Umweltbelastung durch Dünger: Verseuchen Bauern das Wasser?

Der taz-Faktencheck zeigt: Der durchschnittliche Landwirt düngt zu viel und belastet das Grundwasser. Das ist eine Gefahr für Gesundheit und Umwelt.

Gülle wird auf ein grünes Feld aufgebracht

Hier kommt das Nitrat: Landwirt in Niedersachsen bringt Gülle als Dünger auf einem Feld aus Foto: Philipp Schulze/dpa

Berlin taz | Viele Bauern fühlen sich von Umweltschützern, Politikern und Journalisten zu Unrecht an den Pranger gestellt. Das haben beispielsweise die Demonstrationen Tausender Landwirte in mehreren Großstädten am 22. Oktober gezeigt. Am 26. November sollen wieder Traktoren nach Berlin rollen.

Die Bewegung bestreitet unter anderem, dass Bauern für die Verseuchung von Grundwasser durch die potenziell gesundheits- und umweltschädliche Stickstoffverbindung Nitrat verantwortlich seien. So argumentieren diese Landwirte gegen die geplante Vorschrift der Bundesregierung, weniger mit Stickstoff zu düngen. Berlin will damit eine Geldstrafe der EU verhindern, weil Deutschland dem Europäischen Gerichtshof zufolge seit Jahren die Nitrat-Richtlinie verletzt. Zudem will die Deutsche Umwelthilfe wegen der Überschreitung des Nitrat-Grenzwerts im Grundwasser gegen die Landesregierungen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen klagen. Hier die wichtigsten Behauptungen der Agrarseite im Faktencheck:

Wenn der Nitrat-Grenzwert von 50 Milligramm pro Liter im Trinkwasser überschritten wird, sei das noch lange nicht gesundheitsschädlich.

Falsch. Auch wenn der Grenzwert nur gelegentlich überschritten wird, können Säuglinge Blausucht bekommen, wie das Bundesumweltministerium mitteilt. Denn das Nitrat kann durch Bakterien in Nitrit umgewandelt werden, das den Sauerstofftransport durch die roten Blutkörperchen stört. „Dies kann zu Sauerstoffmangel in den Geweben bis hin zur inneren Erstickung führen“, schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Unser Trinkwasser sei fast immer unter dem Nitrat-Grenzwert. Es sei kein großes Problem, dass ein paar Grundwasserkörper darüber liegen. Grundwasser sei ja nicht gleich Trinkwasser.

Bei Trinkwasser wird der Grenzwert laut Umweltbundesamt tatsächlich flächendeckend eingehalten. Aber nur, weil die Wasserwerke Grundwasser aus zu stark mit Nitrat belasteten Brunnen mit sauberem Wasser aus anderen Brunnen verschneiden, belastete Brunnen schließen, tiefer bohren oder das Nitrat herausfiltern. Fast 70 Prozent des Trinkwassers werden dem Umweltbundesamt zufolge aus Grund- und Quellwasser gewonnen.

Die Landwirtschaft sei gar nicht der Hauptverursacher der Nitrat-Emissionen in Deutschland.

Doch, das meiste Nitrat im Grundwasser kommt aus der Landwirtschaft. Das belegt zum Beispiel das Umweltbundesamt in seinem Forschungsprojekt „Reaktive Stickstoffflüsse in Deutschland 2010–2014“, dessen Ergebnisse demnächst offiziell veröffentlicht werden sollen. Demnach kommen 88 Prozent des Nitrats im Grundwasser von Landwirtschaftsflächen unterhalb der Wurzelzone, wie das Umweltbundesamt der taz vorab mitteilte.

