Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: Die Provokateurin im Kabinett
100 Tage Katherina Reiche: Die Bundeswirtschaftsministerin Reiche (CDU) polarisiert und setzt auf fossile Energie statt Klimatempo.

Es ist ein Heimspiel: Bei ihrer kleinen Ansprache im Braunkohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Spremberg hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche Anfang August ausnahmsweise keinen Sprechzettel, an dem sie sich festhält. Die Christdemokratin spricht frei von den Ausschreibungen für Gaskraftwerke, die so sein sollen, dass die Kolleg:innen hier etwas davon haben werden: Arbeitsplätze. Noch ist die fossile Welt nicht verloren, ist ihre Botschaft. „Es heißt Transformation, nicht Revolution“, betont sie. Für die Leute im Braunkohlekraftwerk, die sich vor den Auswirkungen der Energiewende fürchten, ist das eine Entwarnung. Für Klimaschützer:innen alarmierend.
Vor 100 Tagen hat Katherina Reiche die Amtsgeschäfte von ihrem Vorgänger übernommen, dem Grünen Robert Habeck. Sie ist Ministerin für Wirtschaft und Energie, die Klimapolitik muss ihr Haus ans Umweltministerium abgeben. Kein anderes Regierungsmitglied polarisiert so sehr wie die Wirtschaftsministerin, kein:e Kabinettskolleg:in meldet sich so oft mit provozierenden Äußerungen zu Wort wie sie. Ob Gedankenspiele zu Atomkraft, zur Verschiebung der Klimaziele oder Äußerungen zur Energiewende der Vorgängerregierung, die sie für „völlig überzogen“ hält – die 51-Jährige lässt keine Gelegenheit aus, die öffentliche Diskussion anzuheizen. Ob ihre Äußerungen dem Koalitionsvertrag widersprechen, ist ihr offenbar egal.
Mit ihrer Forderung zur längeren Lebensarbeitszeit hat sie im Sommerloch ein Thema gesetzt. In kurzer Zeit hat sie es geschafft, sich als politische Reizfigur zu profilieren. „Reiche ist Hardlinerin und die vielleicht gefährlichste Person im Merz-Kabinett, wenn es um das Aufweichen von klima- und sozialpolitischen Positionen geht“, sagt Linkspartei-Chefin Ines Schwerdtner.
Bei der Amtsübergabe vor 100 Tagen im überfüllten Ludwig-Erhard-Saal des Ministeriums lobt Reiche zur allgemeinen Überraschung ihren Vorgänger Habeck überschwänglich als guten Krisenmanager. Aber sie macht unmissverständlich klar, dass sie seinen Kurs nicht fortsetzen wird. Sie kündigt an, die Produktionsbedingungen für Gas verbessern zu wollen. Auch soll die Abscheidung und Speicherung von CO2 künftig eine größere Rolle spielen. Klimaschützer:innen kritisieren die Gaspläne scharf. Sie fürchten, dass so die Weichen für ein Festhalten an fossilen Energien gestellt werden.
Kompletter Gegenteil von Habeck
Reiche ist das komplette Gegenteil von Habeck, politisch und als Person. Sie ist nicht annähernd so eloquent, selten reagiert sie spontan. Als Reporter des Fernsehmagazins „frontal“ sie nach einem Pressestatement am Rande eines Kongresses zu ihrer Gaspolitik befragen wollen, lässt sie sich von ihren Presseleuten abschirmen und zum Auto begleiten. Statt locker ist sie oft steif, steht sehr aufrecht am Redepult, wirkt extrem kontrolliert. Oft klebt sie an ihren Sprechzetteln, spricht überbetont und sperrig. Anders als Habeck will sie nicht Everybodys Darling sein. Das ist keineswegs eine Schwäche. Das ist eine Stärke.
Habecks Ministerbüro befand sich in einem preußischen Bau gegenüber dem Invalidenpark, wo früher regelmäßig Friday-for-Future-Demos stattfanden. Wegen Sanierungsarbeiten ist Reiche in einem anderen Gebäude wenige hundert Meter entfernt untergebracht. Ein bezeichnender Wechsel: Reiches Standort ist in den früheren Räumlichkeiten des Energiekonzerns Vattenfall. Das passt. Die Ministerin war bis zu ihrem Amtsantritt Managerin eines traditionellen Energiekonzerns, der Eon-Tochter Westenergie.
Vattenfall hat gegen den deutschen Atomausstieg geklagt. Auch Reiche hadert mit dem Aus der AKW hierzulande – und macht daraus kein Geheimnis. Direkt zu Beginn ihrer Amtszeit sorgt sie für Irritationen. Beim Antrittsbesuch in Frankreich erweckt sie den Eindruck, Deutschland sei dafür, dass die Forschung an Mini-AKW künftig aus dem EU-Haushalt bezahlt wird. Umgehend fährt ihr der neue Umweltminister Carsten Schneider (SPD) in die Parade und stellt klar, dass das nicht so ist.
U-Boot der Branche?
Weil Reiche aus der Energiewirtschaft ins Amt gekommen ist, steht sie bei vielen unter dem Verdacht, ein U-Boot dieser Branche zu sein. „Sie hat bislang nichts unternommen, um diesen Verdacht zu zerstreuen“, sagt die grüne Fraktionsvizechefin Julia Verlinden. „Katherina Reiche bremst viele aus, die die Energiewende voranbringen wollen, und hofiert die fossile Gaslobby.“ Gerade erst hat die Ministerin die Förderung für private Solardächer infrage gestellt. Wie es mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien weitergeht, ist offen. Reiche hat ein Monitoring zum Stand der Energiewende in Auftrag gegeben, von dessen Ergebnis weitere Schritte abhängen. „Die Ministerin schafft Verunsicherung und hemmt so Investitionen“, sagt Verlinden.
Falsch ist aus Sicht der Grünen auch, dass neue Subventionen für fossilie Energieträger geplant sind, etwa die Finanzierung der Gasreserven. Dass die Gasspeicherumlage ausgerechnet aus dem Topf finanziert wird, der für Klimaschutzmaßnahmen vorgesehen ist, hält Verlinden für absurd. Gleichzeitig wird die Stromsteuer nur für Großverbraucher und nicht für alle gesenkt. Dadurch wird die Gelegenheit versäumt, Wärmepumpen und E-Autos attraktiver zu machen, sagt Verlinden. Verantwortlich dafür ist in ihren Augen aber nicht nur Reiche, sondern auch Finanzminister Lars Klingbeil. „Die SPD macht fleißig mit bei,Gaspolitik statt Klimapolitik'“, sagt sie.
In der SPD gibt es durchaus Leute, die Reiches Treiben mit großem Unbehagen sehen. Noch ist die Kritik verhalten. In der Union dagegen finden Unzufriedene deutliche Worte. Den Sozialflügel der Union, die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), verärgert Reiche mit ihrem Vorstoß für eine längere Lebensarbeitszeit. Eine „Fehlbesetzung“ nennt sie deshalb der Vizechef der CDA, Christian Bäumler.
Die Klimaunion, in der sich Christdemokrat:innen für eine Politik gegen die Erderwärmung engagieren, ist mit Reiches Plänen für den Gaskraftwerkausbau nicht einverstanden. Beide Gruppierungen haben in der Union wenig Einfluss, sie können Reiche nicht gefährlich werden. Gefährlich wird Reiche am ehesten sich selbst – zum Beispiel, wenn sie die Gasspeicher nicht auffüllen lässt, weil das ihrer Meinung nach der Markt regeln muss, und Deutschland bei einem harten Winter im Januar das Gas ausgeht.
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