Kommentar Griechenland-Wahl: Zur Demokratie gehört Respekt
Griechenland hat demokratisch gewählt. Die Europäer sind gut beraten, die anstehenden Gespräche mit aller Ernsthaftigkeit zu führen.
M anchmal treffen auch abgestandene Worthülsen den Punkt. Mit dem Wahlsieg von Syriza verbinden sich tatsächlich Chancen und Risiken. An Szenarien herrscht weiß Gott kein Mangel. Die griechischen Linken werden ihr Land zugrunde richten – und die Eurozone noch dazu, warnen Konservative.
Manche Linke glauben dagegen an eine Europa umspannende Trendwende, die den Menschen mehr Gerechtigkeit und den Banken weniger Steuergelder schenken wird.
Zunächst einmal ist der Sieg von Syriza eine Chance dafür, dass sich Griechenland von jahrzehntelanger Korruption und Vetternwirtschaft befreit, mit denen sowohl die konservative Nea Demokratia als auch die sozialdemokratische Pasok untrennbar verbunden waren. Das Mutterland der Demokratie braucht dringend mehr demokratische Freiheiten; der Wechsel zu Syriza ist, anders als der zwischen den bisherigen Machthabern, ein vollständiger Bruch mit dem Klientel-System.
Doch Syriza-Chef Alexis Tsipras hat jetzt ein Problem: Er hat mit seiner Wahlkampfrhetorik unstillbare Hoffnungen produziert und gefährliche Feindbilder gehegt. Gegen den von ihm behaupteten „sozialen Holocaust“ – was für eine ekelhafte Wortwahl – sollen Renten und Sozialhilfe erhöht, mehr Beamte eingestellt und ein Mindestlohn eingeführt werden. Die „Herrschaft der Troika“ – und damit der EU – sei ab dem Montag beendet, hat er vollmundig verkündet.
Nun muss Tsipras seinen Anhängern klarmachen, dass dem nicht so ist und auch eine linke Regierung nicht einfach Geld drucken kann. Anders gesagt: Syriza kommt nicht darum herum, mit den europäischen Geldgebern in Verhandlungen zu treten. Andernfalls, so lautet die bittere Wahrheit, ist Griechenland in ein paar Monaten zahlungsunfähig – und das ganz ohne die tatsächlich so dringend notwendigen sozialen Verbesserungen.
Die Europäer sind gut beraten, diese anstehenden Gespräche mit aller Ernsthaftigkeit zu führen. Nicht so sehr deshalb, weil der Euro sonst in Gefahr geriete. Nicht unbedingt, weil andernfalls Milliardenkreditsummen abgeschrieben werden müssten. Sondern, weil ein Scheitern Griechenlands einem Fanal gegen die Einheit Europas und die Europäische Union gleichkäme.
Griechenland hat demokratisch gewählt. Das Ergebnis verdient Respekt. Andernfalls gerät die Demokratie selbst in Gefahr – und das nicht nur in Athen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
Auto rast in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Fragestunde mit Wladimir Putin
Ein Krieg aus Langeweile?
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Wahlprogramm von CDU und CSU
Der Zeitgeist als Wählerklient