Kostenloser öffentlicher Nahverkehr: In Zukunft bitte gratis fahren!
In der Vergangenheit hieß es, kostenloser ÖPNV sei zu teuer. Unter den Vorzeichen der Klimakrise zeigt sich: Es geht doch, auch wenn es kostet.
M anche Ideen brauchen ihre Zeit: Die Forderung nach einem kostenlosen Nahverkehr ist so eine. Wann immer darüber in den letzten Jahrzehnten diskutiert wurde, hieß es von der Gegenseite sofort: Zu teuer. Nicht machbar. Doch jetzt, unter den Vorzeichen der Klimakrise, zeigt sich: Es geht eben doch. Die Stunde des Gratis-ÖPNV ist gekommen.
Im bayerischen Pfaffenhofen fährt man bereits kostenlos, ebenso im estnischen Tallinn. Jetzt will die Linkspartei ein bundesweites kostenloses Schülerticket, das später für alle gelten soll. Die Grünen sind ohnehin seit Jahren dafür. Vielleicht kann sich sogar die jüngst ergrünte Union dafür erwärmen.
Es wäre eine einmalige Chance: Beim kostenlosen Nahverkehr für alle kommt Umweltpolitik einmal nicht in Form einengender Verbote daher, sondern als ein Mehr an Wahlfreiheit. Kostenloses Bahn-, Bus- und Tramfahren ist ein Angebot an alle, egal ob ihr Motiv für die Nutzung primär der Umweltschutz ist oder die Ersparnis. Es ist zugleich eine Form der Sozialpolitik, die nicht stigmatisierend wirkt, wie etwa die kostenlose Extra-Fahrkarte für Kinder von Hartz-IV-BezieherInnen. Kostenlos fahren ist ein Angebot, das motivieren kann, das Auto stehen zu lassen.
Die Praxis hat aber auch gezeigt: Der kostenlose ÖPNV führt nur dann zu weniger Autos auf den Straßen, wenn er einen echten Vorteil bietet gegenüber dem Auto. Wenn viele umsteigen sollen, muss zuvor das Schienennetz instand gesetzt und ausgebaut werden, müssen Taktungen und Kapazitäten von Zügen verbessert und vergrößert werden. Sonst führt der Verzicht aufs Auto schnell zu Frusterfahrungen in Stau-Bussen und übervollen U-Bahnen.
Wenn der kostenlose Nahverkehr mobilitätspolitische Lenkungswirkung haben soll und nicht nur eine grün und sozial klingende Luftnummer ist, dann würde er erst einmal doch Geld kosten. Egal ob das von der Autoindustrie kommen soll, wie die Grünen anregen, oder von einer Besteuerung großer Vermögen, wie die Linke fordert – zu einer ehrlichen politischen Diskussion gehört auch das.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen