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Zukunft der Entwicklungspolitik„Deutschland würde enorm an Einfluss verlieren“

Die Union will bei der Entwicklungshilfe sparen und stellt das BMZ infrage. Politiker aus den eigenen Reihen und der SPD warnen vor den Konsequenzen.

Mahnung an die eigene Partei: Ex-Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) warnt vor Schwächung der Entwicklungshilfe Foto: dpa

Frankfurt a.M. epd | Die von Unionsseite in den Koalitionsverhandlungen mit der SPD vorgebrachte Forderung nach Kürzung der Entwicklungshilfe stößt auch in den eigenen Reihen auf Kritik. Frühere Spitzenpolitiker von CDU und CSU erklärten einem Medienbericht zufolge: „Wer bei der Entwicklung spart, schwächt nicht nur unsere internationalen Partnerschaften, sondern auch die Werte und Interessen, für die Deutschland steht.“ Wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland berichtet, wurde ein entsprechender Aufruf zusammen mit mehreren früheren SPD-Spitzenpolitikern und Vertretern der Kirchen unter anderem von Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), vom früheren Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) und dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) unterzeichnet.

Müller sagte der in Ravensburg erscheinenden Schwäbischen Zeitung, er könne angesichts geplanter Rekordausgaben für Rüstung und Infrastruktur nicht verstehen, dass ernsthaft darüber diskutiert werde, „die Mittel für Flüchtlingsnotversorgung, globalen Klimaschutz und Rohstoffpartnerschaften zu reduzieren“. Um die staatlichen Einnahmen zu erhöhen, sprach er sich für eine Finanztransaktionssteuer auf Spekulationsgeschäfte aus. „Mit diesem Geld könnten wir das Klima retten und eine Welt ohne Hunger schaffen“, erläuterte Müller, der seit 2021 Generaldirektor der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (Unido) ist.

Achim Steiner, Leiter des UN-Entwicklungsprogramms UNDP, sagte am Donnerstag im Deutschlandfunk, auch die neue Bundesregierung sollte aus seiner Sicht Entwicklungshilfe nicht nur unter einer Perspektive der Solidarität betrachten. „Sondern es ist wirklich auch eine Investition in unsere gemeinsame Sicherheit, in unsere gemeinsame Zukunft“, unterstrich er.

In dem Appell von Vertretern von CDU/CSU, SPD und Kirchen heißt es laut RedaktionsNetzwerk Deutschland, Entwicklungszusammenarbeit verhindere Krisen und schütze deutsche Interessen. Investitionen in Entwicklung, Bildung, Gesundheit und gute Regierungsführung seien entscheidend, um langfristige Stabilität zu schaffen. „Es ist um ein Vielfaches teurer, auf Krisen und Konflikte zu reagieren, als ihnen vorzubeugen“, wird gemahnt. „Deshalb braucht es nicht nur eine gut ausgestattete Bundeswehr, sondern auch eine starke Außen- und Entwicklungspolitik“, argumentieren die Unterzeichner.

Dissens bei Ausgaben für Entwicklung

Der Appell trage auch die Unterschriften des früheren Außenministers Sigmar Gabriel (SPD), des ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (SPD) und der früheren Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Unterschrieben hätten zudem die Präsidentin des Zentralrats der Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich. Medienbericht zufolge hat die zuständige Arbeitsgruppe bei den Verhandlungen über eine schwarz-rote Bundesregierung einen Dissens festgehalten. Die Union wolle die deutsche Entwicklungshilfe senken.

Die SPD wolle hingegen mindestens 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungsleistungen aufwenden. 1972 hatten die Vereinten Nationen vereinbart, dass die Richtlinie für die Industriestaaten eine solche sogenannte ODA-Quote von 0,7 Prozent sein soll. Für das Jahr 2023 meldete das Bundesentwicklungsministerium für Deutschland eine ODA-Quote von 0,82 Prozent. Auch sollen die Vertreter von CDU/CSU in den laufenden Gesprächen vorgeschlagen haben, das Entwicklungsministerium im Auswärtigen Amt aufgehen zu lassen.

