piwik no script img

Wohnungsknappheit in GroßstädtenMehr Neubau wagen

Kommentar von Rainer Balcerowiak

Gerade in Städten mit der größten Wohnungsknappheit sperren sich BürgerInnen vehement gegen Bauprojekte. Dagegen hilft nur forcierter Neubau.

Der Bestand ist knapp, Neubauten sind unbeliebt: Straßensituation in Berlin Foto: dpa

D as neue Jahr birgt viele soziale und politische Unsicherheiten, aber eines ist wohl sicher: Die Wohnungskrise in den urbanen Zentren wird sich weiter verschärfen und eine nachhaltige Lösung ist nicht in Sicht. Dabei sind sich die Parteien und großen Verbände in der Analyse der Lage und in der Einschätzung ihrer Dramatik weitgehend einig. Es mangelt an Wohnungen, und der nach langen Jahren des Stillstands wieder angekurbelte Neubau bleibt schon allein quantitativ weit hinter den Notwendigkeiten zurück.

Doch selbst wenn gebaut wird, dann meistens an den Bedürfnissen der besonders von Wohnungsmangel betroffenen Gruppen vorbei. Bezieher von Transferleistungen, Gering- und zunehmend auch Normalverdiener können sich die im Neubau verlangten Preise schlicht nicht leisten und haben angesichts der anhaltenden Mietenexplosion auch im Bestand wenig Chancen auf angemessenen, bezahlbaren Wohnraum.

Im schlimmsten Fall droht ihnen sogar der Verlust der bisherigen Wohnung als Folge preistreibender Modernisierungen oder der Umwandlung in Wohneigentum und darauf basierenden Eigenbedarfskündigungen. Entsprechend drastisch ist die Zahl der nur noch notdürftig untergebrachten Wohnungslosen gestiegen, darunter zunehmend auch Familien.

Bei den Ansätzen für die Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt ist dann allerdings Schluss mit den Gemeinsamkeiten. Das wirtschaftsliberal bis marktradikale Spektrum, das Teile der CDU/CSU, die FDP und die AfD umfasst, setzt im Sinne der Immobilienlobby auf Deregulierung des Mietrechts, viel privaten Neubau, Eigentumsbildung und eine Wohngelderhöhung für Menschen, die sich am Markt nicht selbst versorgen können.

Es geht keineswegs nur gegen Luxuswohnungen

Den Gegenpol bilden SPD, Grüne und Linke sowie örtliche Initiativen und Verbände, die für verschärfte Mietenregulierung im Bestand sowie für verstärkten sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau eintreten.

Doch längst hat sich in der Auseinandersetzung um die Wohnungspolitik eine weitere Frontlinie verfestigt: Ausgerechnet in jenen Städten, in denen der Wohnraummangel am größten ist, formieren sich bei Neubauprojekten postwendend örtliche Initiativen, die diese verhindern wollen – und damit nicht selten Erfolg haben.

Dabei geht es keineswegs nur gegen hochpreisige Luxuswohnungen. In München stoppte der Bürgerprotest ein kommunales Wohnungsbauprojekt in Pullach, im Norden der bayerischen Landeshauptstadt geht es gegen ein neues Stadtentwicklungsgebiet mit mehreren tausend Wohnungen.

In Frankfurt gingen viele Menschen gegen ein neues Wohngebiet im Nordend auf die Straße und in Hamburg-St. Pauli wurde der Bau einer Wohnanlage mit einem hohen Anteil geförderter Sozialwohnungen durch den Bürgerwiderstand um mehrere Jahre verzögert.

Argumente wie aus dem Satzbaukasten

Die Liste ließe sich beliebig ergänzen, aber besonders zugespitzt ist die Situation in Berlin. Dort ist es in erster Linie die Klientel der Grünen und der Linken, die gegen Neubauten zu Felde zieht, egal ob es sich dabei um Nachverdichtungen oder um neue Stadtquartiere in den Außenbezirken handelt. Die Argumente der Neubaugegner ähneln sich dabei wie aus einem Satzbaukasten: Blickachsen, Kaltluftschneisen, gewachsene Strukturen, Lebensqualität im Wohnumfeld, bedrohte Freiräume et cetera.

