#AusgebranntePresse: Kollektives Presse-Burnout

Viele Geschichten unter einem Hashtag: Jour­na­lis­t:in­nen berichten von Gewalterfahrungen, die sie bei Protesten von radikalisierten Impfgegnern erfuhren.

Ein Mann steht einem Polizisten gegenüber und reckt die Faust

Trotz Demo-Verbot: Zahlreiche aggressive „Querdenker“ am 18.12. vor dem Brandenburger Tor in Berlin Foto: M. Golejewski/AdoraPress

Jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland sind am Ende ihrer Kräfte. Unter dem Hashtag #AusgebranntePresse berichten seit Dienstag viele von ihnen über ihre Erfahrungen rund um die Proteste der „Querdenker“ und Impfgegner.

Gewalt, Morddrohungen, Verfolgungen, Feindeslisten, Beleidigungen. Es ist ein Sammelsurium aus Angriffen, die eines gemeinsam haben: Die Presse als Feindbild. Und ihre Ver­tre­te­r:in­nen als Zielscheibe.

Nun sind es die Journalist:innen, die auf Twitter deutlich sagen: Ich kann nicht mehr. Nicht unter diesen Umständen, nicht ohne ausreichend geschützt zu werden. Dazu aufgerufen hatte der Account „Rési Lucetti“, der sich selbst als linker Fotograf bezeichnet und für das „Kollektiv Communique“ auf Demonstrationen fotografiert. Der Hashtag trendete in Deutschland auf Twitter, zahlreiche Jour­na­lis­t:in­nen und Fo­to­gra­f:in­nen berichteten von ihren Erfahrungen.

Der Auslöser für den Hashtag waren wiederholte Angriffe auf die Presse bei „Querdenker“-Demonstrationen und sogenannten Spaziergängen in den vergangenen Tagen. „Ich und viele weitere Jour­na­lis­t*in­nen fühlen uns verarscht. Wir werden seit ca. Mai 2020 bei Hygiene Demos / Querdenken und später weiteren Ablegern angegriffen“, schreibt Rési Lucetti. Und weiter: „Das Radikalisierungslevel war von Anfang an extrem hoch. Es kam zu ständigen Übergriffen. Man wurde direkt als Mensch mit Maske markiert und angegriffen.“

Ein Video des unabhängigen Kollektivs „vue.critique“ aus Dresden zeigt Schläge, Tritte und weitere physische und verbale Angriffe der letzten Monate. Im Mai wurde in Dresden einer der Nach­wuchs­jour­na­lis­t:in­nen am Rande eines Fußballspiels bei Angriffen gegen die Presse bewusstlos ins Krankenhaus geprügelt.

Das kollektive Presse-Burnout war absehbar. Spätestens seit 2015 hat sich die rechtsextreme Diffamierung „Lügenpresse“ auf Massendemonstrationen wie „Pegida“ durchgesetzt. Im November 2020 warfen Querdenker in Leipzig mit Glasflaschen nach Pressevertreter:innen, zündeten Böller vor ihren Füßen, schlugen sie zu Boden. Im März 2021 berichtete die taz von einem massiven Anstieg der Gewalt gegen Jour­na­lis­t:in­nen, insbesondere auf Demos von Rechtsextremen, Verschwörungsideologen und selbsternannten „Querdenkern“.

Die meisten Angriffe gab es in Sachsen

Aber wer ist dafür verantwortlich? Klar, in erster Linie diejenigen, die die Presse bedrohen. Und in zweiter Linie der Staat, der diese Bedrohenden zu oft gewähren lässt, weil die Polizei unterbesetzt ist, illegale Versammlungen nicht auflöst, Vergehen kaum ahndet und Jour­na­lis­t:in­nen zu wenig schützt. Der Berlin-Brandenburger Landesgeschäftsführer der dju, Jörg Reichel, forderte Anfang Dezember von den Innenministern, Schutzkonzepte für Jour­na­lis­t:in­nen auf Demonstrationen auszuarbeiten.

