Dokumentarfilm „Lagerhaus G“: Das KZ in Hamburgs Hafen

Das „Lagerhaus G“ am Kleinen Grasbrook in Hamburg soll eine Gedenkstätte werden, verfällt aber zunehmend. Seine Geschichte erzählt nun ein Film.

Das „Lagerhaus G“ in Hamburg.

Geschichtsträchtig, aber dem Verfall überlassen: Das „Lagerhaus G“ in Hamburg Foto: Markus Fiedler

BREMEN taz | „Auf der Erde saßen wir!“ sagt die 93-jährige Edith Kraus und deutet auf einen Steinhaufen in einem dunklen Kellergewölbe. Und „dabei rannten die Ratten über uns her!“. Vor einigen Jahren hat sie noch einmal den Ort besucht, an dem sie Ende des Zweiten Weltkriegs als jüdische Zwangsarbeiterin interniert war, und bei den Bombenangriffen in dem nassen und dunklen Keller des „Lagerhaus G“ Schutz suchen musste.

Aus Auschwitz war sie mit einer Gruppe Frauen in Viehwagen nach Hamburg gefahren worden. Im Außenlager des KZ Neuengamme am Dessauer Ufer wurde sie dann neben italienischen Militärinternierten gefangengehalten. Über eine halbe Million von diesen Skla­ven­ar­bei­te­r*in­nen gab es damals alleine in Hamburg, und der Filmemacher Markus Fiedler sagt, es wäre schwierig, einen Hamburger Betrieb aus dieser Zeit zu finden, in dem keine Zwangs­ar­bei­te­r*in­nen eingesetzt wurden.

Diese Tatsachen sind auch heute noch nur wenigen ein Begriff. Auch Fiedler waren sie im Jahr 2015 noch unbekannt, als er seine Dreharbeiten über das historische Gebäude „Lagerhaus G“ begann.

Schon damals drohte der Abriss, denn zu dieser Zeit hatte sich Hamburg für die Olympischen Sommerspiele 2024 beworben, und auf dem Gebiet des ehemaligen Freihafens hätten Sportstätten sowie das olympische Dorf entstehen sollen. Das „Lagerhaus G“ hatte allerdings einen Besitzer, und dieser Lothar Lukas war solch ein bunter Vogel und rebellischer Geist, dass Fiedler in ihm einen guten Protagonisten erkannte, der solch einen Film über ein Gebäude mit Leben erfüllen könnte. Dies wird auch einer der Gründe dafür gewesen sein, warum Fiedler seine filmische Recherche über die Immobilie begann.

Plötzlich wirkt das Lagerhaus gespenstisch – wie verlassen von den Lebendigen

Der Speicher wurde im Jahr 1903 gebaut, als das Gelände zum Freihafen deklariert wurde: Viele Unternehmen deponierten in der Folge dort ihre Waren, um so die Zollgebühren zu vermeiden. Jahrzehntelang hat die Firma Reemtsma dort Tabak gelagert: Auch dies erwies sich als ein Glücksfall für Markus Fiedler, denn Jan Philipp Reemtsma erklärte sich bereit, vor dessen Kamera Auskunft zu geben – und dies nicht nur als Erbe des Tabakunternehmens, sondern auch als Sozialwissenschaftler, der im Film kundig und pointiert über die Themen Zwangsarbeit in Hamburg und die Erhaltung historischer Gebäude spricht.

Zuerst interessierte Fiedler sich vor allem für den Kampf von Lothar Lukas gegen die Hamburger Hafenbehörden. Das Dilemma bei Gebäuden auf dem Hafengebiet besteht darin, dass die Stadt immer der Besitzer des Grundstücks bleibt, dem Eigentümer also nur das Haus, nicht aber der Boden gehört.

Für Fiedler erledigte sich dieses Problem, als die Ham­bur­ge­r*in­nen sich bei einer Volksabstimmung gegen die olympischen Spiele in ihrer Stadt entschieden. Doch inzwischen gibt es neue Eigentümer, und auch diese sind nun in einen jahrelangen Rechtsstreit mit der Hamburg Port Authority verwickelt, die auf dem ehemaligen Freihafengebiet gerne ein Viertel mit Luxuswohnungen bauen lassen würde.

Erst im Laufe seiner Recherchen fand Fiedler heraus, dass das Lagerhaus G ein Internierungslager für Zwangs­ar­bei­te­r*in­nen war. Und dadurch veränderte sich der Fokus seines Films. Mit Edith Kraus und Livia Fränkel aus Rumänien fand er zwei Frauen, die erschütternd und sehr anschaulich von ihrer Zeit im Lagerhaus berichten konnten. Und es bildete sich eine Initiative, die sich dafür einsetzt, dass das Gebäude erhalten und in eine Gedenkstätte umgewandelt wird. Fiedler ist selber Mitglied dieser Initiative, er ist also nicht nur Beobachter, sondern auch interessierter Beteiligter.

Filmisch macht er diese Unschärfe deutlich, indem er auf dem fahrenden Fahrrad Aufnahmen von einer Fahrraddemo der Initiative macht, er also zugleich daran teilnimmt und sie dokumentiert. Auch sonst spielt er mit den Konventionen des Dokumentarfilms. So vertauscht Jan Philipp Reemtsma einmal die Rollen von Fragendem und Befragtem, um Fiedler nun seinerseits einmal „auf den Zahn zu fühlen“.

Der Film läuft im Rahmen der dokumentarfilmwoche hamburg (20.-24. April) am 24.4. um 15.30 Uhr im Metropolis Kino.

Als einfallsreicher Filmemacher zeigt sich Fiedler auch, wenn er von dem überraschend schnellen Tod seines ursprünglichen Protagonisten Lothar Lukas erzählt. Nach einem letzten Gespräch mit ihm folgen ein paar Aufnahmen von seinen nun leeren Büroräumen. Da wirkt das Lagerhaus dann plötzlich gespenstisch – wie verlassen von den Lebendigen. Und auch für Edith Kraus ist es ja ein Ort des Schreckens und der Angst.

Heute steht es unter Denkmalschutz und der Hamburger Koalitionsvertrag schreibt fest, dass es in eine Gedenkstätte umgewandelt werden soll. Fiedler nennt es eine „strategische Entscheidung“, den Film jetzt herauszubringen. „Jetzt muss man was machen“, sagt er. Denn die Bausubstanz sei inzwischen so gefährdet, dass es in ein paar Jahren „nichts mehr zu restaurieren geben würde“.

Nun haben alle politischen Fil­me­ma­che­r*in­nen die Hoffnung, mit ihren Werken etwas zu bewegen. Gelungen ist Fiedler auf jeden Fall, am Beispiel eines Gebäudes Hamburger Geschichte so komplex und lebendig zu erzählen, dass sie nicht mehr vergessen werden kann.

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