Wohnungsknappheit in Großstädten: Mehr Neubau wagen
Gerade in Städten mit der größten Wohnungsknappheit sperren sich BürgerInnen vehement gegen Bauprojekte. Dagegen hilft nur forcierter Neubau.
D as neue Jahr birgt viele soziale und politische Unsicherheiten, aber eines ist wohl sicher: Die Wohnungskrise in den urbanen Zentren wird sich weiter verschärfen und eine nachhaltige Lösung ist nicht in Sicht. Dabei sind sich die Parteien und großen Verbände in der Analyse der Lage und in der Einschätzung ihrer Dramatik weitgehend einig. Es mangelt an Wohnungen, und der nach langen Jahren des Stillstands wieder angekurbelte Neubau bleibt schon allein quantitativ weit hinter den Notwendigkeiten zurück.
Doch selbst wenn gebaut wird, dann meistens an den Bedürfnissen der besonders von Wohnungsmangel betroffenen Gruppen vorbei. Bezieher von Transferleistungen, Gering- und zunehmend auch Normalverdiener können sich die im Neubau verlangten Preise schlicht nicht leisten und haben angesichts der anhaltenden Mietenexplosion auch im Bestand wenig Chancen auf angemessenen, bezahlbaren Wohnraum.
Im schlimmsten Fall droht ihnen sogar der Verlust der bisherigen Wohnung als Folge preistreibender Modernisierungen oder der Umwandlung in Wohneigentum und darauf basierenden Eigenbedarfskündigungen. Entsprechend drastisch ist die Zahl der nur noch notdürftig untergebrachten Wohnungslosen gestiegen, darunter zunehmend auch Familien.
Bei den Ansätzen für die Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt ist dann allerdings Schluss mit den Gemeinsamkeiten. Das wirtschaftsliberal bis marktradikale Spektrum, das Teile der CDU/CSU, die FDP und die AfD umfasst, setzt im Sinne der Immobilienlobby auf Deregulierung des Mietrechts, viel privaten Neubau, Eigentumsbildung und eine Wohngelderhöhung für Menschen, die sich am Markt nicht selbst versorgen können.
Es geht keineswegs nur gegen Luxuswohnungen
Den Gegenpol bilden SPD, Grüne und Linke sowie örtliche Initiativen und Verbände, die für verschärfte Mietenregulierung im Bestand sowie für verstärkten sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau eintreten.
Doch längst hat sich in der Auseinandersetzung um die Wohnungspolitik eine weitere Frontlinie verfestigt: Ausgerechnet in jenen Städten, in denen der Wohnraummangel am größten ist, formieren sich bei Neubauprojekten postwendend örtliche Initiativen, die diese verhindern wollen – und damit nicht selten Erfolg haben.
Dabei geht es keineswegs nur gegen hochpreisige Luxuswohnungen. In München stoppte der Bürgerprotest ein kommunales Wohnungsbauprojekt in Pullach, im Norden der bayerischen Landeshauptstadt geht es gegen ein neues Stadtentwicklungsgebiet mit mehreren tausend Wohnungen.
In Frankfurt gingen viele Menschen gegen ein neues Wohngebiet im Nordend auf die Straße und in Hamburg-St. Pauli wurde der Bau einer Wohnanlage mit einem hohen Anteil geförderter Sozialwohnungen durch den Bürgerwiderstand um mehrere Jahre verzögert.
Argumente wie aus dem Satzbaukasten
Die Liste ließe sich beliebig ergänzen, aber besonders zugespitzt ist die Situation in Berlin. Dort ist es in erster Linie die Klientel der Grünen und der Linken, die gegen Neubauten zu Felde zieht, egal ob es sich dabei um Nachverdichtungen oder um neue Stadtquartiere in den Außenbezirken handelt. Die Argumente der Neubaugegner ähneln sich dabei wie aus einem Satzbaukasten: Blickachsen, Kaltluftschneisen, gewachsene Strukturen, Lebensqualität im Wohnumfeld, bedrohte Freiräume et cetera.
Umso beharrlicher setzen sich in Berlin Linke, Grüne und viele stadtpolitische Gruppen für drastische Mietpreisregulierungen („Mietendeckel“), die Rekommunalisierung zuvor privatisierter Bestände und den Ankauf von Spekulationsobjekten ein.
Oder – wie die recht populäre Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ – gar für die Vergesellschaftung großer Wohnungsbaukonzerne, die per Volksentscheid durchgesetzt werden soll.
Eines ist den recht heterogenen Akteuren dieser selbsternannten und sehr eloquenten „Stadtgesellschaft“ gemein: das beharrliche und sehr beredte Schweigen zum Wohnungsmangel in der wachsenden Stadt, der nur durch forcierten Neubau vor allem im unteren Preissegment strukturell überwunden werden könnte. Die bereits jetzt rund 60.000 mehr oder weniger notdürftig untergebrachten Wohnungslosen werden in den von dieser Seite geführten Debatten schlicht ausgeblendet.
Dem Berliner Senat droht ein böses Erwachen
Ausgerechnet die Berliner FDP schickt sich jetzt an, den Finger in diese klaffende Wunde der links-alternativen „Stadtgesellschaft“ und auch des rot-rot-grünen Senats zu legen. Sie will in Kürze ein Volksbegehren für die Randbebauung des Tempelhofer Feldes mit bis zu 12.000 Wohnungen starten.
Das hat durchaus symbolträchtigen Charakter, denn 2014 hatte ein maßgeblich von Grünen und Linken getragenes Bündnis per Volksentscheid durchgesetzt, dass jegliche Bebauung auch der Ränder des rund 300 Hektar umfassenden innerstädtischen Filetstücks gesetzlich ausgeschlossen wird.
Doch die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich seitdem dramatisch verschärft, und ein Volksentscheid über die Revision dieses Gesetze hätte ziemlich gute Erfolgsaussichten. Zumal die eigentlich marktradikale FDP schlau genug ist, das Primat von städtischen Gesellschaften und Genossenschaften bei der Bebauung und den mindestens 50-prozentigen Anteil belegungs- und preisgebundener Wohnungen ebenso wenig infrage zu stellen wie den Erhalt des Großteils des Feldes als Freifläche.
Die Sammlung der Unterschriften für die erste Stufe des Volksbegehrens könnte laut FDP bereits Ende Januar beginnen. Der rot-rot-grüne Senat muss sich wohl schleunigst etwas einfallen lassen, sonst droht ein böses Erwachen. Nötig ist ein klares Bekenntnis zu forciertem Neubau – auch in Tempelhof, am besten in komplett kommunaler Trägerschaft. Und zwar gleichrangig mit den Kampagnen für Mietenregulierung, Rekommunalisierung und Vergesellschaftung. Denn das ist die offene Flanke der FDP und der hinter ihr stehenden Immobilienlobby.
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