Spannungen zwischen Litauen und Russland: Die angebliche Blockade

Bestimmte Güter dürfen nicht mehr über Litauen in die Exklave Kaliningrad transportiert werden. Russland droht mit Konsequenzen.

Stehende Züge in der Region Kaliningrad

Stillstehende Züge in der Region Kaliningrad. Der Güterausfall soll 40 bis 50 Prozent betragen Foto: Mikhail Golenkov/SNA/imago

BRÜSSEL/BERLIN taz | Wieder einmal haben die Spannungen zwischen Litauen und Russland einen neuen Höhepunkt erreicht. Es geht um die russische Exklave Kaliningrad. Am Samstag hat Litauen den Transitverkehr für einen großen Teil russischer Frachttransporte gesperrt. Vorwürfe von russischer Seite, dass es sich dabei um eine „Blockade“ handele, wies Litauen zurück. Mit dem Stopp setze es lediglich EU-Sanktionen um, so die Regierung.

Drei Tage später, am Dienstagmorgen, wurde der EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer, ins russische Außenministerium einbestellt. Man habe ihm „entschiedenen Protest wegen der einseitigen antirussischen Beschränkungen des Gütertransits zwischen dem Gebiet Kaliningrad und dem Rest der Russischen Föderation erklärt“, so das Außenministerium.

Derartige Aktionen seien unzulässig, verstießen gegen die rechtlichen und politischen Verpflichtungen der Europäischen Union und hätten eine Eskalation der Spannungen zur Folge. Sollte Litauen nicht unverzüglich einen normalen Transit ermöglichen, werde man Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

Und Putins Sprecher Dmitri Peskow bezeichnete die Entscheidung Litauens als „beispiellos und illegal“. Für Andrei Klischas, Mitglied des Russischen Föderationsrats, sind nun die Voraussetzungen „für harte und absolut gerechte Maßnahmen“ von Russland erfüllt. Für ihn sei die faktische Blockade durch Litauen eine Verletzung der Souveränität Russlands, so Klischas auf Telegram. In einem weiteren Post betont er, dass sich Litauen in den letzten Jahren nie als unabhängiger Staat etabliert habe.

Harte wirtschaftliche Maßnahmen gegen Litauen fordert auch der Pressedienst der russischen Liberaldemokratischen Partei. Man müsse litauischen Lastwagen einen Aufenthalt auf russischem Gebiet verbieten. Außerdem könne man Litauen, das aus technischen Gründen nach wie vor in einem gemeinsamen Stromnetz mit Russland, Belarus und den baltischen Staaten verbunden ist, den Strom abknipsen.

Litauen bestreitet Blockade

Die litauische Regierung bestreitet, das Gebiet Kaliningrad zu blockieren. Man setze lediglich die EU-Sanktionen um. Am 17. Juni seien die Maßnahmen des vierten Sanktionspakets in Kraft getreten, so die litauische Regierung. Und diese sähen nun mal Restriktionen für die Einfuhr und den Transit von russischen Stahl- und anderen Eisenmetallprodukten in die EU vor. Litauen wende die restriktiven Maßnahmen der EU im Einklang mit dem EU-Recht und in Absprache mit der Europäischen Kommission an.

Auch die Ukraine unterstützt Litauen. „Die Russische Föderation hat kein Recht, Litauen zu bedrohen. Moskau hat sich die Folgen der unprovozierten und ungerechtfertigten Invasion in die Ukraine selbst zuzuschreiben. Wir begrüßen die prinzipielle Haltung Litauens und unterstützen unsere litauischen Freunde nachdrücklich“, schrieb Außenminister Kuleba auf Twitter.

Für das Gebiet Kaliningrad sind diese Transporteinschränkungen deutlich spürbar. Das Volumen der Lieferungen in das Gebiet könnte nun um das Vierfache sinken, zitiert das Nachrichtenportal RIA Novosti den ehemaligen Vizepräsidenten der Kaliningrader Industrie- und Handelskammer, Dmitri Chemakin. Der Gouverneur der Region Kaliningrad, Anton Alichanow, geht laut RIA Novosti, von einem Ausfall von 40 bis 50 Prozent der zu transportierenden Güter aus. Dabei dürfte es sich vor allem um auf der EU-Sanktionsliste stehende Güter wie Kohle, Metalle und Baumaterialien handeln.

Die EU hat sich im Streit über russische Warenlieferungen nach Kaliningrad hinter Litauen gestellt. Die Maßnahmen seien von den im Juni erlassenen Sanktionen gedeckt, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Dabei gehe es nicht nur um den Export aus Russland, sondern auch um den Transit durch ein EU-Land. „Litauen macht es genau so, wie man es machen muss“, betonte der Chefsprecher von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Chefsprecher von Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen

„Litauen macht es genau so, wie man es machen muss“

Genau daran waren zunächst Zweifel aufgekommen. Noch am Montagabend hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärt, er wolle noch einmal gegenchecken, ob Litauen sich an die Richtlinien der Kommission halte. Zugleich betonte er, dass es nicht um eine „Blockade“ gehe, wie Moskau behauptet. Das sei „reine Propaganda“, so Borrell. Der Transit von Passagieren und Gütern nach Kaliningrad gehe normal weiter, betroffen seien nur sanktionierte Waren.

Zur letztlich entscheidenden Frage, ob Litauen und die EU mit ihrem Verhalten zu einer Eskalation um Kaliningrad beitragen, wollte sich niemand in Brüssel äußern. Alle verstecken sich hinter den gemeinsam beschlossenen Sanktionen und der EU-Kommission. Ein vorsichtiges Signal der Entspannung kam aber vom EU-Botschafter in Moskau, Markus Ederer. Der deutsche Diplomat rief die russische Regierung dazu auf, den Streit mit diplomatischen Mitteln zu ­lösen.

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