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Tarifvertrag für Pflegende scheitertAusgerechnet die Caritas

Ein allgemeiner Tarifvertrag für die Altenpflege schien greifbar – doch jetzt hat sich die Caritas quergestellt. Pflegekräfte sind entsetzt.

Private Anbieter zahlen ihren Beschäftigen oft nur den Pflegemindestlohn Foto: Candy Welz/dpa

Frankfurt am Main taz | Caritas – das heißt übersetzt Nächstenliebe. Doch seinem Namen hat der gleichnamige katholische Wohlfahrtsverband am Donnerstag keine Ehre gemacht. Bei der Abstimmung, ob man sich für die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags in der Altenpflege ausspricht, blockierte die komplette Arbeitgeberseite in der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas das Vorhaben. Der Vertrag hätte für mehr als eine Million Beschäftigte verbindliche Löhne vorgesehen.

Mit 160.000 Beschäftigten ist die Caritas einer der größten Arbeitgeber der Branche. Mit der Entscheidung ist wohl das gesamte Projekt eines allgemeingültigen Tarifvertrags in der Altenpflege erst einmal vom Tisch. Das notwendige Quorum an Beschäftigten, die vom Tarifvertrag abgedeckt werden ist ohne diesen wichtigen Verband nicht mehr zu erreichen. Das Quorum ist nötig, damit der Vertrag überhaupt vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) allgemeinverbindlich erklärt werden kann.

Auch eine zeitnahe Wiederaufnahme dieses aufwendigen Großprojekts ist nach der Entscheidung der Caritas unrealistisch.

„Wir sind komplett überrascht und erschüttert“, sagte Rolf Cleophas von der Caritas-Beschäftigtenseite gegenüber der „taz“. „Wir wussten, dass es kritische Stimmen gibt, aber dass sich die komplette Dienstgeberseite in dem Gremium dagegen ausgesprochen hat, ist ein Schock.“

Angst um Sonderrechte

Der Tarifvertrag hätte laut Gewerkschaft Verdi für einige Beschäftigte der Altenpflege Lohnsteigerungen bis zu 25 Prozent vorgesehen. Gerade die privaten Anbieter, die oft nur den Pflegemindestlohn zahlen, hätten ihre Beschäftigten deutlich besser honorieren müssen. „Das wäre schon ein wichtiger Schritt für die Aufwertung der Pflege gewesen“, sagte Cleophas.

Die Ablehnung der Caritas kommt nicht nur für deren Beschäftigte überraschend. Denn ausgerechnet das katholische Büro, die Dienststelle der Deutschen Bischofskonferenz und die des Verbandes der Diözesen Deutschlands, hatten das Projekt Tarifvertrag in den vergangenen Jahren forciert. Kritik an dem Vorhaben war vor allem von dem anderen großen kirchlichen Wohlfahrtsverband, der Diakonie, geäußert worden. Die arbeitsrechtlichen Kommissionen sind jeweils weisungsunabhängig von der Verbandsspitze.

Hintergrund für die Ablehnung der Caritas war offenbar die Furcht um ihre kirchlichen Sonderrechte. Tarifvereinbarungen in kirchlichen Institutionen müssen immer mit zwei Drittel Mehrheit angenommen werden. Das verschafft der Arbeitgeberseite die komfortable Lage, dass Beschäftigten mit ihnen öfter Kompromisse schließen müssen, als in anderen Branchen. Dadurch dass es kein Streikrecht gibt, fehlt kirchlichen Beschäftigten zudem ein Druckmittel.

Scharfe Kritik an der Caritas

Diese Sorge um das kirchliche Sonderrecht ist Beschäftigtenvertreter Cleophas unverständlich – denn der Tarifvertrag Altenpflege hätte noch immer teils deutlich unterhalb der Caritas-Gehälter gelegen. „Auch bei künftigen Steigerungen hätten wir darüber gelegen. Die Arbeitgeberseite bei uns hätte also gar nicht auf ihre Sonderrechte fürchten müssen.“ Gewerkschaften und Tarifverträge seien jedoch Kampfbegriffe in den Ohren einiger Dienstgeber.

Die Ablehnung sorgte auch bei den anderen Trägern von Altenpflegeeinrichtungen für heftige Reaktionen: Die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas habe sich „zum Nachteil einer ganzen Berufsgruppe“ quergestellt, sagte der AWO-Vorstandsvorsitzender Jens Schubert. Der allgemeinverbindliche Tarifvertrag hätte seiner Meinung nach ein „Meilenstein“ auf dem Weg zu einem Ende des Fachkräftemangels in der Altenpflege sein können.

Auch Verdi schlug in eine ähnliche Kerbe: „Die Caritas handelt mit dieser Entscheidung in krassem Widerspruch zu ihren eigenen sonstigen Aussagen und Werten, wenn es um gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Bedeutung sozialer Dienste geht“, sagte Sylvia Bühler, Verdi-Bundesvorstandsmitglied. Ver­lie­re­r*in­nen seien die rund 1,2 Millionen Beschäftigte in der Altenpflege.

