen Islam.

Dass es sich dabei um keine provinzielle deutsche Debatte, sondern um ein globales politisches Paradox handelt, das nicht in Gänze zufriedenstellend auflösbar ist, zeigen parallele Entwicklungen im Iran und der Türkei. Während die Mullahs im Iran Frauen verfolgen, foltern und ermorden, die sich dem staatlichen Zwang zum Bedecken ihres Haars immer nachdrücklicher widersetzen, versucht die oppositionelle kemalistisch-sozialdemokratische CHP in der Türkei derzeit der regierenden AKP mittels der Kopftuchfrage ein Schnippchen zu schlagen. Sie will einen Gesetzesentwurf ins Parlament bringen, wonach Frauen ein Recht auf das Tragen des Kopftuchs haben sollen.

Das ist ein nicht ganz verblüffender Move, geht es doch darum, konservative Wählerschichten davon zu überzeugen, dass man ihre Rechte und Traditionen wahrnimmt und achtet. Es war einst die CHP, die aus ihrem laizistischen Staatsverständnis heraus synonym für eine Politik stand, die das Tragen von Kopftüchern etwa an Universitäten oder in öffentlichen Ämtern untersagte. Ihr Vorsitzender Kemal Kılıçdaroğlu erklärte nun, die Kopftuchfrage sei eine der offenen Wunden der Gesellschaft. Man habe früher Fehler gemacht, aber inzwischen dazugelernt. Nun müsse der nächste Schritt folgen – die Bekleidung von Frauen endgültig dem Diktat der Politik zu entziehen.

Anmaßung der religiösen Rechten

Präsident Erdoğan reagierte prompt und schlug vor, dann doch gleich eine Verfassungsänderung vorzunehmen – allerdings nicht nur, um dort das Recht auf das Tragen eines Kopftuchs zu fixieren, sondern auch Maßnahmen zur Stärkung der Familie festzuschreiben, die aus „der Vereinigung von Mann und Frau“ bestehe. Dazu gehörten auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Homosexualität, präzisierte er wenig später.

Die Proteste im Iran und der Vorstoß der CHP haben gemein, dass die Revolutionäre im Iran und die wichtigste Oppositionspartei der Türkei für die Rechte von Frauen eintreten, egal ob diese Bikini oder Burka tragen wollen. Recep Tayyip Erdoğan dagegen führte einmal mehr vor, was „politischer Islam“ bedeutet: Der Gesellschaft das eigene antiliberale, reaktionäre Menschenbild aufzwingen zu wollen – und Freiheiten nach Gutdünken zu geben oder zu nehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.