Streit über Hamburger Holocaust-Denkmal: Mahnmal soll weg

Ein Schlosser hat ein Denkmal mit fragwürdigem Text vor ein einstiges Hamburger ZwangsarbeiterInnenlager gestellt. Nun will es keiner entsorgen.

Denkmal "Schraubzwinge" vor Hauswand von Lagerhau G

Umstritten: Bardehles „Schraubzwinge“ vor dem einstigen ZwangsarbeiterInnenlager im Lagerhaus G Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Der Vorplatz wirkt wie eine Hafenbrache, mit LKW-Fahrgestellen, Containerhälften, alten Autos, allerlei Müll. LKW donnern im Sekundentakt vorbei. Unwirtlich ist es vor dem Eingang zum Lagerhaus G im Hamburger Hafen. Ein Teil des 24.000 Quadratmeter großen denkmalgeschützten Gebäudes von 1903 ist eingezäunt. Nur zwei kleine Messingschilder erwähnen, dass dies ein Außenlager des KZ Neuengamme war, wo 1944/1945 mehrere tausend Kriegsgefangene und ZwangsarbeiterInnen sowie italienische Militär­internierte kaserniert waren.

Doch ein würdiges Gedenken fehlt bislang. Stattdessen hat die Stadt das Gebäude privatisiert; aktuelle Eigentümerin ist die Lagerhaus Heritage KG, die ein Mischkonzept aus kommerzieller Nutzung und Gedenkort will. Doch die Planungen stagnieren. Die Initiative Dessauer Ufer, 2017 von StudentInnen und StadtteilaktivistInnen gegründet, kritisiert das seit Längerem und moniert auch, dass keine Räume für Stadtteil-Aktivitäten vorgesehen sind.

Und als sei das nicht schwierig genug, steht seit einigen Monaten ein umstrittenes Mahnmal vor dem Lagerhaus G, für dessen Entfernung sich niemand zuständig fühlt. Es ist eine fünf Meter hohe stählerne Schraubzwinge, in die ein Kind in Häftlingskleidung geklemmt ist. Geschaffen hat sie der Bergedorfer Schlosser Carsten Bardehle nach einem Entwurf der Schülerin Ella Nora Sloman, die 2011/2012 einen Wettbewerb gewann. Sie hatte allerdings einen Erwachsenen dort eingeklemmt und auch keine Texte vorgesehen.

Bardehle hat den Entwurf verändert

Das hat Bardehle geändert. Er hat neben großen unkommentierten KZ-Zitaten wie „Arbeit macht frei“ und „Jedem das Seine“ eine Tafel verfasst, auf der unter anderem steht: „Erinnerung an 1.500.000 Kinder, die in 5 Jahren WKII gezielt getötet wurden. Das wurde von Nazi-Akademikern geplant und mit Hilfe der Verwaltung ausgeführt. Es sind und waren habgierige Agitatoren, die ein ganzes Volk gegen eine Minderheit … aufgehetzt haben und aufhetzen werden … Die alten und neuen … Menschenschlächter … sind die Faulen, Arbeitsscheuen, Habgierigen.“

Wer mit „Nazi-Akademikern“ gemeint sei, bleibe unklar, schreibt die Antisemitismusforscherin Rosa Fava. Die Benennung von „Akademikern“, ohne deren Berufe zu nennen, deute darauf hin, das es nicht um konkrete Tätergruppen gehe, sondern um eine akademische, von der Bevölkerung abgespaltene Elite. „Hier offenbart sich ein gewisser Antiintellektualismus, der mit Antisemitismus meist einhergeht.“

Zudem negiere die Reduktion der NS-Täterschaft auf eine kleine Gruppe die breite Zustimmung eines großen Teils der Deutschen zum Nationalsozialismus, ergänzt die Initiative Dessauer Ufer. Auch seien Zuschreibungen wie „arbeitsscheu“ und „habgierig“ gefährlich, da die Nationalsozialisten Menschen mit ähnlichen Zuschreibungen als sogenannte „Asoziale“ verfolgten und ermordeten, etwa in der „Aktion Arbeitsscheu Reich“ von 1938.