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17 Kommentare

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  • So, das war's. Woelki hat mich an den Rand gebracht, jetzt bin ich einen Schritt weiter: Der Austritt aus dem Halunkenverein ist beschlossene Sache.

  • Meine Erfahrung mit der Caritas als Zivi in einem Altenheim(zugegeben schon 30 Jahre her): Am ersten Tag wurden wir beiden Neuen von der Chefin unter anderem mit folgenden Worten begrüßt: "Sie arbeiten hier bei einer kirchlichen Einrichtung, da wird erwartet auch mal ein paar Stunden mehr oder einen zusätzlichen Samstag zu arbeiten, ohne dass man das gleich aufschreibt..." Ich wurde dann 18 Monate praktisch als Vollzeitpflegekraft eingesetzt, obwohl als Zivi eigentlich nur unterstützende Tätigkeiten zulässig waren.

  • Auflösung von "Unternehmen" die sich als Vereine tarnen. Caritas, Rotes Kreuz, die Kirche und der ADAC sollen ihre Unternehmen ausgliedern und wie echte Unternehmen führen.



    Der Staat sollte hier mal seinen Einfluss geltend machen.

  • "Tarifvereinbarungen in kirchlichen Institutionen müssen immer mit zwei Drittel Mehrheit angenommen werden."

    "Arbeitskampfmaßnahmen sind nach der Grundordnung des kirchlichen Dienstes in den Einrichtungen und Diensten der Caritas nicht zulässig."

    "Die AVR schaffen, im Gegensatz zur übrigen ­So­zialwirtschaft, nicht nur gute Arbeitsbedingungen mit hohen Entgelten und tariflichen Zusatzleistungen. Sie führen auch zu einer hohen Tarifbindung"

    Aha. "...im Gegensatz zur übrigen Sozialwirtschaft..". Hier liegt doch klar der Fehler. Man hält sich für grundsätzlich für besser und für unwidersprecbar.

    Wie kann das sein, dass im Jahr 2020 Arbeitgeber solche Sonderechte haben, auch noch aufgrund kirchlicher Strukturen?

    Völlig egal, was die grad zahlen oder warum die der Meinung sind, ohne Arbeitnehmerrechte auskommen zu können. Was die Caritas hier abzieht ist reine Machtpolitik aufgrund genau dieser antiqierten Sonderrechte.

  • In Ihrem Artikel, Frau Leimbach, fehlen leider viele, wichtige Hintergrundinformationen, nicht gut recherchiert!



    Zitat:



    „Caritas – das heißt übersetzt Nächstenliebe. Doch seinem Namen hat der gleichnamige katholische Wohlfahrtsverband am Donnerstag keine Ehre gemacht. Bei der Abstimmung, ob man sich für die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrags in der Altenpflege ausspricht, blockierte die komplette Arbeitgeberseite in der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas das Vorhaben. Der Vertrag hätte für mehr als eine Million Beschäftigte verbindliche Löhne vorgesehen.“



    Die Caritas stimmt dem Beschluss nicht zu, weil sie damit ihre eigenen Tarifvertrag nichtmehr halten kann. Die Caritas bietet die besten Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte zu top Konditionen. Warum sollte sie auf Kosten ihrer Arbeitnehmer ihre Organisation verschlechtern, nur damit kriminelle Anbieter auf dem Markt Pflegekräfte aus Osteuropa zu Dumpingpreisen beschäftigen?



    Wenn Sie wissen möchten, worum es der Caritas geht - und für mich sind das sehr lautere Gründe - hier ein Link dazu - sehr wichtig ist, dass die neuen Grundlagen der Pflegefinanzierung vorher abschließend geklärt und beschlossen werden sollen.



    www.caritas.de/neue-…



    Kirchenbashing ist natürlich schöner.

    • @D-h. Beckmann:

      "Ups, das gibt's ja gar nicht

      Auf caritas.de gibt es so viele schöne Inhalte – und jetzt fehlt genau der, den Sie angefordert haben. Wir könnten jetzt alles auf die Redakteure schieben, auf die Technik oder das Wetter. Aber vielleicht versuchen Sie es einfach mit unserer Suche über die Suchlupe oben oder nutzen einen der folgenden Links. Sie finden bestimmt etwas!"



      Das erscheint, wenn ich auf den link drücke - merkwürdig oder?

      • @MahNaMahNa:

        Na ja das ist ein schnödes 50 cm Problem ... den nicht defekten Link hat ersiees doch 5 Minuten später nachgereicht. Siehe unten. Auch ohne Suchlupe zu finden.

