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: Mit erhobenem Kopf

Ein Verbot des Kinderkopftuchs fordert die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Diskriminierungskritische Pädagogen widersprechen

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Edith Kresta

ist Ressortleiterin der taz. Sie hat die interkulturellen Seiten der taz, die damalige Intertaz, entwickelt und jahrelang betreut.

Der ewige Streit über das Kopftuch, er schwelt weiter. Dabei scheint das Thema längst ausdiskutiert, scheinen die Positionen klar zu sein, ohne dass sich ein Kompromiss ab­zeichnet. Kulturelle und religiöse Selbstbestimmung gegen Diskriminierung und Sexualisierung der Frau. Jungfeministinnen gegen Altfeministinnen. Die Diskussion ein Grabenkampf, völlig angstbesetzt, weil Rassismusvorwürfe lauern, die jederzeit auch die kompetentesten und aufrichtigsten Kritikerinnen treffen können.

Vermutlich pflegen trotzdem viele hierzulande ihre mehr oder weniger starken Ressentiments gegen das Tuch. Und das liegt nicht gleich an einem antimuslimischen Rassismus oder der bösartigen Verstocktheit unserer weißen Gesellschaft, sondern auch daran, dass der politische Islam die weibliche Kopfbedeckung zu seinem politischen Symbol erkoren hat. Das Kopftuch ist eben kein cooles Modeaccessoire, es symbolisiert immer noch Zwang und geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen. Auch wenn es manche muslimische Frauen selbstbewusst, demonstrativ und elegant tragen.

Zuletzt im April flammte der Streit über das Kopftuch erneut auf. Diskriminierungskritische Pädagogen meldeten sich zu Wort mit einer Gegenpetition zur Petition der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, „Den Kopf frei haben“. In der Petition von Terre des Femmes wird „ein gesetzliches Verbot des Kinderkopftuches im öffentlichen Raum, vor allem in Ausbildungssituationen für alle minderjährigen Mädchen bis zum 18. Lebensjahr“ gefordert.

Die vor akademischer Kompetenz strotzende Liste der diskriminierungskritischen Unterzeichner hält dagegen: „Die Forderung nach einem Kopftuchverbot für Minderjährige stellt einen starken Eingriff in die Selbstbestimmung junger Menschen dar, führt zu weiteren Eingriffen in ihre Lebensbedingungen und Teilhabechancen und legitimiert die schon bestehende Diskriminierung kopftuchtragender Musliminnen. Allein die Debatte führt dazu, dass die betroffenen Mädchen und jungen Frauen noch mehr auf diesen Teil ihres Lebens reduziert werden. Nicht zuletzt greift die Forderung nach einem Kopftuchverbot massiv in die menschenrechtlich und grundgesetzlich verbriefte Religionsfreiheit ein. “ Ihre Argumente sind schlagkräftig und überzeugend. Vor allem plädieren sie für einen entdramatisierenden Zugang zu diesem vielschichtigen Thema.

Aber ist es tatsächlich dramatisch, das Kinderkopftuch in der Schule zu verbieten? Nein, denn bei aller pädagogischer Empathie: Solange es den Zwang zu islamischen Kleiderordnungen im größerem Maßstab gibt, wird die Diskussion über das Kopftuch das repressive Thema nicht los. „Es gibt zahlreiche Rückmeldungen aus LehrerInnen-Netzwerken und aus unserer noch laufenden Umfrage unter Lehrkräften, dass gerade an Schulen viele Mädchen einem enormen Druck ausgesetzt sind, ein Kopftuch tragen zu müssen“, schreibt Terre des Femmes. „Verweigern sie sich, werden sie psychisch unter Druck gesetzt und öffentlich beschimpft. Sie tragen das „Kinderkopftuch“ auch, um die Familie, die Community nicht zu enttäuschen.“

Das Kopftuch ist ein Symbol des politischen Islam, aber auch ein Symbol für Rückwärtsgewandtheit und das Verwurzeltsein in alten patriarchalen Strukturen, die Mädchen weniger Freiheit und Selbstbestimmung zubilligen als Jungen. Mit der Migration der vergangenen Jahre sind viele traditionsbewusste Eltern nach Deutschland gekommen, die ihre Töchter früh an das Kopftuch gewöhnen wollen. Es ist auch in Deutschland, vor allem in Bezirken mit starker Zuwanderung, wieder präsenter geworden.

Ein Verbot des Kinderkopftuchs in Schulen ist machbar und überlegenswert. Der freie Kopf als schulischer Dresscode. Dagegen ist die Umsetzung eines allgemeinen Kopftuchverbots für minderjährige Mädchen im öffentlichen Raum, also auch auf der Straße, absurd. Soll etwa das Alter der Kopftuchtragenden überprüft werden? Wäre das überhaupt verfassungskonform? Die zu allgemeine Forderung nach einem Verbot des Kinderkopftuchs mag für viele die Unterzeichnung der Terre-des-Femmes-Petition erschweren.

Realität ist: Heftige Abwehr, Hass und andere Emotionen erzeugt der Schleier dort, wo er als real existierende Bedrohung besteht. In Tunis, Kairo, Teheran und anderswo in der muslimischen Welt geht es um die kulturelle Hegemonie von religiösen oder säkularen Kräften. Und Frauen sind die eindeutigen Verlierer, wenn sie unterm Kopftuch verschwinden, wenn sie als komplementär und nicht gleichberechtigt mit dem Mann definiert werden. Die Angst vor der kulturellen Hegemonie der fanatischen Religiösen ist dort begründet. Sie ist weder dort noch hier die Angst eines überholten Altfeminismus.

Ein Verbot von Kopftüchern an Schulen wäre eine klares Bekenntnis zur Gleichstellung von Mädchen

Für und gegen das Verbot ergeben sich ungewöhnliche Koalitionen. Liberale Muslime wie Ahmad Mansour oder Seyran Ateş, die ein konservatives Islamverständnis kritisieren, wie auch konservative deutsche Politiker, aber auch Lehrerverbände sehen das Kopftuch als Gefahr für die Selbstbestimmung der Mädchen und für ihre Integration. Das Integrationsministerium von NRW erwägt ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen unter 14 Jahren. Der Islamismusexperte Ahmad Mansour sagt: „Wir brauchen ein Verbot, um Kindern zu ermöglichen, ideologiefrei aufzuwachsen – ohne Geschlechtertrennung und Sexualisierung.“ Der deutschpalästinensische Psychologe bezeichnete den Kopftuchzwang für ein Kind als „eine Form von Missbrauch“. Er wird als Opportunist beschimpft.

Doch ein Kopftuchverbot an Schulen, damit Schülerinnen den Kopf frei haben, wäre eine klares Bekenntnis zur Gleichstellung von Mädchen, und würde klarstellen, welche reaktionären Praktiken wir als Gesellschaft ablehnen.