Aber, und das ist eine unpopuläre These, auch die Medien tragen eine Mitschuld. Weil sie den Schauplätzen des radikalisierten Protests zu wenig Aufmerskamkeit schenken. Weil sie Re­por­te­r:in­nen zu wenig schützen. Und weil sie zu wenig Infrastruktur für die Protestberichterstattung stellen.

Die meisten Angriffe gegen Jour­na­lis­t:in­nen 2021 gab es in Sachsen, wie eine Studie des European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF) festgestellt hat. Gleichzeitig gibt es mit der „ZEIT im Osten“ nur eine überregionale Zeitung, die eine feste Redaktion in Ostdeutschland hat. Alle anderen sitzen in westdeutschen Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München – so auch die taz. Einige haben Korrespondent:innen, die wenigsten davon sind festangestellt.

Die Folge: Diejenigen, die bei eisiger Kälte aus sächsischen Kleinstädten über radikalisierte Impfgegner berichten, sind freie Jour­na­lis­t:in­nen aus Ostdeutschland selbst, die das auf eigenes Risiko tun. Manchmal sogar ohne vorher einen Auftrag zu haben. Re­por­te­r:in­nen etablierter Medien werden meist nur dann geschickt, wenn es eine Großdemonstration oder eine Versammlung in der Hauptstadt ist. Angebote von Freien, die auf eigenes Risiko von dort berichten, werden jedoch dankend angenommen.

Sie sind da, wo demokratische Grundwerte verbal und physisch attackiert werden. Wo die Polizei vor den Angreifern kapituliert, wenn sie das Versammlungsrecht nicht durchsetzt – oder, wie erst am Dienstag von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Sachsen gefordert, die pandemiebedingten Einschränkungen ganz aufheben will – weil sie schlicht und einfach überfordert ist von der Menge und dem Ausmaß der Gewalt.

Die Jour­na­lis­t:in­nen sind dort, um das zu tun, was Presse tun sollte: Über Gefahren für die Demokratie berichten. Denn die Gefahren für die Demokratie lauern in Städten wie Bautzen, Freital oder Eisenach. Wo 50, 100 oder 200 Menschen unangemeldet zu „Spaziergängen“ zusammenkommen und die Polizei manchmal gar nicht erst auftaucht. Denn, wie Sachsens Polizeipräsident der taz sagte: „Die Polizei kann nicht überall sein.“

Staat, Polizei und Redaktionen selbst sind gefragt

Nicht wenige Re­por­te­r:in­nen – darunter auch ich selbst – haben sich aus der Berichterstattung von Demonstrationen und Corona-„Spaziergängen“ zurückgezogen. Warum? Weil die Gefahren, die mit der Berichterstattung einhergehen, in keinem Verhältnis zu dem stehen, was man als freie Jour­na­lis­t:in verdient. #AusgebranntePresse ist also auch eine Folge der Krise des Journalismus.

Appelliert werden sollte daher in drei Richtungen: An den Staat und die Polizei, die Versammlungsverstöße stärker ahnden und Jour­na­lis­t:in­nen vor Angriffen besser schützen muss. Aber auch an Redaktionen, dass sie besser hinschauen, was in all den kleinen Orten, in denen sich eine neue Qualität der Gewalt entbrannt hat, passiert.

Kritische Berichterstattung ist eine der Stärken der Pressefreiheit. Aber sie ist in Gefahr, wenn Medien selbst sie nicht schützen. Was Demokratiefeinde tun, wenn sie sich unbeobachtet fühlen, zeigen die physischen Angriffe auf Medienvertreter:innen. Es ist Aufgabe der etablierten Medien, diese Demokratiefeinde zu beobachten.

Man muss die Reporter:innen, die sich in die Gefahr begeben, vor Ort zu berichten, angemessen bezahlen, Schutzstrukturen stellen, Rechtshilfe bieten und Möglichkeiten der psychologischen Nachsorge etablieren. Denn sonst passiert, was nicht passieren darf: Die Presse kapituliert vor denen, die sie bedrohen.

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