Mögliche Maßnahme für Rentenausgleich: Ein perfider Vorschlag

BDI-Chef Russwurm will die Wochenarbeitszeit verlängern, um Renten zu sichern. Der Vorstoß ist aus der Zeit gefallen. Besser wäre eine Umverteilung.

Ein Mann tippt in einem Büro auf einer Tastatur

Rentenausgleich durch erhöhte Wochenarbeitszeit auf 42 h – eine rückwärtsgewandte Idee Foto: Daniel Naupold/dpa

Europas Volkswirtschaften überaltern. Derzeit kommen in der EU nur noch drei Menschen im arbeitsfähigen Alter auf eine Person über 65, und das Verhältnis verschärft sich weiter. In Deutschland sind zudem die Jahrgänge im Alter zwischen 51 und 60 Jahren die mit Abstand geburtenstärksten.

„Wenn die Babyboomer in Rente gehen, geht diesem Land massiv Arbeitskraft verloren, und schon heute fehlen uns an vielen Stellen Arbeitskräfte“, sagte jüngst Siegfried Russwurm, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). Geht es nach Russwurm, soll Deutschland diesen Schwund mit einer Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden beantworten.

Eine bemerkenswerte Forderung in einem der reichsten Länder einer Welt, die psychisch wie ökologisch an ihrer Überproduktivität krankt. Verschiedene nord- und westeuropäische Staaten prüfen die Einführung einer vier-Tage-Woche. Immer weiter auf Wachstum zu setzen, ist eine rückwärtsgewandte Reaktion. Auch weniger Menschen können aufgrund der hohen Produktivität in Deutschland genug Wohlstand produzieren.

Die Befürchtung, es gäbe dann nicht mehr genügend arbeitende Menschen, die die Renten finanzieren, greift zu kurz. Ein höherer Bedarf ließe sich auch über eine höhere Besteuerung reicher Menschen lösen. Denn wenn es Deutschland an einem nicht mangelt, dann ist es Reichtum. Das Problem ist, dass er sehr wenigen Menschen gehört: Über zwei Drittel des deutschen Gesamtvermögens konzentrieren sich auf zehn Prozent der Bevölkerung, und über die Hälfte davon wiederum auf das reichste Prozent.

Produktivität ist nicht das Problem

Diese Verteilung ist es, die das Rentensystem gefährdet. Das Argument, eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen im Ruhestand seien und immer weniger arbeiteten, könne sich nur durch noch mehr Arbeit weiterhin versorgen, verliert seit Beginn der Industrialisierung vor über 150 Jahren mit jedem Tag an Gültigkeit. Industrieländer produzieren im 21. Jahrhundert bei Weitem genug, um alle ihre Einwohner auf einem hohen Standard zu versorgen, würden die Güter gerechter verteilt.

Und auch der Fachkräftemangel wird durch eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit nicht sinnvoll bekämpft. Fehlt es an Hand­wer­ke­r*in­nen und Pfle­ge­r*in­nen, In­ge­nieu­r*in­nen und Wissenschaftler*innen, dann liegt das zunächst einmal nicht daran, dass es keine Menschen gibt, die die Berufe ausüben würden, sondern daran, dass sie zu unattraktiv sind.

Die Lösung dafür sollte nicht sein, dass die bestehenden Fachkräfte noch mehr arbeiten, sondern Anreize, die die entsprechende Karrieren begehrter machen. Höhere Löhne im Handwerk, bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, eine Verlängerung der Bafög-Höchstdauer für Ingenieursstudiengänge, die kaum jemand in Regelstudienzeit schafft, und mehr unbefristete Arbeitsverträge an Universitäten wären nur einige Vorschläge.

Vor diesem Hintergrund erscheint es perfide, arbeitende Menschen zu noch mehr Arbeit verdonnern zu wollen – der Vorschlag wirkt angesichts des riesigen Wohlstands wie aus einer anderen Zeit.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1998, studiert Volkswirtschaftslehre in Berlin und Mannheim. Will technologische und wirtschaftspolitische Antworten auf die Klimakrise finden.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.