Der ehemalige Minister Müller sagte der Schwäbischen Zeitung, sollte das Ministerium seine Selbstständigkeit verlieren oder ganz aufgegeben werden, würde Deutschland „enorm an Einfluss verlieren“. Müller war von 2013 bis 2021 Entwicklungsminister.

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23 Kommentare

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  • Deutschland würde enorm an Einfluss verlieren.....und ist das schlimm? Aus welchem Grund soll denn Deutschland immer ständig irgendwelchen Einfluss haben? Am deutschen Wesen soll die Welt genesen; ich hoffte, dass sich das erledigt hatte. Anscheinend ja nicht. Bin vorgestern aus Südfrankreich gekommen: pünktliche Züge, die Mülleimer auf der Straße quollen nicht über, ein Mittagessen 18 Euro. Sollte das infolge teutonischen Einflusses abgeändert werden? Mir fällt zur Zeit nur wenig ein, auf was sich denn deutscher Einfluss auswirken sollte, vielleicht Infrastruktur (hier insbesondere Brückenkonstruktionen), Bildung (wie war das nochmal mit der Lese- und Mathekompetenz etc.), Integration....oder WO?

  • Einfluß durch Entwicklungshilfe? Den sehe ich nicht. Die gesponsorten Länder nehmen doch nicht einmal ihre hier lange ausreisepflichtigen Bürger zurück.



    Und China -das Entwicklungshilfe erhält- ist eine Industrienation, die Deutschland inzwischen abhängte.

  • Manchmal kann man glauben die Politiker verlieren jeglichen Sinn für Realität. Wie kann man auf die Idee kommen ausgerechnet bei der Entwicklungshilfe zu sparen?



    Erstens sehe ich sie als Gegenleistung für die Rohstoffausbeutung.



    Zweitens verlieren wir alle Möglichkeiten zukünftige Märke zu erschliessen.



    Aber gut überlassen wir China das Feld. Die können dann fleissig in die Infrastruktur der Entwicklungsländer investieren und das Bildungssystem fördern.



    Dann wird sich in Zukunft zeigen wer dort guten Absatz an Produkten generiert und Rohstoffe einkaufen darf.



    Ganz davon abgesehen das man die Rohstoffe vor Ort weiterverarbeiten könnte wenn man den Energiesektor und die Bildung vorantreibt.



    Gans nebenbei würden auch die Flüchtlingsströme aus diesen Ländern abnehmen.

  • Die USA ziehen sich gerade aus der Welt zurück, zieht sich Europa auch zurück (während es sich medial darüber echauffiert, wie die USA die Welt nur so im Stich lassen können) ist China der einzige Player in der Entwicklungshilfe.... hinterhe rist das Gejammer wieder groß, über die bösen Chinesen....

    • @nutzer:

      Genau!



      Die " bösen Chinesen" haben mit den meisten Ländern z.B. bei der neuen Seidenstraße nämlich kreditfinanzierte Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt.



      Die so " beglückten" Länder bezahlen die Infrastruktur. Die "Hilfe" ist eine für die chinesischen Firmen, die die Aufträge abarbeiten.



      Die Länder sind durch die langjährigen Kredite an China gebunden.



      Von "Wertschöpfung für das Entwicklungsland" sind wir weit entfernt.



      Deutschland ist im Bezug auf Wasserstoff, Rohstoffe und Arbeitskräfte auf die Welt angewiesen. Es wäre hier klug, sich "Freunde zu machen ", statt nur den eigenen Bauchnabel zu betrachten.



      Als Richtschnur könnte gelten: einfach das Gegenteil von trumps Politik machen!



      Dann überlebt unsere Demokratie vielleicht noch etwas länger...

