Verein zur Unterstützung linker Aktivisten: Rote Hilfe unter Druck

Seit mehr als 40 Jahren unterstützt die Rote Hilfe Linke vor Gericht. Nun deutet sich an, dass sie verboten werden könnte. Doch es formiert sich Protest.

Plakat der Roten Hilfe für einen Protest zum Tag der politischen Gefangenen mit dem Aufruf „Freiheit für alle politischen Gefangenen!"

Organisiert auch mal Proteste gegen Repression: die Rote Hilfe Foto: Jürgen Ritter

Es herrscht Nervosität in dem graugelben Vierstöcker am Rande der Göttinger Innenstadt. „Rotes Zentrum“ steht groß neben der Tür, die Linke ist hier einquartiert, die DKP. Und auch die Bundesgeschäftsstelle der Roten Hilfe. Hier wird dieser Tage viel telefoniert, auch eine Sondersitzung des Bundesvorstands ist anberaumt. Denn: Bald könnte die Polizei anrücken.

Es wäre eine bittere Pointe. Dann nämlich müssten die Vorstände der Roten Hilfen umsetzen, was sie seit Jahren der Szene für diese Situation predigen: Ruhig bleiben, sofort Anwälte hinzuziehen, keine Aussagen machen, keine Kooperation mit der Polizei. Noch allerdings ist alles eine Drohung: Dass die Rote Hilfe verboten werden könnte, nach 43 Jahren. Aber die Drohung ist so konkret wie lange nicht.

Von Anfang an, seit 1975, erteilt die Rote Hilfe Tipps an Linke, wie man sich auf Demonstrationen nicht festnehmen lässt, sich bei Razzien verhält, vor Gericht glimpflich davonkommt. Landet man dennoch dort, kann die Rote Hilfe Prozesskostenhilfe leisten, gesponsert von den Mitgliedern, die jährlich mindestens 90 Euro an den Verein zahlen. Baumbesetzern vom Hambacher Forst wurde so zuletzt geholfen, AfD-Gegnern oder kurdischen Aktivisten. Eine Distanzierung von erfolgten Straftaten verlangt die Rote Hilfe dabei nicht, ganz im Gegenteil. Es gehe nur um Solidarität, heißt es in der Satzung. Mit allen, die aufgrund ihrer linken Betätigung verfolgt werden.

Dass es überhaupt eine Satzung gibt, ist schon ein Ding für die linke Szene. Aber es gibt auch einen Vorstand, Schriftführer, einen eingetragenen Verein seit 1986. Und es funktioniert: Wo sich andere linke Gruppen gerne in Richtungskämpfen zerlegen, wächst die Rote Hilfe, und das seit Jahren – auch weil sie sich quer durch alle Spektren zieht, von Jusos bis zu Autonomen, von Anwälten bis zu Bundestagsabgeordneten. Rund 9.300 Mitglieder zählt die Rote Hilfe aktuell und 50 Ortsgruppen. Damit ist sie die größte und am breitesten aufgestellte linksradikale Organisation derzeit hierzulande.

Konkrete Überlegungen eines Verbots im Innenministerium

Als „strömungsübergreifende, linke Solidaritätsorganisation“ definiert sich die Rote Hilfe selbst. Für die Bundesregierung dagegen ist sie vor allem eines: eine „linksextremistische“ Gruppierung mit „verfassungsfeindlicher Grundausrichtung“.

Schon im Frühjahr hatte der CDU-Politiker Armin Schuster gefordert, ein Verbot der Roten Hilfe zu prüfen. Schuster ist nicht irgendjemand: Er ist führender Innenexperte der Union im Bundestag, Vorsitzender des dortigen Kontrollgremiums der Geheimdienste – und er wäre zuletzt beinah selbst Verfassungsschutzpräsident geworden, wenn sich Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) gegen die Kanzlerin durchgesetzt hätte.

Nach taz-Informationen gibt es nun tatsächlich konkrete Überlegungen im Bundesinnenministerium, die Rote Hilfe zu verbieten. Zuvor hatte auch der Focus vermeldet, dass der Verein demnächst verboten werden soll. Im Innenministerium kommentiert man das nicht. Zu Verbotsüberlegungen äußere man sich generell nicht, sagt ein Sprecher. „Unabhängig davon, ob hierzu im Einzelfall überhaupt Anlass besteht.“

Schon zuletzt hatte sich die Bundesregierung jedoch klar positioniert. Die Rote Hilfe leiste „linksmotivierten Straf- und Gewalttätern politische und finanzielle Unterstützung“, heißt es in einer aktuellen Antwort auf eine Linken-Anfrage. Der Verein diskreditiere das Rechtssystem pauschal als „Gesinnungsjustiz“. Seine Unterstützung für linke Straftäter gehe „über den Bereich einer zulässigen Verfassungskritik hinaus“. Auch trete er für eine „mit dem Grundgesetz unvereinbare sozialistisch-kommunistische Staatsordnung“ ein. All dies seien „verfassungsfeindliche Ziele“.