Außerdem haben Messstellen im Einzugsbereich von Ackerland bedeutend höhere Nitratkonzentrationen im Grundwasser als Messstellen, deren Einzugsgebiet vorwiegend durch Wälder geprägt ist: Unter Waldflächen wird der Schwellenwert von 50 Milligramm pro Liter laut Umweltbundesamt bei 2 Prozent der Messstellen überschritten. An Messstellen, in deren Einzugsgebiet Grünland oder Siedlungen dominieren, beträgt dieser Anteil 8 beziehungsweise 6 Prozent. In Regionen, in denen vorwiegend Ackerflächen oder Sonderkulturen sind, wird der Schwellenwert bei 33 Prozent der Messstellen überschritten.

Undichte Abwasserleitungen belasteten das Grundwasser viel stärker mit Nitrat als die Landwirtschaft.

Auch das ist falsch, wie eine Studie für Nordrhein-Westfalen, das bevölkerungsstärkste Bundesland, zeigt. Das Bundesumweltministerium zitiert das Ergebnis wie folgt: „Kein Grundwasserkörper in NRW ist aufgrund einer anderen Quelle als der Landwirtschaft in einem schlechten Zustand wegen Nitrat.“ Zwar gebe es den Forschern zufolge punktuelle Belastungen aus undichten Kanälen. Aber die Einträge seien örtlich so begrenzt, dass sie nicht ins Gewicht fallen.

Deutschland habe pro Fläche weniger Grundwasser-Messstellen als andere EU-Länder. Deshalb seien die Ergebnisse verzerrt.

Tatsächlich ist das Messnetz in Deutschland laut EU-Kommission nicht so engmaschig wie in den meisten anderen Mitgliedstaaten. Aber den Behörden zufolge ändert das nichts daran, dass die deutsche Ergebnisse repräsentativ sind. Das Netz, das für Berichte an die Europäische Umweltagentur (EUA) benutzt wird, besteht laut Bundesregierung beispielsweise zu 45 Prozent aus Messstellen unter Ackerland, zu 11 Prozent unter Grünland, 30 Prozent Wald und 9 Prozent Siedlungsfläche. „Dies spiegelt die Flächenanteile der einzelnen Landnutzungen in Deutschland wider“, so die Regierung. Rund 18 Prozent der Messstellen in diesem Netz liegen laut Umweltministerium über dem Schwellenwert für Nitrat.

Die Bundesregierung wolle nun vorschreiben, dass die Bauern in besonders belasteten Gebieten 20 Prozent weniger düngen, als bislang offiziell für nötig gehalten wurde. Dann würden die Pflanzen hungern.

Das würde nur dann stimmen, wenn die Landwirte bisher lediglich so viel gedüngt hätten, wie die Pflanzen aufnehmen. Doch genau das haben sie nicht getan. Beispiel Niedersachsen, Deutschlands Agrarland Nummer 1: Dort düngten die Bauern im vergangenen Wirtschaftsjahr pro Hektar im Schnitt 19 Kilogramm Stickstoff zu viel, wie im Nährstoffbericht des von der agrarlobbyfreundlichen CDU geführten Landwirtschaftsministeriums steht. Zwar soll die Düngeverordnung die Menge so begrenzen, dass kaum Stickstoff übrig bleibt. Aber sie bietet viele Schĺupflöcher. Zudem halten sich manche Landwirte nicht an die Regeln, die oft auch nur lasch durchgesetzt werden. Manche Bauern wollen durch Überdüngung die riesigen Mengen Gülle aus Massenställen auf den Feldern entsorgen. Zuweilen irren sich Landwirte auch einfach und düngen zu viel oder zum falschen Zeitpunkt.

Die Pflanzen hungerten auch nicht, wenn sie weniger Dünger erhielten, sagt Onno Poppinga, emeritierter Agrarprofessor und Mitgründer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, der taz. „Sie können weiter keimen, wachsen und zur Samenreife kommen.“ Aber vielleicht wäre die Ernte nicht so groß, wie die Bauern wollten. Die Düngeverordnung definiere den Bedarf einer Pflanze so, dass die Landwirte möglichst viel ernten und verdienen.