  • Richtige Entwicklungshilfe ist einer der Besten Stellschrauben, um die Flüchtlingsströme zu reduzieren. Das Geld dazu könnte durch Kostenersparnisse bei der Bundespolizei an den Grenzen gegenfinanziert werden, zumindest die anstehenden Kostensteigerungen durch erhöhte Abschottung unseres Landes eingespart werden. Aber soweit blicken Menschen der Union erst, wenn sie wie Herr Müller eigene Erfahrungen sammeln durften. Denn vorstellbar ist das für die meisten der Parlamentariere nicht, denn sie leben in einer im Vergleich paradisischen Welt.



    Es wird zeit ein Pflichtvolontariatsjahr für alle Parlamentarier im Bereich der UNO einzuführen.

  • Die Architektur der globalen Märkte, die die Realitäten und die Macht & Herrschaftsdynamiken, samt Kriegen und Genoziden bestimmt ist leider antidemokratisch, da die Schuldenfalle als Erbe des Kolonialismus durch Weltbank und IWF die für Demokratie nötigen sozialen und ökologischen Basis Gemeingüter im Süden schreddert und so autoritären Machthabern die Ausplünderung ihrer Länder normalisiert, Geschäfte,Extrktivismus etc.pp. Entwicklungshilfe wäre nicht so nötig, wenn es eine demokratische globale ökonomische Ordnung gäbe, die die Schulden erstmal gegen Demokratie und sozial ökologische Regeneration tauschen täte: das wäre nachhaltig und gut für alle, es wäre Climate Justice! #debt4climate

    • @R.L.:

      Mal ganz ehrlich: haben Sie den Eindruck, dass noch sehr viele Menschen weltweit eine liberale Demokratie für erstrebenswert halten?

      • @rero:

        Sehr guter Einwurf. Nicht nur in der Welt, selbst in Europa wird dieser Personenkreis immer kleiner. Dieser (großartige) Lebensentwurf wurde leider in den letzten Jahren mit den Füßen getreten. Gott sei Dank habe ich infolge meines Alters noch die letzte "Ausläufer" der liberalen Demokratie erleben dürfen. Für mich als ehem. DDR-Bürger ein umwerfendes Lebensgefühl. Dass dies nicht selbstverständlich ist, wird mir zur Zeit immer bewußter.

  • Da hat die Regierung in spe mehr Geld als sie erträumen konnte zur Verfügung, geschätzt plus eine Billion harte Euro, und fängt da an zu sparn, wo's am meisten weh tut: Hartz4-Sanktionen wieder verfassungswidrig heftig ansetzen, Entwicklungshilfe streichen. Wem ist das wohl eingefallen? Vielleicht dem Millionenvillabewohner Jens Sparn?

    Der Brandbrief von Lammert, Müller & Co. offenbart, dass die im vollen Gange befindliche Regierungsbildung dieses mal nicht von Kompetenzgerangel gekennzeichnet ist, sondern von Inkompetenzgerangel bis zum völligen Kompetenzmangel. Kein gutes Vorzeichen.

    Die Entwicklungshilfe sollte in voller Höhe erhalten bleiben, aber den Schwerpunkt auf Hilfe zur Selbsthilfe in existenziellsten Dingen verlagern, wo immer in diesem Bereich Unterversorgung festgestellt wird, statt dass anderswo Geld in nice-to-have statt must-be Projekte fließt. Die Eigenständigkeit von Nationen muss, eben nicht nur in der Ukraine, fundamental gestärkt werden. Als Gegenpol zur Geopolitik bzw. der Fressen- und Gefressenwerden-Doktrin der russisch indoktrinierten US-Führung!

  • Aus meiner Sicht geht es hier eher um Posten. Entwicklungshilfe braucht nicht zwangsläufig ein eigenes Ministerium, zumal wenn es so blass bleibt wie unter der Ampel und nur mit der Radwegthematik in Peru öffentlich in Erscheinung trat. Da kann es durchaus auch eine sinnvolle Option sein, die Entwicklungshilfe ins Auswärtige Amt zu integrieren. Das kann insgesamt eine win win Konstellation sein.

