US-Urteil zum Recht auf Abtreibung: Mitschuld der Demokrat*innen
„Roe v. Wade“ sorgte für trügerische Sicherheit. Die Demokrat*innen versäumten es, das Recht auf Abtreibung gesetzlich zu verankern.
Nancy Pelosi etwa, die demokratische Chefin des Repräsentantenhauses, sagte: „Irren Sie sich nicht – wir Demokrat*innen werden hart darum kämpfen, Roe v Wade in den Gesetzen des Landes zu verankern.“ Und sie fügte hinzu: „Auch das steht bei den Wahlen im November auf dem Stimmzettel.“
Diese Aussage zeigt ein Dilemma der Demokratischen Partei. Denn diesen Schritt, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch nicht nur durch ein Gerichtsurteil, sondern durch ein ordentliches Gesetz verankert zu haben, hätten demokratische Mehrheiten, die es in den letzten 50 Jahren ja immer mal wieder gab, schon längst gehen können.
Aber Roe v. Wade machte es scheinbar überflüssig, dem Thema oberste Priorität zu geben. Bis zur Amtszeit Donald Trumps hatte der Supreme Court eine liberale Mehrheit, von dort schien keine Gefahr zu drohen. Zumal hatte sich auch erst in den letzten 15 bis 20 Jahren die Abtreibungsfrage als einer der Rechts-links-Unterschiede bei den Richterbesetzungen herausgestellt: Die Mehrheit des Supreme Court, die 1973 das Roe-v.-Wade-Urteil fällte, war von republikanischen Präsidenten nominiert worden.
Zu befürchten war ja scheinbar nichts
Das alles änderte sich erst, als die Republikaner*innen merkten, dass die Mobilisierung der in den 1990er Jahren erstarkten rechts-evangelikalen Wähler*innengruppen vielerorts der einzige Schlüssel zu republikanischen Wahlsiegen war. Und für diese Gruppen war das hochideologische „Lebensschutz“-Thema von größter Bedeutung. Das führte umgekehrt allerdings nicht dazu, dass die demokratische Seite sich in Wahlkämpfen ihrerseits lautstark für die Frauenrechte starkgemacht hätte – sondern im Gegenteil in eher konservativen Staaten das Thema vermied, um der Gegenseite nicht noch Mobilisierungshilfe zu geben. Und zu befürchten war ja nichts: Es gab ja Roe v. Wade.
2016 änderte sich das noch einmal schlagartig. Rund neun Monate vor der Präsidentschaftswahl, die letztlich Donald Trump ins Amt befördern sollte, starb der konservative Richter Antonin Scalia – und die Republikaner im Senat verhinderten, dass der damalige Präsident Barack Obama ihn durch den liberalen Merrick Garland ersetzen konnte. Stattdessen kam dann unter Trump der konservative Neil Gorsuch, mit dem Rücktritt des Liberalen Anthony Kennedy und seinem Nachfolger Brett Kavanaugh kippte die Mehrheit nach rechts, und mit dem Tod von Ruth Bader Ginsburg kurz vor Ende von Trumps Präsidentschaft, als die Republikaner Amy Coney Barrett im Eilverfahren durchpeitschten, stand es 6:3 für die Rechten – mit dem Ergebnis der Entscheidung vom Freitag.
Jetzt rächt es sich, dass die Demokrat*innen sich eben nicht rechtzeitig um tragfähige Bundesregeln bemüht haben, als das noch möglich gewesen wäre. Das Urteil ist ein Werk der Republikaner*innen, aber dass die Folgen so hart sind, verantwortet auch die Demokratische Partei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen