Jörg Wimalasena über soziale Ungleichheit und Corona-Misstrauen
: Die Zweifel der Armen

Soziale Ungleichheit gefährdet die Demokratie. Seit Jahren weisen Studien daraufhin, dass gerade in der Unterschicht die Demokratiezufriedenheit gering ist. Wer sich in seinen Existenzängsten im Stich gelassen fühlt, misstraut besonders in schwierigen Zeiten dem Staat.

In der Pandemie verhindert dieses Misstrauen eine effektive Coronabekämpfung. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass besonders die Erwerbstätigen, die wenig Geld verdienen und wegen der Krise um ihre Existenz fürchten, Zweifel an der Pandemiepolitik der Regierung hegen, Verschwörungstheorien anhängen und Schutzmaßnahmen nicht befolgen.

Überraschend ist dieser Befund nicht. Während gut bezahlte Büroarbeiter die Krise im geräumigen Homeoffice aussaßen, mussten vor allem im Dienstleistungsbereich ohnehin schlecht bezahlte Beschäftigte mit einem geringen Kurzarbeitergeld haushalten. Hunderttausende Minijobber verloren ihren Job, außerplanmäßige Hartz-IV-Erhöhungen und ausreichende Hilfen vom Staat für Arme gab es nicht. Während Milliardäre ihr Vermögen vermehrten, Unionspolitiker mit Maskendeals ihre Diäten aufbesserten und Gesundheitsminister Spahn private Spendendinner abhielt, wurden Millionen Menschen in der Krise weitgehend alleingelassen. Wieso also sollte man also den Politikern glauben, die sich selbst bereichern und soziale Schieflagen nur unzureichend ab­federn? Wieso sollte man den Vertretern eines Staates glauben, der auch außerhalb von Krisenzeiten Arme schikaniert und am Existenzminimum hält – und der zulässt, dass die soziale Schere sich immer weiter öffnet?

Wer die Pandemie effektiv bekämpfen will, muss die sozialen Sorgen der Menschen ernst nehmen, muss sicherstellen, dass niemand um seine wirtschaftliche Existenz und seinen Job fürchten muss. Die Coronakrise sollte ein Weckruf an die künftige Koalition sein, den Sozialstaat so umzubauen, dass die Menschen ihm wieder vertrauen können. Dann klappt es womöglich auch besser mit der Pandemiebekämpfung.

inland