Urteil gegen Wächter von KZ Stutthof: An das Grauen gewöhnt

Das Hamburger Landgericht hat einen ehemaligen SS-Mann zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Bis zuletzt zeigte der 93-Jährige kaum Schuldbewusstsein.

Der Angeklagte hält sich im Gerichtssaal einen blauen Aktenordner vors Gesicht

Zeigte vor allem Mitleid für sich selbst: Bruno D., der ehemalige KZ-Wächter aus Stutthof Foto: reuters/Fabian Bimmer

HAMBURG taz | Hut, Sonnenbrille, Aktenmappe. Am letzten Verhandlungstag verdeckte Bruno D. sein Gesicht vor den Kameras genau wie an den anderen Verhandlungstagen. Kurz nach 11 Uhr sprach das Landgericht Hamburg den ehemaligen SS-Wachmann im KZ Stutthof wegen Beihilfe zum Mord in 5.232 Fällen und der Beihilfe zum versuchten Mord für schuldig. Das Urteil gegen den heute 93-Jährigen: zwei Jahren Jugendhaft auf Bewährung. Verhandelt wurde vor der Jugendstrafkammer des Hamburger Landgerichts, weil der Angeklagte zum Tatzeitpunkt minderjährig war.

D. war als 17-Jähriger zur Wachmannschaft des KZ Stutthof gekommen. In dem Lager nahe Danzig ermordete die SS im Zweiten Weltkrieg etwa 65.000 Menschen: Juden, Polen und politische Gefangene.

Staatsanwalt Lars Mahnke hatte D. vorgehalten, durch seinen Wachdienst von August 1944 bis April 1945 Beihilfe zu 5.232 der Morde geleistet zu haben. D. sei ein „Rädchen der Mordmaschinerie“ gewesen, hatte Mahnke betont und eine Jugendstrafe von drei Jahren gefordert. Das Urteil blieb nun schlussendlich hinter dieser Forderung zurück.

Die vierzig Nebenkläger, darunter 35 Überlebende des KZ, hatten eine Verurteilung gefordert. Nicht aus Rache, sondern um dessen Taten juristisch als Verbrechen bewertet zu wissen. Keiner der Nebenkläger forderte am Donnerstag eine höhere Strafe. Einzelne hatten von Anfang an gar keine Inhaftierung gefordert– trotz des Erlittenen.

„Gehilfe dieser menschengemachten Hölle“

Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring sagte am Donnerstag, dass der Angeklagte den Opfern „entsetzliches Unrecht“ angetan habe. An D. gewandt sagte sie, dieser sehe sich „weiter nur als Beobachter“. Doch er wäre ein „Gehilfe dieser menschengemachten Hölle“ gewesen.

An mehreren Verhandlungstagen hatten Überlebende im Saal oder per Liveschaltungen von täglichen Misshandlungen wie Schlägen und stundenlangen Appellen, Hinrichtungen sowie von Hunger und einer Fleckfieber-Epidemie berichtet. „Wie konnten Sie sich bloß an das Grauen gewöhnen?“ fragte Meier-Göring den Angeklagten.

Der nahm die Ausführung ohne sichtbare Regung auf. Bis zum Ende ließ er erkennen, bei sich keine Verantwortung zu sehen, fühlte sich nicht schuldig an den Morden. Beim Dienst will er auch keine Nazis kennengelernt haben.

Er sagte zwar, dass ihm die KZ-Insassen leid taten, hauptsächlich schien sein Mitleid allerdings ihm selbst zu gelten. So setzte er sich mit dem KZ-Insassen gleich. Vor dem Musterungsarzt habe er so nackt dagestanden wie die Leichen, die er im KZ gesehen habe, sagte er. Meier-Göring merkte sogleich an: ein „unpassender Vergleich“.

In den 45 Verhandlungstagen erwähnte D. immer wieder, nicht freiwillig vor Ort gewesen zu sein. Der historische Sachverständige Stefan Hördler legte aber dar, dass D. trotz seines Wissens um die Zustände niemals eine Versetzung beantragt hatte– was durchaus eine Möglichkeit gewesen wäre. Diese Idee schien D. aber nie gekommen zu sein.

Mit dem Urteil endet wohl einer der letzten Prozesse gegen NS-Verbrecher. Viele Täter von damals sind heute schlicht nicht mehr am Leben. Zum Verfahrensbeginn hatte die Vorsitzende Richterin Meier-Göring die historische Bedeutung des Verfahrens dann auch nicht bloß verbal hervorgehoben. Sie ließ Journalisten und Prozessbeobachter trotz Jugendstrafkammer zu, wegen der „herausragenden zeitgeschichtlichen Bedeutung“ – und auch wegen den „neonationalsozialistischen Tendenzen in Deutschland“.

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