Wegen Angriffen auf Rechtsextreme: Nächste Anklagewelle gegen Antifa-Szene
Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen sieben Linke. Sie sollen als Teil der Gruppe um die Leipzigerin Lina E. Rechtsextreme angegriffen haben.

Der Prozess soll vor dem Oberlandesgericht Dresden stattfinden. Eine Gerichtssprecherin bestätigte der taz, dass Anklage erhoben wurde. Weiter wollte sie sich nicht äußern, bis nicht alle Beschuldigten die Anklage erhalten hätten. Wann der Prozess beginnt, sei offen, so die Sprecherin. Räumlich aber sei im Hochsicherheitssaal des Gerichts genug Platz für die Zahl an Angeklagten, ihre Verteidiger*innen und mögliche Nebenkläger*innen. Die Bundesanwaltschaft wollte sich am Freitag zu dem Verfahren nicht äußern.
Unter den nun Angeklagten ist nach taz-Informationen der Leipziger Johann G., der frühere Lebenspartner von Lina E., den die Bundesanwaltschaft als Mitanführer der Gruppe sieht. Er war vier Jahre abgetaucht, bevor ihn die Polizei im vergangenen November in einer Regionalbahn in Thüringen fasste. Zuvor soll eine Bekannte von ihm observiert worden sein. Johann G. ist von der Polizei als linksextremer Gefährder eingestuft, für Hinweise auf seinen Verbleib waren bis zu 10.000 Euro Belohnung ausgesetzt.
Nach Aussage eines Kronzeugen, der nach Vergewaltigungsvorwürfen im Herbst 2021 aus der linken Szene verstoßen wurde, sollen Johann G. und Lina E. die Gruppe gemeinsam angeführt haben. Sie hätten zu Trainings und Überfällen eingeladen. Insgesamt soll die Gruppe mindestens sechs Angriffe von 2018 bis 2020 verübt haben. An fast allen davon soll Johann G. beteiligt gewesen sein.
Die anderen nun Angeklagten, alle aus Leipzig oder Berlin, sollen sich an einzelnen Angriffen beteiligt oder die Gruppe unterstützt haben. Die Bundesanwaltschaft bewertet diese als kriminelle Vereinigung. Neben Johann G. sitzen drei weitere Beschuldigte in Haft. Einer der Inhaftierten, ein 48-jähriger Berliner, wird als Kampftrainer der Gruppe beschuldigt. Er war bereits im vergangenen Oktober in Berlin festgenommen worden.
Auch Angriffe in Budapest werden vorgeworfen
Neben Johann G. sollen zwei weitere der Beschuldigten auch an Angriffen auf Rechtsextreme im Februar 2023 in Budapest beteiligt gewesen sein, am Rande des europaweiten Szeneaufmarschs „Tag der Ehre“. Einer der Angeklagten, Tobias E., war bereits vor Ort in Budapest festgenommen und in Ungarn zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden, die später auf anderthalb Jahre verkürzt wurde. Nachdem Tobias E. diese Strafe abgesessen hatte, wurde er nach Deutschland ausgeliefert – wo er wegen der weiteren Vorwürfe der Bundesanwaltschaft erneut festgenommen wurde. Er saß seitdem im Hochsicherheitsgefängnis der JVA Burg, wo ihn die taz zuletzt besuchte und er über Gewalt und Willkür in den ungarischen Gefängnissen berichtete.
Der zweite Beschuldigte, der auch in Budapest dabei gewesen sein soll, war fast zwei Jahre abgetaucht, bevor er sich im Januar mit sechs weiteren Linken der Polizei stellte. Seitdem sitzt er, wie die anderen, in Haft.
Strafanzeige gegen das LKA Sachsen
Mehrere Verteidiger*innen der Beschuldigten kritisierten die Anklage in einer Erklärung deutlich. „Es erscheint bereits jetzt höchst zweifelhaft, ob diese Anklage in einem fairen und rechtsstaatlichen Verfahren verhandelt werden kann“, heißt es dort. Dem Landeskriminalamt Sachsen, das die Ermittlungen führte, werfen die Anwält*innen vor, „nicht neutral“ ermittelt zu haben.
Zudem seien „eine Vielzahl von Ermittlungsergebnissen und persönlichen Informationen“ aus dem Verfahren rechtswidrig an Journalist*innen weitergegeben worden, auch in einem größeren Hintergrundgespräch Anfang Mai. Der Verteidigung sei da noch gar nicht bekannt gewesen, gegen welche Personen mit welchen Vorwürfen der Generalbundesanwalt Anklage erheben würde.
Bereits am 14. Mai 2025 erhoben die Anwält*innen deshalb nach eigener Auskunft Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dresden wegen Geheimnisverrats gegen den Staatsschutz des sächsischen LKA und ihren Leiter Denis Kuhne. Sie regten an, die Diensträume zu durchsuchen und sämtliche Kommunikationsgeräte sicherzustellen. „Das Vorgehen des LKA Sachsen verstößt fundamental gegen die Unschuldsvermutung“, heißt es in einer Erklärung der Verteidiger*innen. „Unsere Mandant:innen waren und sind aufgrund der Informationsweitergabe einer staatlicherseits lancierten öffentlichen Vorverurteilung ausgesetzt. Ein faires Verfahren erscheint deshalb bereits jetzt fraglich.“
Weitere Anklage-Runde steht noch aus
Wegen der Budapest-Angriffe steht eine weitere Anklagerunde der Bundesanwaltschaft noch bevor. Ungarn fordert zwar die Auslieferung der deutschen Beschuldigten. Die Bundesanwaltschaft erklärte aber bereits, dass die Verfahren größtenteils in Deutschland geführt werden sollen – ausgenommen ist bisher nur ein Beschuldigter mit syrischer Staatsbürgerschaft. Eine finale gerichtliche Entscheidung steht noch aus.
Eine Person, die nonbinäre Maja T., wurde dagegen bereits im Juni 2024 ausgeliefert – rechtswidrig wie das Bundesverfassungsgericht später feststellte. Gegen T. läuft derzeit ein Prozess in Budapest, in dem 24 Jahre Haft drohen. Seit Donnerstag ist Maja T. im Hungerstreik. Im Prozesstag am Freitag verlas T. dazu eine Erklärung, in dem die Haftbedingungen kritisiert werden. „Ich wurde im Knast lebendig begraben“, heißt es dort. „Ich ertrage das nicht mehr.“ Ungarn missachte „meine Menschenrechte und meine körperliche Unversehrtheit“.
Maja T. fordert die Rücküberstellung nach Deutschland und einen Prozess dort. Das Auswärtige Amt hatte erklärt, es setze sich für bessere Haftbedingungen ein. Über eine Ausreise nach Deutschland müssten aber ungarische Gerichte entscheiden.
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