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Die Grünen wollen diverser werdenBündnis 90/Die Weißen?

Dinah Riese
Kommentar von Dinah Riese

Die Mehrheit der Grünen-Mitglieder ist weiß und privilegiert. Die Partei will das ändern und erklärt Diversität zur Chef*innensache.

Fraktionsvorsitzende Hofreiter, Göring-Eckardt Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild

D ie eigenen Schwächen einzugestehen, tut weh. Es ist aber ein Schmerz, der nötig ist, damit irgendwann mal etwas besser wird. Und besser werden kann bei den Grünen einiges. Zwar hat die Partei nach den Linken die meisten Abgeordneten mit einem sogenannten Migrationshintergrund im Bundestag. Doch im Gesamtbild sieht man eine mehrheitlich weiße und privilegierte Partei. Je weiter man auf den Rängen der Macht nach oben klettert, um so homogener wird das Bild. Die beiden Fraktionsvorsitzenden sind weiß, genau wie die sechs Personen im Bundesvorstand.

Das schreckt nicht nur potenzielle Wähler*innen ab, und es ist auch nicht nur ein personelles Problem. Denn viele Menschen, deren politisches Engagement nicht beim Kreuzchen auf dem Wahlzettel endet, finden ihre Perspektiven im Programm der Grünen derzeit nicht wieder – sei es beim Klimaschutz, der Innen- oder der Außenpolitik.

Nun legt die Partei offensiv den Finger in die eigene Wunde und sagt: Das ginge besser. Man kann jetzt hämisch grinsend sagen: Schaut, die Grünen, die so toll sein wollen, so antirassistisch – die haben ein Problem. Das wäre aber nicht nur wenig zielführend, sondern auch dumm. Denn nicht nur stehen die Grünen in Sachen Diversität schon deutlich besser da als manch andere Partei. Sie sind auch die Ersten, die sich des Themas ernsthaft annehmen.

Gute Vorsätze zu haben ist einfach. Gewachsene Strukturen der Diskriminierung aufzubrechen aber ist ein Kraftakt. Am Ende werden die Grünen sich an ganz konkreten Ergebnissen messen lassen müssen. Aber die Grundlagen, die es braucht, die sind da: Die Partei hat das Thema zur Chef*innensache gemacht. Die 25-köpfige AG besteht aus ausgesprochenen Expert*innen und ist mit einem eigenen Budget ausgestattet – es ist also keine Nebenbeschäftigung der Mitglieder, die in Mittagspausen oder der Freizeit stattfinden soll.

Es ist Zeit, diese Kämpfe aus dem Ehrenamt heraus und in die Parteistrukturen hinein zu holen

Das mag banal klingen, ist aber extrem wichtig. Überall im Land kämpfen Aktivist*innen gegen strukturellen und Alltagsrassismus, für Barrierefreiheit und gegen Trans- und Homophobie. Und zwar ehrenamtlich. Viele dieser Menschen haben aber ohnehin schon Kämpfe zu kämpfen, mit denen die weiße Mehrheitsgesellschaft nicht konfrontiert ist: sei es gegen Diskriminierung in der Schule, bei der Wohnungs- oder der Jobsuche.

Es ist allerhöchste Zeit, diese Kämpfe aus dem Ehrenamt heraus- und in die Parteistrukturen hineinzuholen. Das heißt auch: sie mit den Ressourcen einer aufstrebenden Partei auszustatten und sie, wie den Feminismus, tief in die eigene DNA einzuschreiben. Wenn das gelingt, dann können alle von diesem Prozess lernen. Denn der Kampf gegen Diskriminierung ist keiner, den „wir“ für „andere“ führen. Er muss ein gemeinsamer Kampf sein für eine gute Gesellschaft.

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Dinah Riese
Ressortleiterin Inland
leitet das Inlandsressort der taz. Davor war sie dort seit Oktober 2018 Redakteurin für Migration und Integration und davor von 2016-17 Volontärin der taz Panter Stiftung. Für ihre Recherche und Berichterstattung zum sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen, Paragraf 219a StGB, wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Im März 2022 erschien von Gesine Agena, Patricia Hecht und ihr das Buch "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.
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26 Kommentare

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  • "Denn nicht nur stehen die Grünen in Sachen Diversität schon deutlich besser da als manch andere Partei. Sie sind auch die Ersten, die sich des Themas ernsthaft annehmen."