Ähnlich kritisch sieht es die AG Gedenken des Bezirks Bergedorf, dem Bardehle die „Schraubzwinge“ zunächst anbot. „Wir haben Herrn Bardehle gesagt, dass ein solcher Text im öffentlichen Raum der Kommentierung bedarf“, sagt der Neuengammer Pastor Hanno Billerbeck. „Wir boten ihm unsere Hilfe an, aber er hat sich nicht wieder gemeldet.“ Auch mit der Stiftung Hamburger Gedenkstätten habe Bardehle weder Rücksprache gesucht noch den Wunsch nach Beratung geäußert, sagt deren Direktor Detlef Garbe.

Dass das Mahnmal weg muss, scheint Konsens

Schließlich hat Bardehle die „Schraubzwinge“ Güven Polat angetragen. Polat ist Sprecher der Eigentümergemeinschaft, der Lagerhaus Heritage KG. „Herr Bardehle erklärte mir am Telefon, dass die Skulptur auf dem Dach des Lagerhaus G gut aussehen würde und ein Blickfang wäre“, sagt Polat. „Da er sich sichtlich bemühte, wollte ich ihn nicht einfach abspeisen. Ich berichtete ihm von der geplanten Gedenkveranstaltung für italienische Militärinternierte am 8. September 2021 – und dass er es vielleicht lieber dort oder bei der Hafencity GmbH versuchen sollte.“

Den Text habe er im Trubel nur beiläufig zur Kenntnis genommen, sagt Polat. Die Initiative Dessauer Ufer aber sehr wohl: „Wir begrüßen, dass vor Ort an die Verfolgten im NS erinnert werden soll, halten dieses Denkmal jedoch für kontraproduktiv, unangemessen und nicht tragbar“, heißt es dort. Auch die Hamburger Kulturbehörde findet, dass ein Gedenken an diesem historischen Ort „auf Grundlage der aktuellen historischen Forschung beruhen und möglichst breit getragen sein“ sollte.

Dass das Mahnmal weg muss, scheint also Konsens, aber das kann dauern. Polat sagt, er sei selbst überrascht gewesen, dass Bardehle die Schraubzwinge nicht wieder entfernt und stattdessen vom öffentlichen Boden vor dem Lagerhaus auf die Rampe gestellt habe. „Auf meine Aufforderungen, es zu entfernen, hat er nicht reagiert und gesagt, er sei seit einem Betriebsunfall zu 50 Prozent geistig behindert. So jemanden verklage ich doch nicht.“

Die Gebäudeeigentümerin wende sich klar gegen jede Relativierung der Shoah und gegen Antisemitismus, sei für den Abtransport jedoch nicht zuständig, da sie keinen vertraglichen Zugriff auf die vorderen Flächen habe, sagt Polat.

Komplizierte Rechtslage

Juristisch ist die Sache tatsächlich kompliziert: Die Rampe, auf der die Schraubzwinge steht, schwebt über öffentlichem Grund – dem der Hafen City GmbH. Somit wäre eigentlich die Stadt Hamburg für den Abtransport zuständig. Kulturbehördensprecher Enno Isermann schreibt aber, das Werk sei auf private Initiative aufgestellt worden. Und ob die Rampe öffentlicher Raum sei, werde derzeit geprüft.

Bardehle selbst gibt sich zu­geknöpf­t: Auf Fragen nach dem Abtransport antwortet er nicht. Solche nach Intention und Wortwahl des Textes kontert er mit der Bemerkung, man habe „den Sinn der Skulptur mit ihrer Beschriftung nicht verstanden“ und stelle überhaupt unintelligente Fragen.

Wie es weiter geht, ist offen. „Wir wollen den Konflikt nicht eskalieren lassen“, sagt Thomas Käpernick von der Initiative Dessauer Ufer. „Wir wollen nur, dass das Denkmal entfernt wird.“

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