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FDP-Chef für Neun-Euro-Ticket-AusDie Stop-Being-Poor-Mentalität

Das 9-Euro-Ticket steigert die Mobilität – auch für jene, die sie sich sonst nicht leisten können. Warum wehrt sich der Finanzminister so dagegen?

Es sollte völlig egal sein, ob das Ticket zum Pendeln oder in der Freizeit genutzt wird Foto: Arnulf Hettrich/imago

N icht alles, was es für lau gibt, ist wertlos. Shoplifter wissen es. Influencer mit üppigen Giftings wissen es. Alle, die schon mal was geschenkt bekommen haben, wissen es.

Und der Finanzminister? Müsste das am besten wissen. Schließlich finanzieren Steuer­zahler_innen ihm seine BahnCard 100, seinen Dienstwagen oder die Security auf der Sylt-Hochzeit. Und doch steht ihm seine Stop-Being-Poor-Mentalität im Weg, uns anderen ein durchgängiges 9-Euro-Tickets zu gönnen, welches, man ahnt es, gar nicht gratis ist, sondern 9 Euro pro Monat kostet. In Luxemburg, Malta und einigen europäischen Städten ist kostenloser Nahverkehr Standard – ohne dass hässlich rumgegeizt wird, als lebe maus nicht in einem der reichsten Länder der Welt.

Wer fürs Militär und Milliardär_innen die Spendierhosen anzieht und in sozialen Fragen auf einmal eine zerrissene Jogginghose trägt, steht nicht peinlicher da als Genoss_innen, die vornerum auf arm machen, während sie hintenrum ihren Wohlstand bunkern. Christian Lindner tut, als ob er das 9-Euro-Ticket aus eigener Tasche zahlt und nicht von denselben Steuergeldern, die ihm sein Gehalt von über 10.323,29 Euro im Monat finanzieren.

In der Debatte um die Fortsetzung des Tickets argumentieren Gegner_innen des Angebots, dass viele der Fahrten „unnötig“ seien, also Menschen reisen, die sonst zu Hause geblieben wären. Dabei sollte es egal sein, ob das Ticket zum Pendeln oder in der Freizeit genutzt wird, das Signal ist eindeutig: Es steigert die Mobilität – auch für jene, die sie sich sonst nicht leisten können. Warum würden Po­li­tike­r_in­nen die einschränken wollen?

Wer nicht zahlen kann, riskiert Knast

Ganz einfach: Manche Gruppen sind im öffentlichen Raum unerwünscht. Es wäre verfassungswidrig, Menschen aufgrund von Merkmalen wie Armut, Queerness, Transsein oder Schwarzsein den Zutritt zu bestimmten Orten zu verbieten. Doch es gibt Maßnahmen, die ihnen den Alltag erschweren beziehungsweise die zur Kriminalisierung oder Sanktionierung dieser Gruppen führen.

Ein Beispiel ist die Urinary Leash (zu Deutsch: Harnleine). Dahinter steckt eine durch Architektur und Gesetze herbeigeführte Mobilitätseinschränkung. Historisch hat es sich bewährt, in Ländern wie den USA Schwarzen Menschen oder Frauen durch den fehlenden Zugang zu Toiletten den Bewegungsradius stark einzugrenzen. Auch heute wirkt die Urinary Leash vor allem für arme, behinderte und trans Personen: Wer nicht jederzeit und überall aufs Klo kann, bleibt eher in der Nähe des eigenen Zuhauses.

Bei öffentlichen Verkehrsmitteln ist es ähnlich: Wer auf sie angewiesen ist, jedoch nicht zahlen kann, riskiert Knast. Denn wo Geldstrafen nicht bezahlt werden können, greift die Ersatzfreiheitsstrafe. 9 Euro sind zwar immer noch nicht nichts, aber deutlich günstiger als die regulären Tarife. Ob zahlreiche zerstochene Porsche-Reifen das Ticket wohl attraktiver machen würden?

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Hengameh Yaghoobifarah
Mitarbeiter_in
Hengameh Yaghoobifarah studierte Medienkulturwissenschaft und Skandinavistik an der Uni Freiburg und in Linköping. Heute arbeitet Yaghoobifarah als Autor_in, Redakteur_in und Referent_in zu Queerness, Feminismus, Antirassismus, Popkultur und Medienästhetik.
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16 Kommentare

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  • taz: "Das 9-Euro-Ticket steigert die Mobilität – auch für jene, die sie sich sonst nicht leisten können. Warum wehrt sich der Finanzminister so dagegen?"

    Lindner (FDP) möchte das Geld wohl lieber den Reichen und Mächtigen zukommen lassen, denn die "armen Schlucker", die sich über ein 9-Euro-Ticket freuen, gehören nicht zu den Menschen für die sich Lindner oder die FDP interessieren. Wer sich keinen klimaschädlichen tonnenschweren SUV leisten kann, der muss halt zu Hause bleiben oder er/sie muss das Fahrrad nehmen, um mal einen Tagesausflug zu machen.

    Schlimmstenfalls kommen ja auch nicht nur Punker auf die Idee Sylt mit der Bahn zu "besuchen", sondern auch der Niedriglohnempfänger oder vielleicht sogar der Hartz IV Empfänger - und das geht ja nun wirklich nicht, dass arme Bürger die Reichen auf der Nordseeinsel Sylt mit einem 9-Euro-Ticket behelligen.

    taz: "Ob zahlreiche zerstochene Porsche-Reifen das Ticket wohl attraktiver machen würden?"

    Nein, denn es soll auch Porschefahrer geben, die so eine "Partei" wie die FDP niemals wählen würden. Das Problem sind auch nicht die Porschefahrer, sondern die Bürger die FDP wählen. Wenn nämlich nur die Bürger die FDP wählen würden, die auch etwas von der neoliberalen Politik der FDP hätten, dann würde es die FDP doch gar nicht geben, weil sie dann nämlich nicht über 3 Prozent käme.

