Prägende Autos: Bärbel oder Stalin

Unserer Autorin diente das eigene Auto zum sozialen Überleben, war Safe Space und feministisches Symbol in einem. Eine Autobiografie.

Ein Frau sitzt in ihrem alten Auto, dass Dach ist offen und kaputt. Ein Mann in Uniform versucht zu helfen und das Dach zu reparieren. Das Bild scheint sehr alt zu sien

Von der Wetterau bis Paris – unsere Autorin hat viele Kilometer mit ihren Autos zurückgelegt Foto: Tania Kibermanis

Mein Auto heißt an guten Tagen Bärbel, an weniger guten Stalin. Damit wäre schon einiges der neurotisch-liebevollen Bindung, die ich zu meinem Gefährten hege, erklärt. Neuwagen, Komfort, Tempo, Statussymbol – das alles hat mich nie interessiert. Ich bevorzuge Altbauwohnungen, auch motorisierte. Zugig, notdürftig geflickt und mit tausend Geschichten auf dem Buckel. Deshalb wäre ich nie auf die Idee gekommen, meine sowieso nur spärlich vorhandene Kohle für einen Neuwagen zu sparen. Meine Autos hatten stets ein paar Hundert Mark gekostet, noch ein halbes Jahr TÜV, das reichte für einen Sommer.

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Ich bin auf dem Land aufgewachsen, wo der letzte Bus nachmittags um vier fuhr. Die Frage, ob man den Führerschein machte, stellte sich nicht – Auto fahren war fürs soziale Überleben unabdingbar, wenn man nicht bei den rotgesichtigen, NPD-wählenden Kirmesburschen im hessischen Outback festhängen wollte. Um die zahlende Familie nicht mit allzu vielen Fahrstunden finanziell zu ruinieren, wurde mit einem nervös mitbremsenden Elternteil auf dem Beifahrersitz auf dem Promilleweg geübt – das ist der Feldweg parallel zur Bundesstraße, auf dem die Besoffenen nachts nach Hause fahren.

Das Logo zeigt ein Fahrrad

Die Bundestagswahl ist eine Klimawahl. Ab dem 28. Juni stellen wir deswegen eine Woche unsere Berichterstattung unter den Fokus Mobilitätswende: Straßenkampf – Warum es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wie wir mobil sind. Alle Texte: taz.de/klima

Ich stamme aus einer Generation, in der die Kombination der Begriffe „Frau“ und „Auto fahren“ fast automatisch in einem onkelhaften Witz mündete. Mein Fahrlehrer war einer dieser Macker, die breitbeinig auf dem Beifahrersitz thronten, den linken Arm lässig bis hinter die Fahrerkopfstütze gestreckt, und wenn man in den fünften Gang schaltete, rempelte man ihm automatisch gegen’s Knie. Er gaslightete mich schon ab der ersten Fahrstunde: „Frauen können sowieso nicht Auto fahren, du lernst das nie, wir können uns das hier eigentlich auch gleich sparen …“ Wahrscheinlich verdanke ich ihm letztendlich meinen inzwischen schon längst abgelaufenen und aus purer feministischer Renitenz erworbenen Taxischein. Ich kutschiere sowieso gerne Menschen durch die Gegend, am liebsten durch die Nacht. Ein kollektives Erlebnis in einer Raumkapsel, völlig von der Außenwelt entfernt, gleichzeitig an einem Ort und unterwegs zu sein – das ist quasi schon die vierte Dimension.

Das Auto ist auch ein Schutzraum

Das Auto bedeutet ein paar Millimeter blechernen Schutz vor sexuellen Übergriffen, Morden oder einfach nur der Witterung

Das Taxifahren war dabei längst nicht nur ein herrlich autarker Broterwerb, sondern eine damals noch einigermaßen hermetische Domäne ebendieser Fahrlehrertypen, die es dringlich subversiv zu zersetzen galt. Und bis heute ist es ein immenser Unterschied, ob Frauen in Hamburg-Eppendorf Auto fahren oder ob sie es in Saudi-Arabien, den Emiraten oder Afghanistan tun. Eine Frau, die das lässige Rückwärtseinparken beherrscht, ist immer noch ein nicht zu unterschätzender Affront für sämtliche Macker dieser Erde.

Und gerade für Frauen ist das Auto in Sachen nächtlicher Gefährdung ein nicht zu unterschätzender, sicherer Ort – ÖPNV aus Umweltgründen hin oder her. Ein Auto mag hierzulande sicherlich inzwischen ein immer anachronistischeres Statussymbol sein, in vielen Teilen der Welt ist es das einzige Zuhause für komplette Familien, es bedeutet ein paar Millimeter blechernen Schutz vor sexuellen Übergriffen, Morden oder einfach nur der Witterung.

Mit meinem ersten Auto bin ich übrigens auch regelmäßig von Gießen zum Anti-AKW-Camp nach Gorleben gegurkt. Zuerst wurde ich von den Ge­nos­s*in­nen aus dem Asta schwer angepfiffen, dass ich das Bourgeoise wohl noch nicht gänzlich abgelegt hätte, weil ich schließlich ein Auto besaß. Dann aber stapelten sich gleich fünf knarzende Lederjacken in meiner zierlichen Ente und ließen sich ketterauchend ins Wendland chauffieren.

Weißt-du-noch-Erlebnisse

Es hatte sich so ergeben, dass es aber vor allem die Allerliebsten waren, die keinen Führerschein besaßen, und so bin ich eben gefahren. In einer brutheißen Sommernacht mal eben spontan an die Nordsee, und immer wieder nach Berlin. In Ermangelung von Kohle für eine Übernachtung habe ich unzählige Nächte in meinen jeweiligen Autos verbracht. Und Abenteuer sind sowieso erst dann welche, wenn es jemanden gibt, der sie bezeugt und teilt, mit dem man ein herrliches Weißt-du-noch-Erlebnis erschafft, das jederzeit in dunklen Momenten aus dem Archiv gekramt werden kann.