Jetzt geht es ums Ganze

Deutliche Worte. Die Rote Hilfe muss sie als Warnschuss verstehen. „Wir nehmen das durchaus ernst gerade“, sagt Henning von Stoltzenberg, Teil des Bundesvorstands der Roten Hilfe, ein Anfangvierzigjähriger, aktiv auch in der Linkspartei. „So eine Drohung gegen uns gab es seit Jahren nicht. Aber unsere Arbeit ist legitim und die machen wir weiter.“ Man unterstütze Betroffene von Repression, damit diese nicht im Extremfall ihre Existenz riskierten. „Dass das dem Repressionsapparat nicht gefällt, mag sein“, erklärt von Stoltzenberg. „Aber das ist kein Grund, uns zu verbieten.“

In den letzten Jahren lief es meist so: Es waren einzelne linke Politiker, die Probleme bekamen, als ihre Mitgliedschaft in der Roten Hilfe bekannt wurde. Franziska Drohsel etwa, die frühere Juso-Chefin, die die Union vor Jahren als „Terror-Sympathisantin“ bezeichnete und zum Rücktritt aufforderte. Noch 2016 scheiterte eine Wahl Drohsels als Berliner Stadträtin wegen ihrer Vergangenheit.

Ähnliches ereilte Katja Kipping, die heutige Linken-Chefin. Oder Sina Doughan, einst Vorsitzende der Grünen Jugend. Einige verließen unter diesem Druck die Rote Hilfe. Andere blieben: etwa die Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen oder Kathrin Vogler.

Jetzt aber geht es nicht mehr um einzelne Mitglieder. Jetzt geht es für die Rote Hilfe ums Ganze.

Ein Kerngeschäft bleibt die Prozesshilfe

Gegründet wurde die Rote Hilfe als Mitfolge der 68er-APO. Als nach den Großdemonstrationen und ersten militanten Gruppen auch die Strafverfolgung einsetzte, organisierten die Protestierenden erste „Knastwochen“, forderten die Freiheit aller politischen Gefangenen – und stellten 1975 die Rote Hilfe auf die Beine. Die betreute auch die Angeklagten in den RAF-Verfahren. Noch 2016 wünschte die Rote Hilfe in ihrer Mitgliederzeitung den letzten drei RAF-Untergetauchten Burkhard Garweg, Ernst-Volker Staub und Daniela Klette: „Viel Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“

Aktuell gibt die Rote Hilfe Tipps noch gegen „Anquatschversuche“ von Geheimdiensten, rät zur Datenverschlüsselung oder warnt vor der Mitnahme von Handys auf Demonstrationen. Man müsse es den „Bullen“ ja „nicht leicht machen“. Solidarisiert wird sich nun mit „kurdischen Freiheitskämpfern“, protestiert gegen die verschärften Polizeigesetze.

Henning von Stoltzenberg

„Unsere Arbeit ist legitim und die machen wir weiter“

Ein Kerngeschäft aber bleibt die Prozesshilfe. Die Rote Hilfe vermittelt Anwälte, betreut Inhaftierte – und übernimmt Prozesskosten. 173.362 Euro verteilte sie nach eigener Auskunft allein in diesem Jahr an angeklagte Linke. Entscheiden tut dies der Bundesvorstand. Antragsteller müssen Prozessdokumente vorlegen, es erfolgt eine „Einzelfallprüfung“. Bei Zustimmung wird in der Regel die Hälfte der Rechtsstreitkosten übernommen. Zuletzt etwa für eine Baumbesetzerin aus dem Hambacher Forst, zwei Sitzblockierer gegen Pegida oder vier Hamburger Hausbesetzer.

Andere Anträge wurden dagegen abgelehnt. Der eines Mannes etwa, der betrunken beim Anarcho-Symbole-Sprühen erwischt wurde und dies vor Gericht als „Jugendsünde“ abtat. Oder ein AfD-Gegner, der versehentlich einen Zivilpolizisten als „Pisser“ beleidigte und dies über seine Anwälte reuig zurücknahm. „So bitte nicht!“, heißt es dazu im Mitgliederblatt. Bei Distanzierungen oder Geständnissen sei die Folge klar: keine Unterstützung. „Keine Zusammenarbeit mit den staatlichen Repressionsorganen“, lautet die Devise.

Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks

Genau das wirft die Bundesregierung dem Verein vor. Die Rote Hilfe binde ihren Beistand daran, dass Straftäter „kein Unrechtsbewusstsein zeigen“. Negativ aufgefallen sei dies zuletzt bei den G20-Gegenprotesten in Hamburg. Hier habe die Rote Hilfe das staatliche Handeln „vehement kritisiert“ und Gewalttäter ohne Einschränkung mit einem eigenen Spendenkonto gefördert. Damit habe sie sich „nicht nur auf die Unterstützung von legitimen Protesten beschränkt“.

Henning von Stoltzenberg hält diese Vorwürfe für ­„abstrus“. Man interessiere sich nicht für Aktionsformen, sondern nur dafür, dass jemand für sein politisches Handeln nicht ruiniert werde. Mit dem Befürworten von Gewalt habe dies nichts zu tun. „Und zunächst gilt ja für alle die Unschuldsvermutung.“ Zur Aussageverweigerung würden auch Anwälte raten. Von Stoltzenberg verweist auf den Fall des 19-jährigen G20-Gegners Fabio V., der monatelang in U-Haft saß, weil er sich an einer Demo beteiligte, auf der Steine flogen. Am Ende platzte der Prozess.

Wie bei Fabio V. seien es teils „perfideste Unterstellungen“, die Linke träfen, so von Stoltzenberg. „Es ist doch nicht illegal, sich vor Gericht zu verteidigen.“ Man mache deshalb normal weiter, mit der Verbandsarbeit, mit Kampagnen, mit „Soli-Abende“. Auch seien neue Mitglieder herzlich zum Eintritt eingeladen. Gerade jetzt.

Tatsächlich erlebten die Sicherheitsbehörden zuletzt auch eine Schlappe: In Bremen klagte die Rote Hilfe dagegen, als „gewaltorientiert“ bezeichnet zu werden – und bekam Recht. Der Verfassungsschutz musste die Bezeichnung aus seinem Jahresbericht streichen. Im Bundesinnenministerium lässt man sich davon offenbar nicht beirren.

Von Stoltzenberg ordnet das drohende Verbot seiner Roten Hilfe denn auch anders ein: als einen Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks derzeit. „Uns zu verbieten, wäre ein Angriff auf die gesamte Linke.“

„Rein politisch kalkuliertes Manöver“

Tatsächlich wäre ein Verbot der zweite große Schlag gegen die linksradikale Szene in jüngerer Zeit. Schon im August 2017 wurde das Szene-Onlineportal „Indymedia linksunten“ verboten. Das begründete das Innenministerium mit Gewaltaufrufen und Hetze gegen den Staat und Polizisten. Schon das löste breite Proteste aus. Träfe es nun auch die Rote Hilfe, dürften sie noch größer werden.

Bereits jetzt formiert sich Widerstand. Die Rote Hilfe sei „unverzichtbar für die Verteidigung von Bürgerrechten“, gerade in Zeiten „repressiver Sicherheitspolitik“, erklärt die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke. Ein Verbot wäre ein „rein politisch kalkuliertes Manöver“. Sie bleibe Mitglied der Roten Hilfe, weil diese „einen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie leistet, ganz im Gegensatz zu jenen, die nach ihrem Verbot rufen“.

Auch die Jusos erklärten sich auf ihrem jüngsten Bundeskongress solidarisch. „Wir fordern die SPD auf, das angekündigte Verbot zu verhindern.“ Die Rote Hilfe engagiere sich für Grundrechte. „Es kann nicht rechtswidrig sein, sich Rechtshilfe zu suchen.“ Bei den Grünen sagt Innenexpertin Irene Mihalic, sie sehe einiges kritisch bei der Roten Hilfe. „Gründe, die aktuell ein Verbot rechtfertigen, sind mir aber nicht bekannt.“

Innenminister Seehofer dagegen äußerte sich schon im Sommer deutlich, als er den jüngsten Verfassungsschutzbericht vorstellte. Die momentane Gewaltbereitschaft der linksextremen Szene sei „alarmierend“. Szenen wie beim G20-Gipfel in Hamburg dürften sich nicht wiederholen. Als „deutliches Zeichen“ dagegen pries Seehofer das Vorgehen gegen Indymedia. Ein Verbot.

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