Zunahme von Messerangriffen: Keine Messer für Männer

Im Bund wird über ein schärferes Waffengesetz diskutiert und Berlin prüft die Einrichtung von Messerverbotszonen. Helfen allein wird beides nicht.

Überwiegend schon verboten: Springmesser Foto: Thomas Banneyer

BERLIN taz | Neukölln, Wedding, Gesundbrunnen, Mitte: Nach vier schweren Angriffen mit Messern am Wochenende – am Richardplatz gar mit tödlichem Ausgang – ist die Debatte um Gewalt mit Stichwaffen in Berlin in vollem Gange. Diskutiert wird auch über einen Vorstoß von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die strengere Regeln für den Besitz und das Mitführen von Messern in der Öffentlichkeit angekündigt hat.

Seit mehreren Jahren steigt die erfasste Zahl der Straftaten mit Messern in Berlin deutlich an. Wurden 2013 rund 2.500 Taten gezählt, waren es 2023 knapp 3.500 Fälle – ein Zuwachs von fast 40 Prozent. Gegenüber 2022 gab es einen leichten Anstieg von 165 Fällen, also 5 Prozent. Bei einem großen Teil der Fälle handelt es sich um Bedrohungen – etwa bei Raubtaten. Bei einem kleinen Anteil kommt es allerdings zu schweren und tödlichen Körperverletzungen.

Erst kürzlich schlug die Charité Alarm: Laut Ulrich Stöckle, Direktor des dortigen Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie, musste das Krankenhaus im ersten Halbjahr 2024 bereits so viele Stichverletzungen versorgen wie sonst in einem ganzen Jahr. Derweil nahm die bundesweite Debatte nach der tödlichen Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim Ende Mai Fahrt auf.

Unter diesem Eindruck hatten die Länder, darunter Berlin, im Juni das Bundesinnenministerium per Bundesratsinitiative ermahnt, mit der seit Anfang 2023 angekündigten Novelle des Waffenrechts vorangekommen.

Waffengesetz soll verschärft werden

Nun kündigte Faeser gegenüber der Bild am Sonntag an, im neuen Waffenrecht „den Umgang mit Messern im öffentlichen Raum weiter einzuschränken“. Demnach sollen nur noch Messer mit einer Klingenlänge von bis zu 6 Zentimetern, statt bislang 12, erlaubt sein. Für „gefährliche Springmesser“ wolle sie ein „generelles Umgangsverbot“ schaffen. Diese Messer, bei denen die Klinge auf Knopfdruck aus dem Griff schnellt, sind – bis auf wenige Ausnahmen – bereits verboten. Diese Ausnahmen will Faeser nun streichen. Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) sagte der taz: Angesichts der Zunahme von Angriffen mit Messern „findet das Anliegen meine Unterstützung“.

Kriminologe Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hält zwar die Vereinheitlichung des Waffengesetzes für „prinzipiell sinnvoll“, sagt der taz aber: „Allerdings ist eine solche Verschärfung kein Instrument, um Messergewalt vorzubeugen. Schon bislang seien Messerangriffe „mit bereits jetzt verbotenen Messern verübt“ worden.

Faeser will dem Problem auch mit Waffenverbotszonen begegnen, zumindest fordert sie die Länder auf, solche einzurichten. In Berlin gibt es diese Zonen bislang nicht dauerhaft und nur selten temporär. So galten Verbote während der Fußball-EM an Treffpunkten der Fans und rings ums Olympiastadion. Zudem verbot die Bundespolizei schon mehrfach das Mitführen von Messern an Bahnhöfen für ein Wochenende lang, zuletzt im März.

Auf den Bahnhöfen Gesundbrunnen, Ostkreuz, Warschauer Straße und Südkreuz wurden dabei bei 930 Personenkontrollen elf Messer sichergestellt. Spranger verweist nun auf die Einigung des schwarz-roten Koalitionsvertrages und kündigt an: „Die Einrichtung solcher Waffen- und Messerverbotszonen wird derzeit gemeinsam mit der Polizei abgestimmt.“

Skeptisch sieht das die Berliner Gewerkschaft der Polizei, die schon mehrfach mahnte, Messerverbote werde Täter nicht abhalten. Baier sagt dazu, Verbotszonen könnten „kurzfristig hilfreich sein, die Situation zu beruhigen“, weil sie zeigen, dass das Problem ernst genommen werde und „polizeiliche Kontrollen – wenn sie denn erfolgen – eine gewisse Abschreckung haben“. Langfristig jedoch seien „solch repressiven Maßnahmen sicher keine Lösung.“

AfD macht rassistische Stimmung

Um Lösungen geht es jenen, die die Debatte um Messerkriminalität besonders intensiv führen, derweil nicht. Die AfD ergötzt sich an jedem Vorfall, in Berlin meldet sich die Partei auch zu Wort, wenn es in Magdeburg oder Ingolstadt zu Messerangriffen kommt. Und das nie ohne rassistische Zuschreibung. Das Leitmotiv hat der Berliner Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, schon vor Jahren gesetzt: „Masseneinwanderung ist Messereinwanderung.“

Entsprechende Anfragen sollen die These bestätigen und das Thema am Laufen halten. In dieser Legislaturperiode des Abgeordnetenhauses hat die AfD bereits 7 Anfragen zum Thema gestellt – von 8 insgesamt. Dabei geht es immer um den „Täterhintergrund“.

Im vergangenen Jahr antwortete die Innenverwaltung auf eine Anfrage des AfD-Abgeordneten Marc Vallendar: Demnach hatten 2022 von 2.428 Tatverdächtigen 1.194 die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch beantwortet wurde die Frage nach den häufigsten Vornamen der deutschen Staatsangehörigen: Christian, Nico und Ali.

Bei einer neuerlichen Anfrage im Mai dieses Jahres erhielt Vallendar die Antwort auf die Namensfrage nicht mehr. Mit Bezug auf ein Urteil aus Niedersachsen, wo eine Antwort ebenfalls verweigert wurde, argumentierte die Innenverwaltung mit dem „Schutz der Persönlichkeitsrechte“ der Betroffenen, auch aber mit der Möglichkeit der „sozialen Stigmatisierung“. Für Vallendar und die AfD ist das ein derartiger Skandal, dass sie Klage gegen den Senat eingereicht haben.

Anders als dieser formulierte Polizeipräsidentin Barbara Slowik im Juni „zugespitzt“, wie sie es selbst nannte: „Nach unseren Zahlen ist die Gewalt in Berlin jung, männlich und hat einen nicht-deutschen Hintergrund. Das gilt auch für Messergewalt.“ Immerhin suggerierte Slowik dabei nicht, dass der Griff zum Messer als Tatwaffe ethnisch bedingt ist, so wie es die AfD tut.

Baier spricht von drei Faktoren, die das Mitführen von Messern begünstigen: Der Freundeskreis und die Persönlichkeit – also die eigene Neigung zu Delinquenz – und Männlichkeit. Junge Männer, für die es wichtig ist, „Dominanz und Stärke zu demonstrieren“, führten eher Messer mit sich. Wolle man dem Problem beikommen, müsse man „an den Faktoren arbeiten, die Menschen dazu motivieren, Messer mit sich zu führen“.

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