  • Das Gehalt ist natürlich nicht gerade üppig. Aber es hilft sich gerne jeden Tag auf`s neue von den viel mehr verdienenden von deren Argumenten überzeugen zu lassen. Schließlich verdienen die auch mehr und werden es daher wohl wissen wie`s geht.

    Bei ausreichendem support während der Ministerzeit ist eine lukrative Anstellung gesichert; siehe Schröder und viele andere. Das ist die "unscheinbare" Korruption in unserem Lande. Gerne zeigen wir mit den Fingern auf andere Länder wo diese Korruption noch schwerfällig und nicht so elegant gelebt wird.



    Wer genau hinsieht findet sonst nur wenig Unterschied.

  • "Ob zahlreiche zerstochene Porsche-Reifen das Ticket wohl attraktiver machen würden?"



    Nein, sicher nicht!



    Denn der Porschefahrer wird deshalb nicht umsteigen.



    Urinary Leash könnte allerdings dazu führen, dass aufgrund zu geringer kostenfreier Klodichte in unserem Lande so mancher Porsche es ausbaden muß.

  • Ein Glück fährt Lindner einen Porsche. Dieser Fakt kann dann für alle mögliche Kritik an seiner Politik herhalten. So langsam ermüdet das aber. Außerdem wurde wohl von Vielen nicht verstanden, dass das 9-Euro-Ticket als Anreiz, das Auto stehen zu lassen, gedacht war. Nur hat das wohl nicht geklappt. Und daher muss man sich etwas anderes überlege, wie z.B. mehr Investitionen in den ÖV?

    • @resto:

      Nein, es war als Erleichterung für gestiegene Preise gedacht. Deswegen kam es ja auch Zeitgleich mit dem Tankrabatt und wurde auch für Abo-Inhaber umgesetzt.

  • In Corona-Zeiten soll man sich in Bus&Bahn quetschen?

  • Wieder mal eine Aneinanderreihung von Schlagworten, egal ob die was mit dem Thema zu tun haben und einem Aufruf zur Gewalt.

    "Urinary Leash " - warum sollten Arme davon betroffen sein, aber die reiche Renterin nicht?



    Wieso sollte Queere etc, das 9 Euro Ticket mehr benötigen als "cis"Menschen?

    Und nein, mehr Mobilität ist kein erstrebenswertes Ziel in Zeiten der Klimakrise. Erstrebeswert wäre, die überall abzubauen. Bei den Reichen besonders.

    • @fly:

      Die reiche Rentnerin ist nicht betroffen, weil sie es sich leisten kann, irgendwo einen Kaffee zu trinken, um im Gegenzug die Toilette nutzen zu dürfen.

    • @fly:

      Wer also in einem 200-Seelen-Kaff lebt, hat bitte seine gesamte Freizeit dort zu verbringen und maximal zum Einkaufen in die nächstgrößere Ortschaft zu fahren? Und wer in Berlin oder München lebt, hat Glück gehabt, der kann dann wenigstens in seinem Viertel noch etwas anderes sehen als Häuser und Kuhwiesen?

  • "10.323,29 Euro im Monat"

    So wenig verdient der arme Kerl?

    Wäre er mal besser Intendant im ÖR geworden.

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Jim Hawkins:

      Als Minister bekommt er wesentlich mehr. 10.323,29 bekommen Bundestagsabgeordnete als Diäten. Kostenpauschale und Bahncard kommen noch hinzu.



      de.wikipedia.org/w...entsch%C3%A4digung

      • @95820 (Profil gelöscht):

        Na da fällt mir ein Stein vom Herzen.

        Ich kenne einen BMW-Ingenieur, der mehr verdient. Plus jedes Jahr eine neue Karre vor's



        Haus.

        Bei Politikern kommt der Geldsegen ja erst nach dem Amt.

        Die Bahncard wird Lindner allerdings kaum nutzen.

        • @Jim Hawkins:

          Bahncard, ne, wieso auch. Es steht doch ein Porscher vorm Haus. Sollte es einen zweiten benötigen ist der sicher schnell zu bekommen -uns sicher für lau, bei den guten Telefonkontakten zum obersten Verkäufer dieser Umwelt- und Lebenszerstörungsmaschinen.

    • @Jim Hawkins:

      Ist ja nur ein einziges von vielen, vielen Gehältern beim Chrissi.

  • Werte Hengameh Yaghoobifarah,

    Ich gehöre eigentlich zu den Lesern, die Ihre Texte eher gerne lesen.



    Aber die rhetorische Frage:



    "Ob zahlreiche zerstochene Porsche-Reifen das Ticket wohl attraktiver machen würden?"



    - das finde ich problematisch.

    Sie macht den Diskurs unnötig konfrontativ und ist insofern wahrscheinlich eher kontraproduktiv als dass sie jemanden überzeugen würde auf "unsere" Seite der Argumente zu wechseln.

    Und ein zerstochener Porsche Reifen wird im Zweifelsfall nicht dafür sorgen, dass der dann verhinderte Fahrer umsteigt auf 9-Euro Ticket und ÖPNV, sondern er hat einen Schutzbrief - wird abgeschleppt, bekommt einen neuen Reifen und das Auto repariert wieder vor die Tür gestellt - in der Zwischenzeit ist er Taxi gefahren oder hat den Erstwagen genutzt (Porsche ist ja der Zweitwagen zum Spaß).



    Und er wird "Jetzt erst recht" FDP oder AfD wählen...

    • @Chris-AC:

      Also Danger Dan hat der Artikel bestimmt gefallen. Mir auch.