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Zweifelhafter Wahlsieg in NicaraguaWie einst Honecker

Ralf Leonhard
Kommentar von Ralf Leonhard

Daniel Ortega hat seine Wiederwahl zum Präsidenten Nicaraguas dreist zusammengetrickst. Doch sein Rückhalt schwindet immer mehr.

Nicaraguaner protestiert gegen das Wahlergebnis auf dem Platz der Verfassung in Guatemala-Stadt Foto: Moises Castillo/ap/dpa

D aniel Ortega wird seines zweifelhaften Wahltriumphs nicht lange froh werden. Er weiß nur zu gut, dass das vom Obersten Wahlrat in Nicaragua verkündete Ergebnis reine Fantasie ist. Die offiziell verkündete Wahlbeteiligung von 65 Prozent steht in schroffem Gegensatz zu den gähnend leeren Wahllokalen, die Beobachter am Sonntag registrierten. Unabhängige Umfragen bescheinigen Ortega am Ende des 15. Jahres seiner Regierung eine Zustimmung von nicht einmal 10 Prozent.

Und die Aussichten, die einstige Popularität mit großzügigen Geschenken an die Bevölkerung wiederherzustellen, sind bescheiden. Die Petrodollars aus Venezuela, die lange eine klientelistische Wohlfahrtspolitik ermöglicht hatten, sprudeln längst nicht mehr: Nicolás Maduro in Caracas ist mit dem eigenen politischen und ökonomischen Überleben beschäftigt.

Die Arroganz, mit der Ortega und seine Frau Rosario Murillo Kritik aus dem Ausland an ihrer zunehmend autokratischen Herrschaft als unzulässige Einmischung abkanzeln, wird sich rächen. Nicaragua hängt heute so stark vom Handel mit den USA ab wie zu Zeiten des rechten Diktators Somoza. Wenn auf die Wahlfarce der Ausschluss aus dem Freihandelsabkommen Zentralamerika–USA (Cafta) folgt, wird nicht nur die Handelsbilanz leiden. Auch Unternehmer, die Ortega bisher aus opportunistischen Gründen unterstützt haben, werden nervös werden. Und die USA sind nach einem Kongressbeschluss verpflichtet, bei internationalen Geldgebern wie der Weltbank Kredite für Nicaragua zu blockieren.

Die Verhaftung oder Vertreibung der intellektuellen und politischen Elite sorgte nur scheinbar für Ruhe im Land. Auch unter wohlmeinenden Linken hat der ehemalige Revolutionskommandant kaum noch Anhänger. Die meisten vermögen in seiner Politik auch keine linken oder progressiven Elemente mehr zu erkennen. Der schwer kranke Ortega wird seinem Regime keine neue Dynamik mehr einhauchen können. Er möge sich an den letzten Wahlschwindel von Erich Honecker in der DDR erinnern. Wenige Monate darauf stürzte die Mauer.

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Ralf Leonhard
Auslandskorrespondent Österreich
*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.
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12 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Honny-Ortega, was für eine Flasche! In den 80er Jahren ein Hoffnungsträger.

  • Erinnert mich an einen Italo-Western und Revolutionäre.

    Am Schluss Frist die Revolution seine eigenen Kinder.

  • Wer eine Gegendarstellung zu diesem Beitrag wünscht, möge mal in der „Jungen Welt“ (JW) unter „Klarer Sieg für Ortega in Nicaragua“ nachlesen. Es gipfelt in dem Satz:



    „In der Hauptstadt Managua hatten bereits in der Nacht zahlreiche Anhänger Ortegas den Sieg zu feiern begonnen. »Ja, wir haben es geschafft, Daniel, Daniel!« riefen sie und zündeten Feuerwerkskörper. Auch in anderen Städten kam es zu Jubelszenen.“ www.jungewelt.de/a...a.html?sstr=ortega



    Wünsche heftiges Kopfschütteln!

