Drohende Auslieferung von Assange: Das Schweigen der EU

Die Justiz ist durch mit dem Fall Assange. Nun muss die europäische Politik Farbe bekennen zum Schutz von ihm und anderen Whistleblowern.

Ein Demonstrant mit Anonymous-Maske und einem Schild das Julian Assange mit Maulkorb zeigt

Protest gegen die erlaubte Auslieferung von Julian Assange in London am 20.04.2022 Foto: Wiktor Szymanowicz/imago

Was sagt die Europäische Union zu Julian Assange? Was tut sie für den prominenten Wikileaks-Gründer und Whistleblower, der schwerkrank im Londoner Hochsicherheitsknast Belmarsh einsitzt und dem in den USA bis zu 175 Jahre Haft drohen?

Wir wissen es nicht. Denn die EU schweigt. Weder die eigentlich zuständigen EU-Kommissare Věra Jourová und Didier Reynders noch Ratspräsident Charles Michel wollen den Fall kommentieren. Auch das Europaparlament sagt nichts dazu.

Dabei wäre diese Woche eine gute Gelegenheit gewesen, endlich mal den Mund aufzumachen. Ein britisches Gericht hat formell die umstrittene Auslieferung in die USA genehmigt. Nur Innenministerin Priti Patel kann Assange jetzt noch retten. Der Fall ist damit endgültig zum Politikum geworden. Die Justiz ist durch, nun muss die Politik Farbe bekennen. Und das nicht nur in Großbritannien, wo Patel eine historische Entscheidung treffen muss – hoffentlich gegen die Auslieferung.

Auch die EU ist gefordert, für europäische Werte wie die Meinungs- und Pressefreiheit einzutreten und Assange vor dem absurden Vorwurf der Spionage zu retten. Wenn sie es nicht bald tut, verspielt sie endgültig ihre Glaubwürdigkeit. Die ist leider schon jetzt angekratzt. Seit die EU-Kommission Anfang März die russischen Staatsmedien RT und Sputnik verboten hat, ist die Freiheit der Presse eingeschränkt. Sogar die EU-Grundrechtecharta wurde verletzt.

„Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die (…) Freiheit ein, Informationen und Ideen (…) ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben“, heißt es in Artikel 11. Er wurde missachtet. Im Fall Assange droht nun der nächste, noch härtere Schlag. Denn hier geht es nicht „nur“ um Fake News aus Russland, sondern um Enthüllungen aus den USA und aus allen Ländern, in denen die Amerikaner aktiv sind.

„Wenn Assange an die USA ausgeliefert wird, müssen Journalisten weltweit immer genau schauen, ob sie Informationen veröffentlichen, die US-Interessen schaden“, warnt Amnesty International. Alle Reporter hätten dann die Schere im Kopf.

So weit darf es nicht kommen. Auch in Zukunft muss es erlaubt sein, US-Kriegsverbrechen wie die Folter im Gefängnis von Abu Ghraib und gezielte Luftangriffe auf Zivilisten im Irakkrieg aufzudecken. Wir brauchen nicht einen, sondern viele Assanges.

Dies gilt auch und gerade vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs. Die EU will die russischen Kriegsverbrechen untersuchen und bestrafen. Dasselbe muss für amerikanische Vergehen gelten. Zweierlei Maß darf es nicht geben, schon gar nicht in der EU.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.