    Warum sollte auch z.B. Die Linke, die mit Sahra Wagenknecht jahrelang eine Frau, die auch noch Migrationshintergrund hat, sich dem Thema noch annehmen? Die haben ihre Erfahrungen gemacht, dass Frauen, die auch noch Migrationshintergrund haben, von allen Seiten, sogar aus der eigenen Partei weggemobbt werden.

  • Das ist schön. Ein Vorbild kann die Diversity der Baumbewohner_innen des Hambacher Waldes sein.



    Die soziale Frage ist aber eine weltweite. Mir ist es wichtiger, dass die Grünen Exportsubventionen abschaffen.

  • Das Konzept der 'Diversity' ist problematisch.

    So wie es auf dem amerikanischen Campus praktiziert wird, ist es eine Mogelpackung.

    Es steht gerade nicht für Diversität der Meinungen und Anschauungen, sondern im Gegenteil für Uniformität und Intoleranz.

    Vgl. die 3-teilige drastische Doku von Mike Nayna über das Schicksal des (linken) Profs Bret Weinstein am Evergreen State College.

    www.youtube.com/wa...zpo7ClMEKe9WkXt5GO

  • Das kommt davon, wenn man so betont antirasstisch etc. ist, dass man an seinen Mitmenschen kaum mehr als die Rasse (und eben andere politisch relevante Diversity-Parameter) wahrnimmt.

    Dass der jeweilige Mensch in der Haut mehr ist als ein armes Diskriminierungsopfer, vielleicht auch in Wirklichkeit gar nicht die (recht engen) grünen Vorstellungen teilt, wie Alle sozial, tolerant und ökologisch miteinander umgehen sollten, fällt dem selbsterklärt-allzuständigen Richtigwisser grüner Provenienz gar nicht auf. Der rauscht da ganz locker drüber weg, weil er ja längst weiß, was für seinen Gegenüber richtig ist (und wie er es erzwingen kann).

  • Das wird ja spannend, die Grünen in Berlin haben doch schon viel Freude an ihren "diversen" Grünen.

    Tarek Al-Wazir oder Cem Özdemir bereiten der Bundespartei manchmal mehr Bauchschmerzen als Boris Palmer...

    • @Sven Günther:

      Seh ich auch so, auch was man zwischen Ihren Zeilen lesen darf, und die Endzeit- Prediger vom Hofe, auf dem Photo, die sich ihre Sorgenfalten auf die Stirn operieren lassen wie unsere Promis, die keiner kennt, sich die Lippen aufspritzen lassen ....aber doch ganz interessant was Frau Riese aus der feinen Feder strömt, ach ja (Janus)..Hamed Abdel-Samad oder Seyran Ateş sind nicht unsere Erlöser (the ONE we are so badly looking for), sie wachen nicht über unsere Sittlichkeit, die versuchen das, woran schon so mancher seit Beginn des 18. Jahrhunderts sich die Zäne an uns ausgebissen hat...die Aufklärung!

    • @Sven Günther:

      Sie könnten ja auch mal bei Hamed Abdel-Samad oder Seyran Ateş anklopfen. Letztere war ja sogar schonmal bei den Grünen.

      • @Januß:

        Ist die grüne Parteispitze nicht komplett zum Islam konvertiert? Aus Protest gegen die Islamkritik von Abdel-Samad und aus Solidarität mit den Kritikern von Frau Ates? :-)

        • @Rolf B.:

          Das muss mir entgangen sein. Es überrascht mich aber auch nicht. :D

  • Das die Grünen bei Menschen mit Migrationshintergrund nicht beliebt sind und sich sogar noch auf einem absteigendem Ast befinden wundert mich kaum. Ich habe dazu einen revolutionären Gedanken: Die Grünen werden von Menschen mit Mitragionshintergrund selten gewählt, weil ihnen die Inhalte nicht schmecken, nicht weil die Optik nicht stimmt.

    Ich gehe eigentlich fest davon aus das der durchschnittliche Migrant deutlich konservativer ist als der durchschnittliche „Biodeutsche“. Diese Annahme basiert lediglich auf persönlichen Erfahrungen, es würde mich allerdings wundern wenn ich damit falsch läge. Indizien gibt es hingegen viele. Zum Beispiel ist die größte Rechtsextreme Bewegung in Deutschland die Gruppe „Graue Wölfe“, ein Importschlager aus der Türkei. (Ketzerische Frage am Rande: Gehen die Straftaten derartiger Gruppen eigentlich auch in die Statistik zu rechtsextremen Straftaten ein?^^)

    Aus machtpolitischen Gründen wedeln z.B. auch Islamverbände regelmäßig mit der Rassismuskeule, jedoch steht hinter diesem Vorwurf keineswegs das gleiche Gedankengebäude wie bei den Grünen. Man tut es einfach weil es Opportun ist.