Wenn die Bauern in den besonders belasteten Gebieten 20 Prozent weniger als bisher erlaubt düngen, würde das dem Grundwasser kaum nützen.

Der Kieler Agrarprofessor Henning Kage schreibt, weniger zu düngen reduziere die Nitratmenge im Grundwasser „in aller Regel kurz- bis mittelfristig (1–10 Jahre) nur sehr wenig“. Das bestätigt Hans-Werner Olfs, Professor für Pflanzenernährung an der Hochschule Osnabrück. Denn das nitratbelastete Regenwasser brauche lange, bis es durch die verschiedenen Bodenschichten in die Brunnen sickere. „Danach werden die Nitratwerte im Grundwasser aber sehr wohl signifikant sinken“, sagte Olfs der taz.

Die Ernten werden stark schrumpfen, wenn die Pflanzen weniger gedüngt werden dürfen. Viele Höfe müssten schließen.

„Wir schätzen, dass die Erträge der Ackerkulturen im Durchschnitt um 5 Prozent sinken, wenn sie mit 20 Prozent weniger Stickstoff gedüngt werden, als in der Düngeverordnung aus dem Jahr 2017 erlaubt ist“, sagt der auch von Umweltschützern anerkannte Wissenschaftler Bernhard Osterburg vom bundeseigenen Thünen-Agrarforschungsinstitut. Zudem würde es dann schwieriger, die am Markt geforderten Qualitäten zu erreichen, vor allem bei Backweizen und einigen Feldgemüsearten. Agrarprofessor Kage schätzt, dass die Landwirte wegen der Düngerreduktion insgesamt 150 Millionen Euro weniger pro Jahr einnähmen. Ob diese Gewinnminderung existenzgefährdend sei, könne „nur einzelbetrieblich beurteilt werden“.

Es sei nicht gerechtfertigt, die maximal erlaubte Düngung auch bei Bauern zu reduzieren, die zwar in belasteten Gebieten arbeiten, jedoch selbst nicht zu viel Stickstoff ausgebracht haben.

Das Umweltministerium bestreitet, dass es so kommt: „Betriebe, die gewässerschonend wirtschaften, sollen davon ausgenommen sein.“ Als gewässerschonend gelte ein Betrieb, wenn er weniger als 160 Kilogramm Gesamtstickstoff pro Hektar und davon maximal 80 Kilo synthetischen Stickstoff-Dünger einsetzt. Der Bauernverband dementiert das auf taz-Anfrage nicht. Diese Ausnahme sei „selbstverständlich“, sagt Generalsekretär Bernhard Krüsken.

Nitrat werde im Boden und im Grundwasser auf natürliche Weise abgebaut.

„Alle derzeit bekannten wissenschaftlichen Studien geben keinen Hinweis darauf, dass durch natürliche Denitrifikation, also durch Nitratabbau in der ungesättigten Zone und im Grundwasser in Deutschland, im großen Umfang die Nitratkonzentration vermindert werden kann“, schreibt das Umweltministerium. In einigen Regionen werde derzeit noch Nitrat abgebaut. Doch wie lange diese Kapazität noch reiche, sei unbekannt. Deshalb könne man sich darauf nicht verlassen. Dazu wollte sich der Bauernverband auf taz-Anfrage nicht äußern.

Dass die Landwirtschaft einen Stickstoff-Überschuss von etwa 100 Kilogramm pro Jahr und Hektar habe, bedeute nicht, dass die Bauern diese Menge zu viel düngen.

Das stimmt. Ein Teil des Stickstoffs gelangt nicht durchs Düngen in die Umwelt, sondern etwa, wenn Gülle unter freiem Himmel gelagert wird. Aber das ändert nichts an der Verantwortung der Landwirtschaft für diese Emissionen, die sich auch reduzieren lassen. Und auch nicht daran, dass sie oft zu viel düngen, wie zum Beispiel der Nährstoffbericht für Niedersachsen belegt.

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