Religiöse Rechte in den USA: Herrschaft der Minderheit

Die politisch-religiöse Rechte in den USA hat gesiegt. Nach dem Abtreibungsrecht widmet sie sich dem Abbau weiterer Bürgerrechte.

Eine Frau umarmt eine andere Frau vor dem Supreme Court in Washington

Stiller Protest nach der Entscheidung des Supreme Court Foto: Evelxn Hockstein/reuters

Das verfassungsmäßig geschützte Recht auf Abtreibung, das seit Jahrzehnten landesweit existierte, ist in den USA seit vergangener Woche Geschichte. Der Supreme Court legte die Entscheidung über das Recht auf Abtreibung in die Verantwortung der Bundesstaaten. Die Folgen für Frauen und Schwangere sind katastrophal und traten teils sofort ein. Insgesamt wird Abtreibung in etwa 26 Staaten ganz verboten oder so eingeschränkt, dass sie damit effektiv illegal wird.

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Doch das ist der religiösen und politischen Rechten noch nicht genug: Einzelne Bundesstaaten überlegen bereits, Schwangeren zu verbieten, eine Abtreibung in einem anderen Bundesstaat vornehmen zu lassen, wo sie noch legal sind. Andere versuchen, bestimmte Verhütungsmittel zu kriminalisieren und Abtreibung strafrechtlich als Mord verfolgen zu lassen. Ein kleiner Lichtblick: Bundesrichter haben entsprechende Gesetze in Louisiana, Utah und Texas gestoppt, wenn auch nur vorerst. Für den Moment nehmen die Kliniken dort nach Medienberichten ihre Arbeit also wieder auf, wenn auch eingeschränkt.

Für die amerikanische Rechte war der Freitag letzter Woche ein Jubeltag. Einige von ihnen tauchten vor dem Obersten Gerichtshof auf, samt den passenden Schildern. „Abtreibung ist rassistisch – überzeug mich vom Gegenteil!“und „Abtreibung ist Mord“, war da zu lesen. Das Urteil des Obersten Gerichtshofs ist das Ergebnis eines jahrzehntelangen politischen Projekts religiöser und erzkonservativer Gruppierungen. Für sie ist Amerika ein christliches Land – gegründet von und für weiße Christen.

Die Agenda gegen Abtreibungen entspringt auch einem empfundenen demografischen Druck

Nur ein Christ – und zwar einer, der ihre eigenen rechtskonservativen Ansichten teilt – kann ein „wahrer“ Amerikaner sein. Schwarze Rechtskonservative sind gern gesehen – allerdings nur, wenn sie das politische Projekt der weißen, christlichen patriarchalen Hegemonie unterstützen. So schützt man sich zugleich vordergründig vor (begründeten) Rassismusvorwürfen. Diese Verschmelzung von nationaler und christlicher Identität ist das Herzstück des christlichen Nationalismus.

White ­Supremacy als zentraler Bestandteil

Bekannte Figuren des weißen Evangelikalismus wie der Prediger Jerry Falwell begannen erst Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre damit, sich den Kampf gegen Abtreibung auf die Fahnen zu schreiben. Davor hatte die Bewegung unter anderem gegen die Aufhebung der Segregation an Schulen und den drohenden Verlust des steuerfreien Status segregierter christlicher Privatschulen mobilisiert – sowie gegen die Ausweitung der Bürgerrechte und Feminismus. Die Koalition, die sie mit rechten Katholiken eingingen – die schon seit Jahrzehnten legale Abtreibung bekämpften –, um sich gemeinsam auf einen Kreuzzug gegen Abtreibung zu begeben, war folgenreich: Sie hat unter anderem zur aktuellen Besetzung des ­Supreme Court geführt.

Es geht hier jedoch nicht um „ungeborenes Leben“, nicht um die Reduktion der Anzahl von Abtreibungen. Studien zeigen immer wieder, dass ein solches Verbot die Zahlen nicht sinken lässt – sondern die Anzahl derer, die bei illegalen Abtreibungen sterben, steigen lässt. Weshalb also will die religiöse Rechte Abtreibungen verbieten? Ihr geht es um Macht und Kontrolle: Innerhalb ihres Weltbilds haben Frauen (trans Männer, die ebenfalls schwanger werden können, existieren in dieser Vorstellung gar nicht) nur einen gottgegebenen Platz: zu Hause, als Mutter.

Das Amerika des weißen, christlichen Nationalismus ist ein zutiefst patriarchales. Denn auch beim weißen, christlichen Nationalismus geht es vorrangig um Macht. Um politische Macht, aber auch um den Erhalt einer kulturellen Deutungshoheit. Und auch wenn sich die Antiabtreibungsbewegung gern als Erbin der Schwarzen Bürgerrechtsbewegung sieht und sich deren Vokabular aneignet, ist White ­Supremacy ein zentraler Bestandteil.

„Der Antiabtreibungsrhetorik liegt die Idee zugrunde, dass weiße Frauen mehr Babys bekommen sollten, um die weiße Nation aufzubauen“, sagte Dorothy Roberts, Direktorin des Penn Program on Race, Science & Society, gegenüber MSNBC. Die Agenda gegen Abtreibungen ist immer auch vor dem Hintergrund eines empfundenen demografischen Drucks zu sehen, den die amerikanische Rechte seit ihrer Entstehung spürt.

Der Krieg geht weiter

Schon damals war klar: Auf Dauer würde man keine numerischen Mehrheiten im Land mehr gewinnen können. Daher entschied man sich, statt die eigenen Positionen zu moderieren und mehr Wähler zu überzeugen, für den antidemokratischen Weg: die Festigung der Herrschaft einer Minderheit durch die Ausspielung oder Manipulation des amerikanischen politischen Systems.

Es ist kein Zufall, dass die religiöse Rechte sich so um sinkende (weiße) Geburtenraten sorgt. Mittlerweile ist die Radikalisierung der Rechten so weit fortgeschritten, dass selbst der stille Teil laut gesagt wird. So, wie die Kongressabgeordnete Mary Miller es vergangene Woche auf einer Trump-Wahlkampfkundgebung tat: „Das war ein großer Sieg für weißes Leben“, verkündete sie anlässlich des Supreme-Court-Urteils unter dem Jubel der Menge, während Trump lächelte.

Doch das politische Projekt der religiösen und politischen Rechten ist noch längst nicht am Ende angelangt. Wer glaubt, sie würden sich mit diesem Sieg zufriedengeben, irrt – und hört ihnen nicht richtig zu. Clarence Thomas, einer der Obersten Richter, bestätigt in seiner Stellungnahme zur Abtreibung das, wovor Ex­per­t*in­nen gewarnt hatten: dass der Supreme Court sich jetzt mit der Legalität von Verhütungsmitteln (Griswold v. Connecticut), der Kriminalisierung von Homosexualität (Lawrence v. Texas) und der gleichgeschlechtlichen Ehe (Obergefell v. Hodges) befassen müsse – implizierend, diese Urteile seien ebenfalls falsch gefällt worden. Die religiöse Rechte hat einen großen Sieg errungen. Aber der Krieg geht weiter – den haben sie den seit den 1950er Jahren festgeschriebenen Bürgerrechten bereits erklärt.

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