    • @Januß:

      "Ich gehe eigentlich fest davon aus das der durchschnittliche Migrant deutlich konservativer ist als der durchschnittliche „Biodeutsche“." (Janus)



      Das kann ich aus der Alltagserfahrung eigentlich nur unterstreichen. Das betrifft in erster Linie Migranten aus dem arabisch-muslimischen Kulurraum, aber auch stark die aus Osteuropa. Abenteuerlich sich zu erwarten dass davon viele zu den Grünen gehen würden. Da liegen Welten dazwischen.

  • Sie könnten den Cem ja wieder zurückholen.

    • @Ted007:

      Ja den meinte ich. Es war das normalste der Welt.

      • @Doktor No:

        Gegen ein ordentliches Honorar oder einen günstigen Kredit von Hunzinger hat der bestimmt nix dagegen.

  • War denn nicht der damalige Vorsitzender ein Mann mit türkischen Wurzeln? Ich fänds gut, dass es einfach kein Thema war.

    Sich für die extra Schwierigkeiten von Minderheiten einzusetzen, finde ich gut. Weil ich für eine plurale Gesellschaft eintrete und weil wir alle in irgendwas Minderheit sind.

  • In einem mitteleuropäischen Land ist eigentlich kein Wunder, dass irgendeine Organisation mehrheitlich aus mit Weißen besteht.



    Ich erwarte auch grundsätzlich, dass Organisationen allen Ethnien und Weltanschauungen offen die Mitgliedschaft und aktive Mitarbeit/Teilhabe anbieten.

    Jedoch sollte sich auch immer vor Augen führen, wie sich die eigenen Wählerschaft zusammensetzt und wen man zusätzlich noch hinzugewinnen will. In diesem Land kann man leider keine Mehrheit erreichen wenn man ausschließlich Politik für Minderheiten machen würde. 23 % haben hierzulande Migrationshintergrund und darin sind viele (weiße) Europäer miteingerechnet. Wie man erfolgreich die weiße Mehrheitsgesellschaft verlieren kann, haben die US-Demokraten gezeigt, indem sie Trump unterschätzt haben. Deutsche Parteien sollten das nicht nachmachen.

  • Gibt es denn irgendwelche Zahlen mit der die Behauptung, dass die weißen Parteivorsitzenden und der weiße Bundesvorstand potenzielle Wähler*innen abschreckt, untermauert werden kann?



    Und wo genau sieht die Autorin denn „Gewachsene Strukturen der Diskriminierung“ bei den Grünen?



    Ich hatte bisher eher das Gefühl, dass die Grünen Menschen mit Migrationshintergrund eindeutig willkommen heißen. Beispielsweise wird bei Stellenausschreibungen explizit erwähnt, dass Bewerbungen von Migranten/Menschen mit Migrationshintergrund ausdrücklich erwünscht sind.

    • @Daniel Daniels:

      Es stellt sich möglicherweise heraus, dass die meisten Mitglieder der betreffenden Opfergruppen gar nicht so gerne exponiert als Mitglieder dieser Gruppen wahrgenommen werden möchten, sondern als ganz normale Menschen.

      Die Grünen springen mit ihrem ganzen aufgeregten Herumgehobse um alles, was irgendwie diskriminierbar ist, bei genau diesem zentralen Anliegen zu kurz. ZUVIEL Solidarität kann auch schonmal als herablassend empfunden werden.

      • @Normalo:

        Danke. Gut formuliert!

    • @Daniel Daniels:

      Natürlich gibt es dazu keine belastbaren Zahlen. Die SPD war ja lange Zeit auch die Partei der sogenannten Gastarbeiter aus der Türkei und das obwohl die SPD nicht grade durch "Diversity" aufgefallen ist.

      Ich traue es auch Minderheiten durchaus zu sich auf Inhalte anstatt auf Äußerlichkeiten konzentrieren zu können.

    • @Daniel Daniels:

      Beispiele?