    • @D-h. Beckmann:

      Ihr Kommentar lässt so einiges außer Acht bzw. läuft verqueer: 1. ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag benennt Untergrenzen von Leistungen, d.h. höhere Leistungen für die AN können vereinbart werden, 2. die Arbeitnehmerseite der Caritas ist für die Allgemeinverbindlichkeit, 3. die Zeit der Dumpinglöhne geht mit einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zu Ende. - Ist das Kalkül der Caritas-AG, dass die Bewerber bei ihr nicht ausgehen, solange es Dumpinglöhne in der Branche gibt?. Und zum Thema Pflegefinanzierung: bei den Zuständen in den Schlachthöfen wird auch gern argumentiert, dass der Fleischpreis bessere Arbeitsbedingungen nicht hergebe.

  • Die katholische Kirche wundert und jammert über die massenhaften Kirchen-Austritte, aber ist nicht bereit, irgendwo/irgendwann/irgendwas zu lernen, weder beim Problemfeld Missbrauch noch ....

  • Die kirchlichen Sonderrechte unterlaufen die demokratisch verfasste Gesellschaftsordnung - die ja schließlich ausdrücklich Tarifautonomie und Koalitionsfreiheit garantieren - Sonderrechte für die großen kirchlichen Träger müssen folglich abgeschafft werden.

    Kleiner Tip für die Pflegekräfte, wenn schon das Mittel des Streiks verboten ist, dann vielleicht mal andere Seiten aufziehen. Geht es doch klandestin an, einfach mal Sand streuen ins Pflegegetriebe ... Sabotage, könnte eine Lösung sein.



    Wer´s zahmer mag, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall können selbst kirchliche Träger nicht aushebeln. Zumindest 6 Wochen lang wird keine/keiner auf´s Kassenkrankengeld zurück gestuft. Psychische Erkrankungen eignen sich hervorragend. Wer sich unter Wert mit so viel auch emotionalem Output verkaufen muss wird ja praktisch in den Burn-Out gezwungen ...

    Für alle Nicht-Pfleger*innen jedenfalls ist der Artikel voller guter Gründe auch wirklich niemals Pfleger*in zu werden.

    Die Gesellschaft allerdings, muss sich fragen, ob sie wirklich bereit ist diesen Preis zu zahlen. Ja die Pflege kaputt zu sparen zugunsten eines im Einwanderungsland Deutschland längst historisch überholten christlich-abendländischen Zentrismus, der kirchlichen Trägern immer noch undemokratische Sonderrechte zugesteht.

  • streicht der Kirche endlich ihre Privilegien. Und zieht sie für ihre Schandtaten gebührend zur Verantwortung.

  • "Ver­lie­re­r*in­nen seien die rund 1,2 Millionen Beschäftigte in der Altenpflege."



    Aber viel mehr noch die Pflegebedürftigen.



    Hier wird mehr als deutlich, welchen Stellenwert selbst die kirchliche "Nächstenliebe" auch in kirchlichen Einrichtungen in Wahrheit hat.

  • Liebe Pflegekollegen!



    In diesem Falle hilft nur: Kündigung - und zwar schnellstens!

    Aber bitte nicht vereinzelt, sondern alle solidarisch gemeinsam. An Arbeitsplätzen mangelt es ja nun wahr5lich nicht.



    Und Arbeitgeber, die 2021 immer noch meinen, und Pflegekräfte ausbeuten zu können, muss man sofort den Mittelfinger zeigen!

    Glaubt mir - es funktioniert!!

    • @Juhmandra:

      Die Idee ist gut, funktioniert in der Praxis aber nicht. Der Arbeitgeber macht den guten Pflegekräfte ein Angebot, dass etwas höher ist und sie kehren schnell zurück. Die "schlechten" und "unbequemen" Pflegekräfte bekommen kein Angebot. Die Solidarität ist dann schnell beendet und der Arbeitgeber hat seinen Personal "bereinigt"...

    • @Juhmandra:

      Das wäre natürlich mal eine Maßnahme. Aber sie sollte alle Pflegeeinrichtungen betreffen, auch außerhalb der Caritas. Oder glaubt jemand, das irgendwo in DE Pflegende ausreichend bezahlt werden.

      Ein deutschlandweiter Massenstreick oder Kündigungswelle würde aktuell am meisten in Altenheimen und Intensivstationen bewegen. Sarkasmus Ende.

      Vielleicht kämme der deutsche Michel dann ja mal auf den Gedanken, dass er mehr Geld monatlich für das Gesundheitswesen abdrücken muss.

      Höhere Löhne zaubern sich nicht von alleine her und Massenentlassungen wie sie die Gesundheitssenatorin von der Linkspartei in Bremen betreibt sind auch keine Lösung www.weser-kurier.d..._arid,1958345.html

    • 0G
      04105 (Profil gelöscht)
      @Juhmandra:

      Du meinst: "Und Arbeitgeber, die 2021 immer noch meinen, und Pflegekräfte ausbeuten zu können, muss man sofort den Mittelfinger zeigen!"

      Vielleicht solltest Du aber noch einmal nachlesen: °...denn der Tarifvertrag Altenpflege hätte noch immer teils deutlich unterhalb der Caritas-Gehälter gelegen. „Auch bei künftigen Steigerungen hätten wir darüber gelegen.° Na, klickt's?