Zukunft des Gazastreifens: Träume von rechts
Zwei israelische Minister wollen einen Großteil der Gaza-Bevölkerung in den Kongo umsiedeln. Im Gazastreifen sollen Juden leben.
Äußerungen der zwei rechtsextremen Hardliner Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich sorgten zuletzt für einen Aufschrei in der internationalen Öffentlichkeit: Der Krieg biete eine „Gelegenheit, sich auf die Migration der Bewohner des Gazastreifens zu konzentrieren“, sagte der Minister für Nationale Sicherheit, Ben Gvir, am Montag. Am Tag zuvor hatte Finanzminister Smotrich im Radiosender der israelischen Armee gefordert, dass rund 90 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens „beseitigt“ werden sollten: „Wenn es 100.000 oder 200.000 Araber in Gaza gibt und nicht 2 Millionen, sieht der ganze Diskurs über den Tag danach anders aus“, sagte er.
Die jüngste Idee Israels scheint nun: Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen in die Demokratische Republik Kongo zu transferieren. Der Internetzeitung Sman Israel zufolge führe die Regierungskoalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu Geheimgespräche mit dem Land zur Aufnahme von Tausenden von palästinensischen Migrant*innen aus dem Gazastreifen. Ein hochrangiger israelischer Beamter, der anonym bleiben wollte, dementierte dies laut Internetzeitung Times of Israel jedoch am Mittwoch. Die Pläne seien eine „unbegründete Illusion“.
Die Idee, in Israel unbeliebte Menschen nach Afrika abzuschieben, ist nicht neu. Bereits 2015 hatte Netanjahus Regierung mit Ruanda und Uganda einen geheimen Deal aufgesetzt, afrikanische Flüchtlinge zurück in afrikanische Länder zu fliegen. Abertausende Geflüchtete, die meisten aus Eritrea, wurden damals in Tel Aviv mit falschen Versprechen in Flugzeuge nach Afrika gesetzt. Umgekehrt landeten zahlreiche ruandische und ugandische Militär- und Geheimdienstmitarbeiter in Israel, um dort an Trainings für Überwachungstechnologien teilzunehmen. Diese Abschiebungen wurden 2018 nach heftiger Kritik eingestellt.
USA und Deutschland weisen Pläne zurück
Die Beziehungen zwischen Israel und der Demokratischen Republik Kongo haben sich jüngst positiv entwickelt. Der israelische Oligarch Dan Gertler gilt als einer der einflussreichsten, ausländischen Geschäftsmänner im Kongo. In Kongos Hauptstadt Kinshasa lebt die größte jüdische Gemeinde Afrikas mit einem israelischen Rabbi. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu traf im September vergangenen Jahres Kongos Präsident Félix Tshisekedi in New York am Rande des Treffens der UN-Generalversammlung. Die beiden vereinbarten die Intensivierungen der Beziehungen, vor allem in den Bereichen militärische Sicherheit.
Forderungen wie die von Smotrich und Ben Gvir sind keine offizielle Regierungsposition. Doch sie kommen von Personen auf wichtigen Ministerämtern, und selbst Netanjahu sagte am Montag bei einer Fraktionssitzung seiner Likud-Partei, dass er daran arbeite, die „freiwillige Migration“ von Menschen aus Gaza in andere Länder zu bewerkstelligen.
Der Sprecher der israelischen Friedensorganisation Peace Now, Mauricio Lapchik, sagte der taz, dass Äußerungen wie die von Smotrich und Ben Gvir „absolut ernst zu nehmen“ seien. Die USA und einige europäische Länder wiesen die Äußerungen harsch zurück. Washington bezeichnete die Rhetorik der zwei rechtsextremen Minister als „aufrührerisch und unverantwortlich“. Die israelische Regierung, einschließlich des Ministerpräsidenten, habe das Weiße Haus wiederholt und konsequent darauf hingewiesen, dass derartige Äußerungen nicht die Politik der israelischen Regierung widerspiegeln: „Sie sollten sofort aufhören.“ Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin zog am Mittwoch mit Kritik nach: „Wir weisen die Äußerungen der beiden Minister auf das Schärfste zurück. Sie sind weder sinnvoll noch hilfreich.“
Äußerungen dieser Art sind allerdings nicht neu. Kurz nach dem Massaker der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober und dem Beginn des Gaza-Krieges machte ein Dokument die Runde, in dem eine der für den Gazastreifen vorgesehenen Lösungen die Umsiedlung der Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf die ägyptische Sinai-Halbinsel vorsah. Die Zivilbevölkerung solle in Zeltstädte im nördlichen Sinai transportiert werden, wo später dauerhafte Städte gebaut werden sollten. Eine Sicherheitszone solle die Palästinenser*innen auf dem Sinai von Israel fernhalten. Das Dokument war vom Geheimdienstministerium zusammengestellt worden. Regierungsvertreter*innen spielten das Dokument herunter. Es handele sich um „erste Überlegungen“ zu diesem Thema, hieß es aus dem Büro des Ministerpräsidenten.