      Ich habe vor ein paar Jahren einen jungen Mann bei einer Mitgliederversammlung eines großen Kreisverbands beobachten dürfen, der ganz schüchtern fragte, ob er als Rettungsdienstleister mit Hauptschulabschluss überhaupt für ein Amt kandidieren dürfe (den beiden lesbischen Obfrauen in der Reihe vor mir wurde ganz mütterlich zumute, gewählt wurde er natürlich zu gar nüscht).



      Ich erlebe unzählige junge Leute, türkische Familie, zweite oder dritte Generation, die sich schon mit den älteren akademischen Ausgrenzungsritualen schwertun, jetzt aber Gefahr laufen, in einer "Grünen"-Versammlung ausgezischt zu werden, wenn sie nicht auch noch ordentlich "gendern".



      Als jemand, der als Flüchtlingskind eher aus einem säkularisierten Egalitarismus der katholischen Arbeiterbewegung heraus ein gemeinsames Klassenbewusstsein mit diesen türkeistämmigen jungen Leuten empfindet, bin ich aus dieser neue "Feine Unterschiede" erzeugenden "Grünen"-Partei nach dem *-Beschluss ausgetreten.



      Ich würde mir ja wünschen, dass die Partei sich in diesem Diskurs eines Besseren besinnt. Ich fürchte nur, hier geht es um Folgendes: "Mein Name ist Anton Hofreiter und ich bin ein alter weißer Mann. Ich entschuldige mich dafür, dass ich People of Colour, Otheringopfer etc. nur mitrepräsentieren kann ...".



      Natürlich ist der Satz nicht auszusprechen, aber soll aber künftig mitzudenken sein. Natürlich bietet er nur denen einen Vorteil, die mit all den exkludierenden Sprach- und Machtspielen in der "Grünen"-Partei schon jetzt kein Problem haben.



      Wenn Frau Riese zum Schluss schreibt, es gehe darum, die Inklusion in die Partei-DNA aufzunehmen, geht sie m.E. von falschen Voraussetzungen aus. Denn auf die feinen neuen Mechanismen der beliebig Differenzen markierenden Sprach-/Machtspiele wird nämlich niemand verzichten, der sie mühsam aufgebaut hat - also die ganze Schicht der "geborenen" Parteitagsdelegierten und Landesvorstandsleute aufwärts.

  • Es gibt sogar Menschen, die keinen bezahlbaren Wohnraum finden, OBWOHL sie nicht schwul oder trans oder * sind, es gibt auch Menschen, die mit einem Vollzeitjob kaum über die Runden kommen, OBWOHL sie keinen Migrationshintergrund haben. Auch da können die GRÜNEN schön liefern.

  • Die Grünen haben sehr gute Chancen in naher Zukunft die politische Macht zu erreichen.



    Dies wäre enorm wichtig um beim Thema Natur, Energie und Infrastruktur endlich den notwendigen Wandel einer umweltverträglicheren Industrienation herbei zu führen.

    Doch offensichtlich verzettelt man sich lieber mit Themen die aus einem etwas anderen Kontext über den Atlantik schwappen.

    Durchaus richtig ist, dass die Grünen mutige und starke Antworten auf die Fragen von Asyl, Zuwanderung und Migration suchen und geben. Sich in Mitteleuropa der "white supremacy" Priviligien vorzuwerfen wäre so absurd wie afrikanischen Löwen vegane Ernährung andressieren.

    Weil die Rechten sehr viel Zulauf bekommen ist es angebracht Haltung zu zeigen. Jedoch sollte dabei auch bedacht werden wieviel Angriffsfläche man bieten will. Meiner Einschätzung nach treiben diese lauten Überlegungen wesentlich mehr zur AfD als mögliche Wähler zu den Grünen.

  • Es wohnen halt nicht mehr so viele Türken in Ottensen und Friedrichshain. Die haben die Grünen weggentrifiziert

    • 9G
      970 (Profil gelöscht)
      @Oskar:

      Manche, oh Schreck, sind eben auch nach einigen Jahren keine Türken mehr, sondern - ach du große Güte - deutsche Staatsbürger, also Deutsche, so richtig. Mit Pass und so! Dabei heißen die gar nicht Müller oder Schmidt oder Müller-Lüdenscheid. Sondern Öztürk oder sonstwas mit vielen Üs drin!

      • @970 (Profil gelöscht):

        »Müller oder ... Müller-Lüdenscheid ... Sondern Öztürk oder sonstwas mit vielen Üs drin«. ;-)



        Der Witz ist gut. Bei den Familiennamen also mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Quod erat demonstrandum (Was zu beweisen war).