  • .....Nicaragua, einst ein Land für Utopien und Projektionsfläche der internationalen Linken, hat in diesem Jahr im Rekordtempo den Schritt von einem autoritären Staat zu einer Diktatur vollzogen. Zwischen Mai und Juli wurden 39 Politiker, Studentenführer, Oppositionelle, Aktivisten der Zivilgesellschaft und selbst Helden der Revolution von 1979 wegen Vorwürfen wie »ideologischer Falschheit«, »Provokation«, »Verschwörung« und »Geldwäsche« festgenommen. Darunter vor allem die sieben Präsidentschaftskandidaten und -kandidatinnen, die gegen Ortega antreten wollten.....



    Nun aber könnten sich die Söhne und Töchter selbst einmal fragen, was denn aus jener leidenschaftlich bewunderten Befreiungsbewegung geworden ist, die man einst mit Herz und Hirn unterstützt hat.

    Üblicherweise nennt man sowas Vergangenheitsbewältigung...



    www.deutschlandfun...:article_id=433336



    Ick glaube, ich muß mich selbst vergangenheitsbewältigen(bin ja richtig erschrocken..)



    Margot Honecker - Der Sozialismus kommt!



    www.youtube.com/watch?v=otaYby3z9I8



    Die Zeichen stehen gut!

    • @Ringelnatz1:

      Eine Geschichte, die sich schon einige male wiederholte.

      Wir verkauften in den 80-er-Jahren in der Fußgägnerzone Kaffee aus Nicaragua. Der war eine Herausforderung für die Magenschleimhäute.

      Die, die es konnten, sind als Freiwillige dorthin gefahren, um bei der Ernte zu "helfen". Eigentlich waren sie menschliche Schutzschilde gegen die Contra.

      Sie kamen mit stolzgeschwellter Brust zurück und liefen monatelang mit den roten Sandinisten-Halstüchern herum.

      Wir waren sogar in Barcelona auf einer Demo: "Vista, vista, Nicaragua sandinista."

      Dann kam Chamorro und das Interesse erlahmte.

    • @Ringelnatz1:

      Ja, lang ist es her, als wir als Schüler noch heft und Stifte für Nicaragua sammelten. Und "Mit dem Gesicht zum Volke" wurde wohl auch nicht verstanden..

  • schließe mich @vidocq an.

    @ Autor: Es heißt Nicaraguense nicht Nicaraguaner. Sind ja auch keine Großbritanier.

    • Ralf Leonhard , Autor des Artikels, Auslandskorrespondent Österreich
      @tom meq:

      Auf Spanisch heißt es tatsächlich nicaragüense, auf Deutsch Nicaraguaner.



      Sorry

  • Wenn Ortega stirbt, übernimmt seine Frau als Vizepräsidenten das Amt. Da sie aber nicht den Rückhalt Ortegas hat und sich wegen ihrer maquiavelischen und herrischen Art viele Feinde in den eigenen Reihen gemacht hat, ist eine Militärputsch des Militärs nicht auszuschließen. Dem entgegen steht allerdings die familiäre Verquickung der Militärspitze mit dem Ortega/Murrillo - Clan. Zu hoffen wäre, dass junge Offiziere dann das Steuer übernehmen und dem Spuk der Diktatur ein Ende bereiten.

    • 1G
      17900 (Profil gelöscht)
      @Rinaldo:

      "Zu hoffen wäre, dass junge Offiziere dann das Steuer übernehmen und dem Spuk der Diktatur ein Ende bereiten."

      Das war damals bei Gadaffi so.

      Hört diese Mist denn nie auf?



      Ähnliches spielt sich in vielen Ländern ab.

  • Erinnere ich mich daran, mit wieviel Blauäugigkeit ich damals den Systemwechsel begleitete; B Traven gelesen und geglaubt verstanden zu haben um dann über Jahrzehnte erodieren zu sehen, was so viel Hoffnung sääte...