Umso beharrlicher setzen sich in Berlin Linke, Grüne und viele stadtpolitische Gruppen für drastische Mietpreisregulierungen („Mietendeckel“), die Rekommunalisierung zuvor privatisierter Bestände und den Ankauf von Spekulationsobjekten ein.

Oder – wie die recht populäre Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ – gar für die Vergesellschaftung großer Wohnungsbaukonzerne, die per Volksentscheid durchgesetzt werden soll.

In Berlin blendet die Stadtgesellschaft die Situation der rund 60.000 Wohnungs­losen aus

Eines ist den recht heterogenen Akteuren dieser selbsternannten und sehr eloquenten „Stadtgesellschaft“ gemein: das beharrliche und sehr beredte Schweigen zum Wohnungsmangel in der wachsenden Stadt, der nur durch forcierten Neubau vor allem im unteren Preissegment strukturell überwunden werden könnte. Die bereits jetzt rund 60.000 mehr oder weniger notdürftig untergebrachten Wohnungslosen werden in den von dieser Seite geführten Debatten schlicht ausgeblendet.

Dem Berliner Senat droht ein böses Erwachen

Ausgerechnet die Berliner FDP schickt sich jetzt an, den Finger in diese klaffende Wunde der links-alternativen „Stadtgesellschaft“ und auch des rot-rot-grünen Senats zu legen. Sie will in Kürze ein Volksbegehren für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes mit bis zu 12.000 Wohnungen starten.

Das hat durchaus symbolträchtigen Charakter, denn 2014 hatte ein maßgeblich von Grünen und Linken getragenes Bündnis per Volksentscheid durchgesetzt, dass jegliche Bebauung auch der Ränder des rund 300 Hektar umfassenden innerstädtischen Filetstücks gesetzlich ausgeschlossen wird.

Doch die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich seitdem dramatisch verschärft, und ein Volksentscheid über die Revision dieses Gesetze hätte ziemlich gute Erfolgsaussichten. Zumal die eigentlich marktradikale FDP schlau genug ist, das Primat von städtischen Gesellschaften und Genossenschaften bei der Bebauung und den mindestens 50-prozentigen Anteil belegungs- und preisgebundener Wohnungen ebenso wenig infrage zu stellen wie den Erhalt des Großteils des Feldes als Freifläche.

Die Sammlung der Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens könnte laut FDP bereits Ende Januar beginnen. Der rot-rot-grüne Senat muss sich wohl schleunigst etwas einfallen lassen, sonst droht ein böses Erwachen. Nötig ist ein klares Bekenntnis zu forciertem Neubau – auch in Tempelhof, am besten in komplett kommunaler Trägerschaft. Und zwar gleichrangig mit den Kampagnen für Mietenregulierung, Rekommunalisierung und Vergesellschaftung. Denn das ist die offene Flanke der FDP und der hinter ihr stehenden Immobilienlobby.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

15 Kommentare

 / 
  • NIMBY! mal wieder

    Not in my Backyard !

    Ich bin für mehr X, aber nicht da wo ich wohne.

    X bitte ersetzen durch Neubauten, Stromtrassen, Windkraftanlagen, Flüchtlingsheime, Psychiatrische Einrichtungen, Kindergärten, ...

  • ich denke auch, dass immer wieder auch Häuser neu gebaut werden müssen.



    Es kommt drauf an, was für welche: die neuen Edelgranitklötze, oder Häuser für mit allen guten Eigenschaften aber erschwinglich für niedrige Einkommen.



    Bisher gibt es einen Bauboom weil sich damit Profite mehren lassen.



    Mal sehen wie viel Leerstand es in der nächsten Wirtschaftskrise gibt.

  • Die einen wollen so schnell wie möglich bezahlbaren Wohnraum die anderen wollen das alles bleibt wie bisher, sie fordern sogar den Rückbau.