Der Traum eines neuen „Gusch Katif“
Seit Kriegsbeginn hört man jedoch fast täglich derartige Äußerungen von Regierungsmitgliedern – nicht nur von den zwei prominentesten unter den Rechtsextremen, Ben Gvir und Smotrich. Mitte November schockierte Landwirtschaftsminister Avi Dichter die internationale Öffentlichkeit mit den Worten: „Wir führen jetzt die Gaza-Nakba aus.“ Viele koppeln die Überlegungen zu einer Vertreibung oder einem „freiwilligen Transfer“ an eine Besiedlung des Gazastreifens mit jüdischen Israelis. Bildungsminister Joaw Kisch etwa sagte Anfang November: „Wir können die Besiedlung im Gazastreifen auf jeden Fall wiederherstellen, nichts ist heilig.“
Lapchik betont, dass der Traum extrem rechter Regierungsmitglieder und anderer radikalideologischer Siedler*innen, den Gazastreifen seitens Israels zu besiedeln, nicht erst mit dem 7. Oktober revitalisiert wurde. Die Ministerin für Siedlungen und nationale Missionen Orit Strock beispielsweise sagte bereits im März, sie sei davon überzeugt, dass die „Sünde“ des Abzugs aus dem Gazastreifen eines Tages aufgehoben werde und der Gazastreifen über kurz oder lang jüdisch besiedelt werde.
Seit dem 7. Oktober fällt der Ausdruck „Gusch Katif“ immer öfter – dieser Block von ehemaligen israelischen Siedlungen im Süden des Gazastreifens. 2005 wurden sämtliche Siedlungen im Gazastreifen einseitig geräumt. Die Bilder von den Soldat*innen, die ihre Landsleute aus ihren Häusern trugen und in Tränen ausbrachen, von Bulldozern, die Häuser zerstörten, gingen um die Welt. Doch für die radikalideologische Siedlerbewegung blieb es ein Traum, Gusch Katif wiederaufzubauen. Jetzt scheint ihnen die Zeit gekommen.
Allerdings habe sich seit dem 7. Oktober, warnt Lapchik, nicht nur der Diskurs am rechten Rand, sondern auch der allgemeine Diskurs extrem verschärft. Schock und Schmerz über das brutale Massaker und die Geiselnahmen sitzen noch immer tief in der israelischen Gesellschaft – eine der Reaktionen darauf ist der Gebrauch gewaltvoller Sprache. Ein Beispiel: Mitte Oktober sagte der israelische Popsänger Lior Narkis bei einem Konzert vor israelischen Soldat*innen, Israel solle „in Gaza einmarschieren und sie bei lebendigem Leib abschlachten, sie verbrennen, so wie sie ein Kind im Ofen verbrannt haben. Ich bin jetzt bereit, dort hineinzugehen.“
Lapchik warnt vor einer Normalisierung eines solchen Diskurses. Der israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard verfasste Ende Dezember einen Brief an den Generalstaatsanwalt und die Staatsanwälte. Sfard und andere prominente Israelis fordern die Staatsanwälte dazu auf, die Normalisierung einer Sprache zu stoppen, die sowohl gegen israelisches als auch gegen internationales Recht verstößt: „Zum ersten Mal, seit wir uns erinnern können, ist der ausdrückliche Aufruf, grausame Verbrechen gegen Millionen von Zivilisten zu begehen, zu einem legitimen und normalen Teil des israelischen Diskurses geworden.“
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