Prozess gegen KZ-Wachmann: Vermeintliche Entschuldigung
Im Verfahren gegen einen Ex-Wachmann des KZ Stutthof plädiert dessen Verteidiger auf Freispruch. Der Angeklagte zeigt vor allem Selbstmitleid.
Viele Nebenklageanwälte der rund 40 Überlebenden oder Hinterbliebenen haben in ihren Plädoyers gewürdigt, dass der Beschuldigte nicht versucht hatte, sich dem Verfahren durch medizinische Gutachten zu entziehen. Es sei „anerkennenswert“, dass „Sie nicht auf dieses angebotene Trittbrett der Verhandlungsunfähigkeit aufgesprungen sind“, so Rechtsanwältin Christine Siegrot, die die Überlebenden David Ackermann und Abraham Koryski vertrat.
Sie erinnerte jedoch auch daran, dass der Angeklagte nur auf Nachfrage „in dieser Verhandlung eine emotionale Betroffenheit hinsichtlich des Schicksals der jüdischen Gefangen“ bejahte habe. „Eine emotionale Betroffenheit war bei dieser Antwort nicht spürbar“, so Siegrot. Berührt sei er nur wegen „seiner eigenen Biografie“ gewesen, dass ihn „jetzt die erfolgreich verdrängte Vergangenheit“ eingeholt habe.
Zum Prozessauftakt hatte Bruno D. eingeräumt, dass er vom 9. August 1944 bis zum 26. April 1945 Wachmann gewesen war. Weil er als Wehrmachtssoldat nicht „frontverwendungsfähig“ war, sei er zum Wachdienst im Lager abkommandiert worden. Da er damals 17 bzw. 18 Jahre alt war, fand die Verhandlung vor der Jugendstrafkammer statt.
„So habe ich mir mein Alter nicht vorgestellt“
Bereits am dritten Verhandlungstag bekannte der Angeklagte, „wie leid es mir tut, was den Menschen damals im KZ angetan wurde“. Fortan beklagte er sein eigenes Schicksal: „Es tut mir auch leid, dass ich meinen Wehrdienst an einem solchen Ort des Grauens ableisten musste.“ Die Bilder des Elends und des Schreckens hätten ihn sein Leben lang verfolgt. „Jetzt wird alles wieder aufgerüttelt“, beschwert er sich und klagte: „So habe ich mir mein Alter nicht vorgestellt.“
Diesen Satz griff Siegrot am 14. Juli auf. „Meine Mandanten haben all dieses Morden nicht verdrängen können und wollen. Sie haben jeden Tag mit ihrer Erinnerung gelebt.“ Erst durch die Erinnerungen ihres Mandanten Ackermann fand das Massaker nahe Neustadt größer Beachtung im Prozess. 257 Häftlinge aus dem KZ Stutthof wurden am 3. Mai 1945 von SS-Wachmännern und Marinesoldaten bei der schleswig-holsteinischen Stadt umgebracht. Bruno D. räumte ein, vor Ort gewesen zu sein und auch, dass „einige“ erschossen wurden. In der Anklage werden diese Toten nicht berücksichtigt.
Auch ein weiterer Massenmord im Zusammenhang mit dem KZ Stutthof spielte im Prozess keine Rolle: „Die Endverbrechen der SS im Prozess der Evakuierung aus dem KZ Stutthof, am 25. und 27. April, nicht am 26., ins 14 Kilometer entfernte Nickelswalde wurden auch nicht beachtet“ sagt die Historikerin Brigitta Huhnke. Hier ermordeten die SS-Männer viele Frauen. Alleine für eine einzige Nacht ist verbürgt, dass die Täter mindestens 40 Frauen ermordeten. Manche Zeugen berichten von bis zu 70 ermordeten Frauen in dieser Nacht. Ein Verfahren vor dem britischen Militärgericht 1946 wegen dieser Massaker endete unter anderem mit drei Todesstrafen.
Obwohl die zugehörigen Akten laut Huhnke einfach zu finden seien und umfangreiche wissenschaftliche Literatur zum Thema existiert, verweist die Staatswanwaltschaft auf Gründe „verfahrensökonomischer“ Natur, wegen denen das Verbrechen nicht in die Anklage habe mit aufgenommen werden können. Eine Aufklärung hätte noch geraume Zeit in Anspruch genommen.
Am Montag forderte der Rechtsanwalt von Bruno D., Stefan Waterkamp, für seinen Mandanten einen Freispruch. Aus damaliger Sicht sei der Wachdienst kein Verbrechen gewesen, man könne seinen Mandanten nicht für die dort verübten Morde mitverantwortlich machen. Für den Fall einer Verurteilung plädierte er auf eine Bewährung. Am Donnerstag soll das Urteil erfolgen.
Hinweis der Redaktion: In einer ersten Fassung wurde beim Redigat die Massaker in Neustadt und Nickelswalde zusammen gezogen. Wir haben diesen Fehler korrigiert und entschuldigen uns bei Brigitta Huhnke sowie den Opfer des Massakers und deren Angehörigen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen