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Auslieferung von Julian AssangeDas Verfahren gehört eingestellt

Bernd Pickert
Kommentar von Bernd Pickert

Zurecht verurteilt der Westen fehlende Medienfreiheit in Russland. Aber überzeugender wäre er, wenn Wikileaks-Gründer Julian Assange frei wäre.

Wikileaks-Gründer Julian Assange kämpft in London gegen seine Auslieferung an die USA Foto: Matt Dunham/ap

D ie Entscheidung in Großbritannien, Wikileaks-Gründer Julian Assange im Streit um seine Auslieferung an die USA den Gang zum Obersten Gerichtshof zu verwehren, ist noch nicht das Ende der juristischen Auseinandersetzung. Ein schwerer Rückschlag für den 50-Jährigen ist es dennoch.

Denn die Obersten Rich­te­r*in­nen entziehen damit Assanges erfolgversprechendster Argumentationslinie der letzten zwei Jahre den Boden: Dass nämlich seine psychische Gesundheit durch eine Auslieferung derart gefährdet sei, dass ein Suizid in US-Haft wahrscheinlich wäre.

Auf dieser Basis hatte im Januar 2021 eine untergeordnete Instanz entschieden, dass Assange nicht ausgeliefert werden dürfe. Die USA reichten daraufhin diverse Versprechen einer sicheren und humanen Behandlung ein, woraufhin der High Court im Dezember die Entscheidung widerrief. Assanges Versuch, das gleiche Argument nunmehr vor dem Supreme Court entscheiden zu lassen, ist mit dessen Ablehnung, den Fall mangels überzeugender Rechtsgründe überhaupt zu verhandeln, gescheitert.

Das ist schlecht für Assange, aber womöglich gut für all die Werte und Prinzipien, die mit dem Fall verbunden sind. Denn auch wenn die Gerichtsentscheidung gegen die Auslieferung vom Januar 2021 erst einmal aufatmen ließ – eigentlich waren es die vollkommen falschen Gründe. Jetzt hingegen wird Assanges Verteidigung zweifellos die zunächst vor unteren Instanzen vorgebrachten und gescheiterten Argumente wieder aufnehmen, die allein die 18 von den USA vorgebrachten Anklagepunkte gegen Assange als politisch motivierten Versuch der Mundtotmachung eines unbequemen Publizisten brandmarken.

Fall wieder da, wo er hingehört

Damit wäre der Fall wieder da, wo er hingehört: In der politischen Auseinandersetzung um Pressefreiheit und deren Grenzen.

Zur Erinnerung: Im Kern geht es um Wikileaks-Veröffentlichungen geheimer US-Dokumente aus den Jahren 2010 und 2011, die diverse Kriegsverbrechen der USA und der damaligen irakischen Sicherheitskräfte gegen Zivilbevölkerung belegen. Die Dokumente waren von Chelsea Manning an Wikileaks weitergereicht worden – Manning saß daraufhin ab 2010 in Haft, wurde aber vom damaligen Präsidenten Barack Obama schließlich 2017 begnadigt.

Das Verfahren gegen Assange hingegen, dem die USA vorwerfen, die Dokumente nicht nur veröffentlicht – und dadurch Menschenleben und US-Sicherheitsinteressen in Gefahr gebracht – sondern Manning aktiv beim Datenklau geholfen zu haben, wurde nie eingestellt. Sogar Chelsea Manning kam erneut in Beugehaft, um von ihr Assange belastende Aussagen zu erzwingen.

Verfahren gehört eingestellt

Es ist ein Zufall, dass die Nachricht über die Richterentscheidung gegen Assange zusammenfällt mit dem Video des Anti-Kriegs-Protestes der Mitarbeiterin Marina Owsjannikowa im staatlichen russischen Ersten Kanal. 6 Sekunden lang konnte sie ein Anti-Kriegs-Plakat in die Live-Kamera halten, dann wurde weggeblendet und sie selbst verhaftet.

Vollkommen zu Recht schließen westliche Regierungen, Menschenrechts- und Medienorganisationen die Reihen in der Verurteilung staatlicher russischer Propaganda und mangelnder Medien- und Berichterstattungsfreiheit. Die extreme Einschränkung von Berichten über den Angriffskrieg in der Ukraine, der nicht einmal „Krieg“ genannt werden darf, ist dabei ja nur die Zuspitzung einer medialen Gleichschaltung, die seit Jahren im Gange ist.

