Was tun gegen Rechtspopulismus?: Alle Macht den Kommunen
Nach jüngsten Erfolgen der AfD ist das Land in Aufruhr. Rechtspopulismus hat dort den größten Erfolg, wo demokratische Parteien auf dem Rückzug sind.
P opulisten sind Reaktionäre, die sich nach der intakten Welt eines eingebildeten goldenen Zeitalters zurücksehnen – so beschreibt es der in den USA lehrende Ideenhistoriker Mark Lilla. Sie seien keine Revolutionäre, die ihre politischen Wünsche auf die Zukunft ausrichten, sondern Verteidiger eines nostalgisch verklärten Zeitalters, in dem sich Mensch, Welt und Gott in Harmonie befanden. „Früher war alles besser“ ist das Lied der Reaktion. Eine Welt, in der es noch ein nahezu überall geteiltes Rollen-, Geschlechter- und Familienverständnis gab. Eine Welt ohne Gendersterne, Minderheitenrechte und Zuwanderung.
Der Rechtspopulismus ist also die große kulturelle Gegenbewegung zum empfundenen linksliberalen Zeitgeist. Er begann bereits 1989 mit dem Ende des Kommunismus und dem Siegeszug des Kapitalismus und sieht sich als Gegenbewegung zu 1968, einer seitdem „linksgrünversifften Republik“, zu der er auch anständige Konservative zählt.
Der Rechtspopulismus ist der „Schaum auf der Welle“, erklärte der parteilose Landrat von Mittelsachsen, Dirk Neubauer, jüngst in einem Interview mit der taz. Doch wie bricht man die Welle? Die AfD ist ein Symptom für den Zustand unserer Gesellschaft. Nur noch ein Drittel der Bevölkerung traut der Politik in Berlin und in den Landeshauptstädten.
Die AfD ist kein ostdeutsches, sie ist ein gesamtdeutsches Problem. In Regionen mit ähnlichen Sozialstrukturen entfallen die Ost-West-Unterschiede. Dort, wo sich Bürger abgehängt und als Verlierer fühlen, wählen sie eher rechtspopulistisch als in boomenden Regionen und Ballungsgebieten. Die Stärke der AfD in ländlichen, weniger dicht besiedelten Regionen ist Folge der anhaltenden Schwäche der ehemaligen Volksparteien CDU und SPD und (im Osten) der Linkspartei.
Der Osten ist Trendsetter
Umfragen zufolge ist die große Mehrheit der AfD-Wähler von den „anderen Parteien“ enttäuscht. Nur mit konkreter und pragmatischer Politik lassen sich diese Wähler zurückholen. „All politics is local“: Wahlen werden lokal auf den Plätzen, in den Straßen und vor den Haustüren gewonnen – oder verloren.
Hier ist der Osten Trendsetter: Die Kluft zwischen den Parteien und ihren Wählern, zwischen Führung und Basis, ist hier größer und wächst schneller als im Westen. Der Westen wird nachziehen, auch weil die Parteien der Bonner Republik, CDU, SPD, FDP und Grüne, bundesweit zunehmend als „Medienparteien“, wie Marcel Lewandowsky es nennt, wahrgenommen werden.
Die Kommunen Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz haben eins gemeinsam: Sie zeigen den politischen Leerraum, der in vielen, vor allem entlegenen ländlichen Regionen entstanden ist. Ihre Bewohner sehen sich auch innerlich weit von den Großstädten entfernt. Deren Themen wie autofreie Innenstädte, Heizen mit Wärmepumpen und fleischlose Ernährung empfinden hier viele als neue Form der politischen Entmündigung.
Rückkehr der demokratischen Parteien
Ländliche Kommunen brauchen gute Bürgermeister und keine moralische Belehrung. Wo die Menschen das Gefühl haben, beteiligt und gehört zu werden, sind die politischen Verhältnisse stabiler und konstruktiver. CDU, SPD, Grüne und FDP waren in den genannten, von der AfD gewonnen Kommunen zuletzt nicht mehr präsent. Doch fast alle ihrer Wähler in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz können sich vorstellen, in Zukunft wieder CDU oder SPD zu wählen, berichten Beobachter vor Ort.
Drei Ideen also zur Rückkehr demokratischer Parteien und zur Stärkung der Kommunen: mehr Personal- und Bildungspolitik, ein Demokratiedienst und flexible Finanzen. Erstens müssen die demokratischen Parteien kommunalpolitisch aufrüsten. Die besten Köpfe müssen (auch) in den Kreistagen und in den Gemeinderäten und nicht nur im Bundestag und im Europaparlament sitzen. Politische Bildungsarbeit und die Personalpolitik der demokratischen Parteien müssen gestärkt, nicht abgebaut werden.
Wenn sich immer mehr Menschen ohnmächtig gegenüber den Krisen unserer Zeit fühlen und einen „sozialen Klimawandel“ fürchten, braucht es zweitens mehr demokratische Bürger. Selbstwirksamkeit und das Gefühl der eigenen Handlungsautonomie entstehen durch eigenes Engagement.
Engagement muss sich auch finanziell lohnen
Statt die Freiwilligenprogramme zu kürzen, wie es die Ampelregierung in Berlin vorhat, müssen sie massiv ausgebaut werden. Es braucht einen „kommunalen Demokratiedienst“ und keinen „sozialen Pflichtdienst“. Von den heute rund 100.000 Jungen, die einen Freiwilligendienst ausüben, sollte sich ein Drittel in strukturschwachen Regionen engagieren, in Ost wie West.
Warum sollte, wer in diesem Land ein öffentliches Amt übernehmen oder im öffentlichen Dienst tätig werden will, sich für mehrere Monate vor Ort nicht öffentlich und freiwillig vorher engagiert haben? Demokratisches Engagement muss sich auch finanziell lohnen.
Das gilt auch für die Kommunen. Etliche Kommunen sind unterfinanziert und benötigen mehr Eigenmittel und finanziellen Spielraum statt Förderanträge und Bürokratie von oben. Finanziell handlungsfähige Kommunen sind in Krisen systemrelevant. Das gilt auch für die Krise der Demokratie.
Die liberale Demokratie als Lieferservice
Die zunehmende Entfremdung zwischen Politik und Bürgern ist kein Automatismus. Aus „Medienparteien“ müssen wieder Parteien werden, die sich um die Lösung von Problemen kümmern. Aus Protestwählern müssen wieder Bürger werden, die Zukunft nicht erleiden, sondern mitgestalten. Und aus Kommunen wieder die Keimzellen der Demokratie.
Die liberale Demokratie sei immer mehr zu einem „Lieferservice geworden“, kritisierte Winfried Kretschmann und forderte einen „neuen Republikanismus“. Eine starke Demokratie braucht starke Bürger. Von der Alternative – einer schwachen Demokratie und Bürgern, die sich ohnmächtig fühlen – profitieren nur die Feinde der Zukunft.
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