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das wird„Dass wir sie lächerlich finden, schützt die AfD“

Weil wir sie nicht ernst nehmen, kann die AfD die Demokratie zerstören, sagt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit

InterviewWilfried Hippen

taz: Herr Ruch, warum genügt es, die AfD beim Wort zu nehmen, um ihre Verfassungsfeindlichkeit zu beweisen?

Philipp Ruch:Manche der AfD-Ankündigungen lesen sich urkomisch. Man will einfach nur schreien. Beim genaueren Studium der NSDAP fiel mir aber auf: Das war damals nicht anders. Die sind zum Schreien komisch. Das Problem ist nur: Faschisten sind keine Comedians. Die meinen, was sie sagen. Während der Nationalsozialismus ankündigte, was er vorhat, war dies für die meisten eine große Quelle der Belustigung. Ja, war dann am Ende doch nicht ganz so lustig.

taz: In Ihrem Buch ziehen Sie Parallelen zur Situation am Ende der Weimarer Republik, als sich die Menschen zum Teil nicht vorstellen konnten, dass Witzfiguren wie Göring und Hitler die Macht erhalten. Gibt es heute ähnliche Verdrängungsmechanismen?

Ruch:Es sind dieselben: Wer kann sich diese grölenden, vulgären AfD-Politiker mit Bierbauch als Justizminister vorstellen? Wir müssen sie uns als Bundesminister vorstellen. Dann wird klarer, warum die Nazis ihre Obsessionen in eine Politik der Menschenjagd übersetzen konnten. Dass wir sie ­lächerlich finden, schützt das politische Projekt der AfD: die Zerstörung der Demokratie.

taz: Anderseits schreiben Sie, dass damals der Widerstand gegen die Feinde der Demokratie stärker war.

Ruch:Mein Lieblingsbeispiel ist der bayerische Innenminister Karl Stützel, ein unbesungener Held der wehrhaften Demokratie. Stützel hat als ­Innenminister gegen Hitler angekündigt: „Verlassen Sie sich darauf, gegen die Nazis werden wir schießen, wenn es eines ­Tages erforderlich sein wird.“ Dagegen ist unser heutiger Innenminister Dobrindt ein Zwerg. Die Weimarer Republik hat die NSDAP militanter bekämpft, als unser Staat heute die AfD. Wir sind gegen die AfD regelrecht handzahm.

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taz: Und die bürgerlichen Kräfte nehmen die Gefahr auch darum nicht ernst, weil nicht sie, sondern Minderheiten angegriffen werden – ganz wie damals?

Ruch:Absolut. Die NSDAP hat mit einem militanten Anti­marxismus sehr viele Stimmen geholt. Damit waren übrigens weniger Kommunisten als die SPD gemeint. Da dachte sich das bürgerliche Lager: Wunderbar, wie die der Arbeiterpartei SPD auf die Mütze geben. Es hat gar nicht bemerkt, dass es selbst als nächstes an der Reihe ist.

taz: Sie schreiben auch über das antidemokratische Verhalten von AfDle­r*in­nen in den Parlamenten. Was meinen Sie?

Ruch:Die AfD schickt dieselbe Sorte Mensch in die Parlamente wie die NSDAP: Irre, Proleten, Schreihälse, absolut Ungebildete, Straftäter. In Karlsruhe sitzt seit zwei Jahren eine gewählte AfD-Bundestagsabgeordnete als Anführerin einer Terrorgruppe im Gefängnis, die mit ihren Komplizen die Stellen im Bundestagsgebäude ausgekundschaftet hatte, von denen aus sie einen Putsch organisieren wollten. Wir sind 2021 einer gewaltsamen Machtübernahme durch die AfD näher gewesen, als wir alle denken. Der Generalbundesanwalt fand das gar nicht lustig. Der führt, von der Öffentlichkeit ignoriert, die größten Massenprozesse gegen eine Terrorgruppe seit der RAF.

taz: Sie werfen der bürgerlichen Gesellschaft Bequemlichkeit angesichts der Gefahr durch die AfD vor. Was meinen sie damit?

Foto: Glen Glover

Philipp Ruch

Jahrgang 1981, Aktionskünstler, ist Gründer des Zentrums für Politische Schönheit. Das Buch: „Es ist 5 vor 1933“, Ludwig Verlag, München; 224 S., 16 Euro, Ebook: 10 Euro.

Ruch:Merz und Dobrindt halten die AfD für nützliche extremistische Idioten, mit denen sie die politischen Gegner, vor allem SPD und Grüne, einschüchtern können. Das ist exakt die Strategie des bürgerlichen Lagers ab 1930. Sie hat die Welt in den Holocaust geführt.

taz: Und dass die SPD ein AfD-Verbotsverfahren prüfen will, ist kein Schritt in die richtige Richtung?

Ruch: Das sind Theaterveranstaltungen, um uns ruhig zu halten. Es kommt bei der AfD genau wie bei der NSDAP darauf an, die Unruhe zu bewahren. Schon nächstes Jahr wird die Partei voraussichtlich den ersten Ministerpräsidenten stellen. Dem Land ist noch gar nicht klar, was das bedeutet. Es wird alles verändern – zum Negativen.

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