Aber wie viel überzeugender könnte der Westen argumentieren, wenn nicht gleichzeitig jemand, der massivste Kriegsverbrechen der Führungsmacht eben dieses Westens öffentlich gemacht hat, mit 175 Jahren Haft bedroht würde. Es bleibt dabei: Das Verfahren gegen Assange gehört eingestellt. Er muss endlich freigelassen werden, und zwar sofort.

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Bernd Pickert
Auslandsredakteur
Jahrgang 1965, seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion. Spezialgebiete USA, Lateinamerika, Menschenrechte. 2000 bis 2012 Mitglied im Vorstand der taz-Genossenschaft, seit Juli 2023 im Moderationsteam des taz-Podcasts Bundestalk. In seiner Freizeit aktiv bei www.geschichte-hat-zukunft.org
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14 Kommentare

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  • Assange ist ein Fall für internationale Auszeichnungen.

    Und nicht Auslieferungen.

    Eine Schande.

  • RS
    Ria Sauter

    Warum werden Vertreter der USA nicht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt?

    • @Ria Sauter:

      Weil die USA den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag nicht anerkennen und Ermittler mit Sanktionen belegen.

      • RS
        Ria Sauter
        @Frank Ropen:

        Ja, meine Frage war auch satirisch gemeint.



        Unfassbar, diese Verlogenheit unserer westlichen " Werte".

  • Naja, also Asange hat eine Internetplattform geschaffen, auf der auch die USA "verraten" wurde. Das hat nach westlicher Lesart nichts mit Pressefreiheit, sondern eben mit Verrat, zu tun. Etwas anderes wäre es natürlich, wenn dort ausschließlich russisches material zu finden wäre (natürlich nicht zu NorthstreamII), dann wäre er zwar ein Volksheld, aber vllt. auch schon tot.

    • @AusBerlin:

      Für den gleichen Verrat heimsten US-Zeitungsverlage noch Preise ein

  • Da Chelsea Manning vom ehem. Präsidenten der USA begnadigt wurde, sollte dies für den "Verleger" Julian Assange ebenfalls vollzogen werden, um der Glaubwürdigkeit der "freien" Welt keinen weiteren Schaden zuzuführen.



    Schlimm genug das weder das Gefangenenlager Guantanamo noch immer nicht aufgelöst wurde, noch die aufgedeckten Kriegsverbrechen der US Army geahndet wurden.



    Die Anklage läßt auf sich warten! Wer traut sich denn da schon wieder nicht für unsere Werte einzustehen?

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Ich bin überzeugt die USA und ihr Annex die Britten haben die Auslieferung schon entschieden. Man wartet nur auf Eden besten Augenblick, z. B. Entlassung der British/Iranerin nachdem die Britten endlich ihre Schulden im Iran beglichen haben.

  • Nicht zu vergessen: die durch Wikileaks bekannt gewordenen Kriegsverbrechen der USA verfolgt der Westen auch nicht!

    Wo isst hier unser Bundesanwalt? Er kann ja schlecht behaupten davon KEINE Kenntnis zu haben.

  • Pressefreiheit, darf nicht mit Beleidigungsfreiheit verwechselt werden. Assange hat niemand beleidigt, so weit ich er hat viele Fakten ans licht gebracht. Das war sein Vergehen, die Wahrheit scheint auch bei uns zu stören, ausser sie ist vorteilhaft für "unsere" Interesse.

  • RS
    Ria Sauter

    Der Mann wird seit Jahren seelisch gefoltert.



    Kein Wort dazu in Richtung USA.



    Der Westen ist ja der Gute .



    Wie hiess es so schön von unserer Aussenministerin"Wir teilen die gleichen Werte"



    Beängstigend!

  • Tja, an ihm soll ein Exempel statuiert werden. Pressefreiheit darf auch im freien Westen nicht grenzenlos sein.

  • Die deutsche Regierung sollte Assange von den Briten freikaufen.

  • Voll und ganz richtig.