    • @Der Knuenz:

      Ich bin überrascht, wer alles so die taz liest, bzw. meint, hier seine Meinung kundtun zu müssen.



      Ihre Anmerkung bzgl. der Radwege in Peru sollte einem Faktencheck unterzogen werden:



      zuerst einmal wurde das Vorhaben von einem CSU Minister



      ( nicht von "der Ampel")



      in Auftrag gegeben.



      Die von der "afd" in die Welt gesetzten Zahlen sind schlicht falsch.



      Die Wiederholung der falschen Zahlen durch einige CDU Politiker haben nichts an der Fehlinformation verändert.



      Der Großteil der für Klimaschutz eingesetzten Gelder in diesem Projekt sind übrigens Kredite.



      Vielleicht kommen Sie mal raus aus ihrer rechten Echokammer!?

  • soso, Deutschland würde „enorm an Einfluss verlieren“.. Das bringt natürlich die Frage auf, welchen Einfluss hat Deutschland überhaupt irgendwo in der Welt? Haben wir Einfluss auf China oder Indien, beides Empfänger deutscher Hilfe? Wir können nicht mal Länder wie Senegal, Pakistan oder Ghana dazu bewegen in Deutschland abgelehnte Asylbewerber und ausreisepflichtige Landsleute aufzunehmen, die sagen einfach "nein". Einfluss hier = null. Ich denke, Leute wie der ehemalige Minister Müller sollten erstmal sagen welchen Einfluss wir überhaupt haben, was der Eert ist bevor man davon reden denselben zu verlieren, Und wieviel wir zahlen und ob es dafür einen echten Gegenwert überhaupt gibt.

    • @Gerald Müller:

      Habe ich auch sofort gedacht. Vielleicht sollte sich unsere Einflussnahme auf den Bereich Infrastruktur und Bildung erstrecken. Mir fallen da auf Anhieb besonders nachahmenswerte Beispiele ein.

  • Überall wo sich der Westen, Europa oder Deutschland zurückzieht, übernehmen Russen oder vor allem Chinesen. Die Kurzsichtigkeit und Dummheit solcher "Sparmaßnahmen" entlarven jeden Möchtegernpolitiker. Erstaunlich wie viele davon in der Union zu finden sind. So blöd sind doch nur die AFDler, oder?!

  • Trump dir einen •

    • @Lowandorder:

      Eben. Und als nächstes dann Bildung und Gesundheit. Braucht ja auch keiner, der es nicht selber zahlen kann.

      • @dtx:

        Ruhrgebiet-Spruch - “Erst Löhnen - dann Lernen!“ Volkers 👄

  • Man sollte der Trump-Regierung jetzt aber auch nicht jeden Move nachäffen. Sparen bringt bei Entwicklungshilfe nicht viel, denn man gibt schon jetzt kaum Geld dafür aus. Man sollte die Entwicklungshilfe höchstens zielgerichteter einsetzen, d. h. die Länder unterstützen, in denen sie die meisten positiven Effekte bewirkt.

    • @Aurego:

      Also bei über 30 Milliarden Euro im Jahr würde ich nicht "von kaum Geld ausgeben" reden.

    • @Aurego:

      Auch letzteres nicht. Definieren Sie "positive Effekte". Man sollte die Länder unterstützen, die bzw. deren Bevölkerungen die Hilfe wirklich brauchen und nicht die, bei denen man selbst am meisten davon hat (in welcher Hinsicht auch immer).

      • @dtx:

        Mit Win-Win-Situationen erreicht man langfristig das Meiste und erntet die größte Zustimmung und Akzeptanz.

  • Gerd Müller galt ja immer als der rational nachvollziehbarste der CSU-Minister.

    Ein prosperierendes, nachhaltig wirtschaftendes, konfliktarmes Afrika in den nächsten hundert Jahren und darüber hinaus ist dabei einfach auch Selbstinteresse Europas.