Warten auf die Zahlung vom Amt: Eine Behörde schottet sich ab

In Hamburg warten Geflüchtete monatelang auf Zahlungen, die ihnen zustehen. Sofiya S. und ihre Schwester haben dagegen geklagt.

Vor einem grauen Gebäude steht eine lange Schlange wartender Menschen

Wer bei der Notfallsprechstunde des Amts für Migration dran kommen will, muss früh da sein Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Sofiya S. und ihre Schwester haben zusammen noch 150 Euro Ersparnisse. Damit müssen sie mindestens bis Ende September alles bezahlen, was zum „persönlichen Bedarf“ gehört. Also zum Beispiel Handyguthaben, Gesichtscreme, Hygieneartikel oder auch Essen, falls sie es mal nicht schaffen, zur Essenszeit in der Unterkunft zu sein.

Eigentlich stehen den beiden Schwestern finanzielle Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz zu. Aber bislang konnten sie nicht mal den Antrag darauf stellen, ihr Termin dafür ist erst am 21. September. Dabei ist unstrittig, dass ihnen das Geld – 180 Euro monatlich – zusteht. Die Aufenthaltsgestattung, die sie dazu berechtigt, haben sie bereits seit dem 7. Juli.

„Zwar sind wir es aus Russland gewöhnt, mit wenig Geld auszukommen“, sagt Sofiya S. „Trotzdem ist es hart.“ Während des Deutschkurses etwa müsse sie zum Teil mehrfach zwischen dem Kurs und der Unterkunft hin und her fahren, um zur Essenszeit in der Unterkunft zu sein. Sich beim Imbiss etwas zu holen, sei leider keine Option.

Der Fall von Sofiya S. und ihrer Schwester ist keine Ausnahme. Dass Geflüchtete drei Monate und länger auf ihr Geld warten, ist in Hamburg derzeit die Regel. Bis vor ein paar Monaten war das noch anders: Geflüchtete mussten lediglich ihre Duldung oder eine andere Aufenthaltsgestattung beim Sozialamt des jeweiligen Bezirks vorzeigen und einen unkomplizierten Antrag stellen. Doch zum 1. Januar dieses Jahres wanderte die Zuständigkeit von den Bezirksämtern zum Amt für Migration, das bei der Innenbehörde angesiedelt ist. Seitdem läuft es nicht mehr.

Es fehlt sogar an Klopapier

S. sagt, dass sie und ihre Schwester noch gut dran seien, weil sie Englisch sprechen, gut informiert seien und für niemanden sorgen müssen, außer für sich selbst. „Viele andere in der Unterkunft haben kleine Kinder“, sagt S. Wie die an Milch und Windeln kommen, sei ihr schleierhaft, in der Unterkunft gebe es nicht mal Klopapier. Als sie einen Mitarbeiter danach gefragt habe, sei der ungehalten geworden.

Er habe ihr zwar eine Rolle gegeben, aber gesagt, sie solle ihn nicht noch einmal fragen. Eine andere Mitarbeiterin habe ihr einige Tage später erklärt, dass die Stadt dem Träger kein Geld für Klopapier zur Verfügung stelle. Auch die Mitarbeiterin habe S. eine Rolle Klopapier gegeben, aber gesagt, dass S. mit ihrer Schwester teilen solle und sie nicht jedem eine Rolle geben könne, weil sie so viel nicht habe.

Das Amt für Migration hat eine Notfallsprechstunde für Geflüchtete eingerichtet, die Probleme mit ihrem Leistungsbezug haben: Erst an zwei Tagen pro Woche, mittwochs und freitags, dann nur noch freitagvormittags. Warum nur noch einmal pro Woche? Die Innenbehörde gibt in einer Antwort auf eine parlamentarischen Anfrage der Linksfraktion „organisatorische Gründe“ dafür an.

Es befinde sich mittwochs bereits „sehr viel Publikum des Referates ‚Aufenthalt von Asylbewerbern und Flüchtlingen‘ im Dienstgebäude. „Die Steuerung einer weiteren großen Zahl von Kundinnen und Kunden im Haus ist organisatorisch nicht möglich.“ Mit anderen Worten: Mittwochs sind schon zu viele Ausländer im Haus, das wird uns zu chaotisch.

Sozialgericht eingeschaltet

Auch Sofiya S. und ihre Schwester waren an einem Freitag dort, sogar zwei Mal. „Beim ersten Mal kamen wir um acht, da warteten schon 300 Personen“, sagt S. Sie kamen natürlich nicht dran. Beim zweiten Mal kamen sie früher, sechs Uhr morgens. Da schafften sie es unter die ersten 150 Wartenden und kamen nach sechs Stunden Wartezeit tatsächlich dran.

Doch die Sachbearbeiterin konnte ihnen nicht helfen. S. und ihre Schwester hätten ja den Antrag auf Leistungen noch gar nicht gestellt, dementsprechend seien sie auch nicht im Leistungssystem erfasst. „Ich habe der Frau gesagt, dass das ja genau das Problem ist, wegen dem wir da sind“, sagt Sofiya S. Die Sachbearbeiterin habe das auch verstanden, ihr aber trotzdem nicht helfen können.

S. und ihre Schwester haben daraufhin eine Anwältin eingeschaltet und sich an das Sozialgericht gewandt. „Die Grundleistungen, die das Asylbewerberleistungsgesetz den An­trag­stel­le­r*in­nen zusichert, sind gerade noch geeignet, die Menschenwürde zu sichern“, schreibt die Anwältin dem Gericht.

Eine Wartezeit von fast drei Monaten, um überhaupt den Antrag zu stellen, sei nicht zumutbar. Die Innenbehörde erwidert schroff: „Die Terminvergabe erfolgt in chronologischer Reihenfolge. Da die Antragsteller nicht die einzigen Ausländer sind, die Leistungen begehren, kann es zu Wartezeiten bei der Terminvergabe kommen.“

Linke hält Behördenhandeln für „offenen Verfassungsbruch“

Für die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Carola Ensslen, ist das derzeitige Vorgehen des Amts für Migration „offener Verfassungsbruch“. „Zum Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gehört auch, dass der Staat die notwendigen Vorkehrungen trifft, um den Anspruch auf Leistungen zu verwirklichen“, sagt ­Ensslen.

Die Linksfraktion ruft für diesen Freitag zu einer Kundgebung auf. Ab zehn Uhr wollen sich Betroffene und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vor dem Amt für Migration treffen und protestieren. Das Ziel der Aktion sei, dass direkt vor Ort Eilanträge der Betroffenen an das Sozialgericht gefaxt werden.

Den Weg über das Sozialgericht hat Sofyia S. mittlerweile hinter sich. Am Montag gab das Gericht ihr Recht und verpflichtete die Innenbehörde, S. und ihrer Schwester umgehend das Geld auszuzahlen. Erhalten haben die beiden Schwestern allerdings noch nichts.

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