    Nach meinen Beobachtungen (Stadt München) ist es die absolute sehr stille Mehrheit in der Bevölkerung, die den Wohnungsbau sofort fordert. Dieser Teil der Bevölkerung kommt meistens aus dem Mittelstand oder aus dem einfachen arbeitenden Bürgertum ohne Aussicht auf eine große Erbschaft oder ähnliches.



    Der andere Teil, die keinen Wohnungsbau wollen, weil alles so bleiben soll wie bisher, kommen in der Regel aus der Obersicht, nach der Statistik wären sie alle reich, dass klassische Establishment. In Bayern nennt der Volksmund diesen Teil der Bevölkerung die Großkopferten, die lautstark sich organisieren und unter nicht unerheblichen finanziellen Aufwand jedwede Baumassnahme bereit sind zu stoppen.



    Und immer gehören zu diesem Teil der Großkopferten, die Grünen. Nicht selten sind die Grünen in der Stadt München an vorderster Front, wenn es darum geht das Wachstum zu begrenzen, immer unter dem Vorwand, den sog. Flächenfrassaus aus umweltschutzgründen zu begrenzen und kein Bauland auszuweisen. So haben die Grünen im Stadtrat München gegen den Ausbau des Wohngebietes gestimmt. Das 600 Hektar große Gebiet östlich von Daglfing/ Englschalking hätte für 30000 Bewohner Platz eingeräumt.



    Die Grünen war der Auffassung 100 Hektar müssen reichen und stimmten im Stadtrat gegen den Ausbau.



    Insoweit stellen die Grünen keinen Gegenpol und stehen nicht selten auf der Seite der Großkopferten.

    Familien mit drei Kindern die in einer Zweizimmerwhn. völlig beengt leben müssen oder Studenten die für eine Schlafmatratze 800,-€/mtl. zahlen, interessiert die Großkopferten nicht, solange sie aus ihrer Villa freie Sicht ins Grün haben und mit ihrem Schäferhund auf großen Parkanlagen spazieren gehen können.

  • Wie wärs mal damit, den Zuzugsdruck auf Städte wie Berlin zu reduzieren...

    • @bk:

      Und wie? Mauer? Stacheldraht? Selbstschussanlagen?

      Ich meine mich zu erinnern, dass Berlin da nicht so gute Erfahrungen gemacht hat.

      • @Kriebs:

        Wieso nicht? Die damaligen Verhältnisse hatten die von Mitte, Prenzlauer Berg usw. ausgehende Sogwirkung weitestgehend gedämpft. Sie sollten Handlungsoptionen nicht so ohne Weiteres ausschließen! Frau Lompscher hört allen Vorschlägen in diese Richtung unvoreingenommen zu, da bin ich mir ganz sicher.

      • @Kriebs:

        Neue Gewerbegebiete nur noch dort, wo die Menschen herkommen!

      • @Kriebs:

        Vor allem hat Berlin immer noch weniger Einwohner als zu Hochzeiten.

  • 8G
    80198 (Profil gelöscht)

    Die Wohnungen müssen kleiner werden. Aus 4 Zimmer Wohnung 2 2 Zimmer Wohnungen. Das ist der Bedarf in der heutigen Zeit

  • "Die offene Flanke" der FDP. Wenn man mal von diesem Links-Kampfsprech absieht, ist die Analyse recht ordentlich. Daß vor allem die Grünen-Klientel aus salonökologischen Nimbys besteht, ist ja schon mal eine Erkenntnis, der sich die taz lange Zeit verschlossen hat. Was allerdings den Wohnungsneubau in Ballungsräumen anbelangt, da wird die kommunale und genossenschaftliche Trägerschaft allein schon aus Finanzierungsgründen nicht ausreichen. Da werden wohl die verhassten Wohnungskonzerne auch mit ins Boot geholt werden müssen.