Mein Auto war stets mein kleiner Salon, in den ich Leute einlud, sich bei einem guten Gespräch oder auch nur als Schutz vor garstigem Schneeregen ganz nebenbei von A nach B zu bewegen. Ein Auto ist ein herrlicher Rückzugsort, um einfach mal mitten im öffentlichen Raum unbeobachtet zu heulen, zu toben, diskret zu telefonieren oder einfach nicht dumm angequatscht zu werden. Theatralische Trennungen, deren Endgültigkeit durch den Rumms einer zuschlagenden Autotür unterstrichen wurden. Und wer von uns hat nicht schon mal nachts vor einer elterlichen Haustür in einem Auto geknutscht?

Autos im Erinnerungsalbum

Ich bin einmal auf einem Hügel hoch über Neapel gewesen, um den sich ein steiles, komplett zugeparktes Sträßlein schlang. Bei näherem Hinsehen waren sämtliche Autoscheiben mit Pappen oder Tüchern verdeckt, während die Karossen rhythmisch wippten. Diese Straße war anscheinend der einzige Ort, an dem ein bisschen Intimität stattfinden konnte, fernab der Enge einer winzigen Wohnung und den wachsamen Augen der katholischen Familie.

Manche Menschen machen ihre Lebensstationen an Bundesligaereignissen, Katastrophen oder Filmpremieren fest – bei mir waren es stets die Autos, die als Erinnerungsalbum dienten. Mit meiner klapprigen Ente fuhr ich mit einer Freundin spontan von Hessen nach Paris. Irgendwo hinter Saarbrücken riss sie mir in voller Fahrt das Dach auf, und – rrrapp, flatterten die knappen zwei Quadratmeter mürber Plane wie ein rotes Fähnchen über unseren bloßen Köpfen und wurden dann in Paris gratis von einem netten Anwohner, der den Dachschaden von seinem Balkon aus gesichtet hatte, mit Gaffa-Tape geflickt. Weil ich mir kein neues Dach leisten konnte, fuhr ich mit meinem notdürftig bandagierten Veteranen noch jahrelang, bis er mir mitten auf der Straße buchstäblich auseinanderfiel. Das Dach hat bis zum Schluss gehalten.

Eine Ehe mit dem Fiat Panda

Meine Autos habe ich übrigens nie abgeschlossen, weil das, was man entwenden konnte, im Wert deutlich unter der Anschaffung einer neuen Scheibe lag. Einmal sollte ich einen alten Fernseher für eine Nachbarin zum Recyclinghof bringen, sie hatte mir dafür 20 Mark in die Hand gedrückt. Ich schaffte es an diesem Tag nicht und ließ ihn im unverschlossenen Käfer – dem Enten-Nachfolger – auf dem Rücksitz zurück. Am nächsten Morgen war er verschwunden. Und ein neues Entsorgungskonzept war geboren. Alles, was ich nicht mehr brauchte, platzierte ich – gut von außen sichtbar – auf der Rückbank meines Autos. Und es fand stets zuverlässig seine Abnehmer.

Einmal war ich gerade losgefahren, als ich es hinter mir grunzen hörte. Plötzlich tauchte im Innenspiegel ein Gesicht vom Rücksitz auf. Der freundliche Obdachlose hatte in meinem Auto genächtigt. Ich bot ihm an, dass wir das auch künftig so halten könnten. Er verbrachte also einen Winter lang jede Nacht in meinem Käfer und pünktlich mit Eintritt des Frühlings war er dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Der VW Passat Kombi in sonnengelb eröffnete ungeahnte Möglichkeiten, mich auf einem der damals noch regelmäßig auf dem Land stattfindenden Straßensperrmülle komplett neu zu möblieren, inklusive wuchtigen Sesseln und altem Nähmaschinentisch. Und dem Fiat Panda verdanke ich letztendlich die einzige Ehe meines Lebens, die damit begann, dass ein Kontrabass transportiert werden musste und ich zufällig dieses Auto mit ausgebauten Rücksitzen besaß.

Nicht nur ein Fortbewegungsmittel

Meine Schrottkarren von einst begegnen mir hin und wieder mal auf der Straße, liebevoll hochpoliert und mit einem H-Kennzeichen versehen. Am Steuer meist irgendein Existenzenvernichter mit Einstecktüchlein, der garantiert noch nie eine Demo von innen gesehen hat. The times they are a-changin’, und schließlich gibt’s ja auch schon längst Palitücher bei H&M.

Darüber, dass SUV Scheiße sind und der städtische Individualverkehr ein Konzept aus dem letzten Jahrtausend, müssen wir nicht reden. Moralische Überlegenheit muss man sich aber auch erst mal leisten können. Haben Sie sich denn schon mal gefragt, wohin Ihr Hermes-Paketdienstmann eigentlich nach seiner Schicht heimkehrt? Oder der freundliche Janusz, der Ihnen ohne Rechnung so günstig das Bad gekachelt oder die Küche gestrichen hat?

Auch bei uns ist das Auto längst nicht nur Fortbewegungsmittel – es ist oft genug das einzige Zuhause für all die osteuropäischen Malocher auf den Erdbeerfeldern, den Baustellen und in den Schlachthöfen. Denken Sie doch einfach mal kurz dran, während Sie mit Ihrem Lastenfahrrad den frischen Spargel vom Wochenmarkt nach Hause karren.

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