  • 1. Die bisherigen Rahmenbedingungen und Kapitalisten-schonenden Regularien am Immobilien- und Mietmarkt haben uns in diese Miesere gebracht. Ein weiter-so geht somit keinesfalls, sondern es muss endlich auf die Zuspitzungen am Mietmarkt reagiert werden.

    2. Der Protest von Anwohner gegen Neubauprojekte ist schnell erklärt: Die Mittelschicht protestiert gegen einen an ihre Wohngebiete heranrückenden sozialen Wohnungsbau. Und der andere Teil protestiert mit Recht gegen die vielen Neubauten im Wohnungssektor, die sich der Großteil derjenigen, FÜR DIE neuer Wohnraum geschaffen werden müsste, sowieso nicht leisten kann.

    3. Die Lösung muss in einer Mischung aus LÖHNE HOCH und MIETEN RUNTER gesucht und gefunden werden.

    4. Die Berechnungsformel des in allen Großstädten jeweils geltenden "qualifizierten Mietspiegels" muss SOFORT nach "unten" reformiert werden.

    5. Die staatlich geförderte soziale Ausgrenzung, der Billiglohnsektor, die Blindheit des Staates im AfD & Co.-Spektrum, sowie die staatliche Taubheit auf dem "linken" Ohr müssen endlich überwunden werden. Anderenfalls treibt unsere Regierung die Spaltung der Gesellschaft nur noch weiter voran, und demontiert unsere Regierung das Gefüge unserer Demokratie nur noch weiter.

    Solange unsere Regierenden nicht zuhören und die mittels friedlicher Demonstration vorgetragene Not und Anliegen der Bürger konsequent ignorieren, dürfen sich nicht wundern, wenn diese Demonstranten aus Frustration ihre Gewaltlosigkeit irgendwann ablegen. DENN das Demonstrationsrecht wurde dafür geschaffen, dass sich das Volk gegenüber dem Staat Gehör verschaffen kann. Die Regierenden verhalten sich also selbst verfassungsfeindlich, wenn sie dieses "Gehör" verwehren, und sich, wie z.B. Hr. Altmaier, sogar damit rühmen, dass die Stimme der DemonstrantInnten bei ihm und seinesgleichen ungehört verhallen.

  • München tut ja einiges in Sachen Wohnungsbau, unter anderem mit dem "München Modell". Ich frage mich aber, ob es sinnvoll ist, diese Programme so anzulegen, wie es im wohnungspolitischen Handlungsprogramm "Wohnen in München VI" festgelegt wurde. Dort heißt es, dass 50-60 Prozent der Münchner Haushalte förderfähig sein sollen. Vielleicht sollte man sich noch stärker auf die 10-20 Prozent der Haushalte konzentrieren, die am bedürftigsten sind.

    • @Klaus Lohmüller:

      "München tut ja einiges in Sachen Wohnungsbau,"



      Sorry, München bzw. der Stadtrat mit Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist, wie schon sein Vorgänger OB a.D. Christian Ude (SPD) ein total Ausfall. Nirgendswo in Deutschland, gibt es Oberbürgermeister die einen solchen Totalausfall wie in München an den Tag gelegt haben. Nirgendswo !

      So beträgt der jährliche Bedarf an zusätzlichen Wohnungseinheiten (WE) schon Jahrzehnten ca. 18.000 im mittel. Gebaut werden im mittel jährlich ca. 4.500 WE. Das bedeutet, der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt jährlich um die Wohnungen die im Vorjahr nicht gebaut wurden an. Oder die Mietsteigerungsraten steigen progressiv an, also immer höher und schneller.



      Meine Familie vermietet selbst Whn. in München, zwar höchstens zum Mietspiegel. Die dabei entstehenden Wohnungsbesichtigungswarteschlange sind unglaublich.



      Und das Bauen in München möglich ist, zeigen ja die laufend gebauten Gewerbeimmobilien die im übrigen 65% aller Baumaßnahmen in München ausmachen. Das SPD + Grünen Establshment wollen einfach für ihre Bürger nicht bauen. Für München gilt deswegen, Stadt mit Herz aber kein Wohnraum für seine Bürger.