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Warnung vor „bestimmten Quartieren“Eine alarmistische Debatte in Berlin

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Berlins Polizeipräsidentin rät Juden und Homosexuellen zu Vorsicht in Teilen der Stadt. Das Geraune dient letztlich der Entlastung der Mehrheitsgesellschaft.

Mit Kippa, sagt die Polizeipräsidentin, sollte man sich nicht überall zeigen in der Stadt Foto: Paul Zinken/picture alliance/dpa

B erlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat mit einem Interview in der Berliner Zeitung für eine Welle der Berichterstattung gesorgt, die bis nach New York, London und Jerusalem schwappte. Sie sprach von Bereichen in der Stadt, „da würde ich Menschen, die Kippa tragen oder offen schwul oder lesbisch sind, raten, aufmerksamer zu sein“. Sie fügte hinzu: „Leider gibt es bestimmte Quartiere, in denen mehrheitlich arabischstämmige Menschen wohnen, die auch Sympathien für Terrorgruppen hegen.“ Dort artikuliere sich „offene Judenfeindlichkeit“.

„No-go-Areas“ für Juden und Schwule – mitten in Deutschland!? Der gekünstelte Aufschrei im konservativen und rechten Lager lag auf der Hand, Slowik erntete Lob: „Mutig“ sei sie, so das am häufigsten verwendete Attribut. Der alles kommentierende Jens Spahn (CDU) zog die Verbindung von „Hass und Gewalt gegen Juden, Schwule, Lesben und Frauen“ zu „einer arabisch-islamisch geprägten Machokultur“.

Um aus der per se schon rassistischen, weil verallgemeinernden Zuschreibung auch noch eine Kulturdebatte zu machen, ergänzte er: „Ich habe diese blinde linke Toleranz, die jeden diffamiert, der es ausspricht, so satt.“ Müßig zu sagen, dass Kritik an Slowik kaum stattgefunden hatte.

Auch wenn es Slowik nicht aussprach, die Assoziation mit Neukölln war naheliegend: Kein anderer Bezirk Berlins wird so sehr mit einer arabischstämmigen Minderheit verknüpft, er fungiert für die Geg­ne­r:in­nen einer multiethnischen Gesellschaft als Chiffre für gescheiterte Integration, der Verachtung „deutscher Werte“ und für Antisemitismus. Die deutsche Rechte versucht damit, Probleme wie Juden- und LGBTQ-Feindlichkeit zu externalisieren.

Nicht Neukölln ist der Hotspot

Dabei zeigt ein Blick auf die Berlin-Karte antisemitischer Vorfälle im Jahr 2023, nicht Neukölln ist der Hotspot, sondern Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. Bei LGBTQ-feindlichen Vorkommnissen sind die Statistiken uneindeutig: das schwule Antigewaltprojekt Maneo verortet die meisten Fälle in Schöneberg und Mitte. Eine herausgehobene Stellung Neuköllns ist nicht zu belegen. Auch in Mitte oder Tiergarten, die Slowik kaum im Sinn gehabt haben dürfte, gilt im Übrigen: Die Möglichkeit, seine Identität in Berlin auszuleben, ist größer, als die Gefahr, dafür angegriffen zu werden – die Debatte über „No-go-Areas“ ist alarmistisch.

Richtig ist, dass die Israelfeindlichkeit bei Menschen mit arabischen, teils palästinensischen Wurzeln mitunter eine besonders emotionale ist und in offenen Antisemitismus übergehen kann. Dass ein Bekenntnis zu Israel in Neukölln auf mehr direkte Ablehnung stößt als in Grunewald, ist der Kern der Slowik’schen Warnung. Gleichzeitig verstärkt sie aber Vorurteile und erleichtert es, den Antisemitismus urdeutscher Prägung weniger in den Blick zu nehmen.

Die im selben Atemzug ausgesprochene Warnung für „Schwule und Lesben“ ist noch fragiler. Davon abgesehen, dass sich ein bedeutender Teil der queeren Szene der Palästinasolidarität angeschlossen hat, ist gerade Neukölln durchaus ein Ort queeren Lebens. Toxische Männlichkeit kann hier zu Intoleranz und Angriffen führen, die Täter sind dann womöglich arabischer Abstammung. Aber toxische Männlichkeit ist auch der Grund für Angriffe auf Schwule und Lesben in Marzahn, dann eben mit deutschen Tätern, meist nicht nur mit Macho-, sondern auch Nazihintergrund.

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Slowiks Geraune ist nicht nur unpräzise, sondern hilft der notwendigen Debatte, wie Antisemitismus und Homophobie bekämpft werden können, kein bisschen. Im Gegenteil: Die Problemübertragung auf eine Gruppe dient vor allem der Entlastung der Mehrheitsgesellschaft.

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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12 Kommentare

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  • Ein erstaunlich unterkomplexer Beitrag zum Thema.

    Zum Thema Antisemitismus: Die großartige Katja Berlin bringt das in ihrer Torte im Buch "Sind Antisemitisten anwesend?" auf den Punkt unter dem Titel "Diversität in Deutschland" und stellt dar: Rechten Antisemitismus, Linken Antisemitismus, Bürgerlichen Antisemitismus und Migrantischen Antisemitismus.

    Ein reflektierter Mensch sollte in der Lage sein, bei einer Problembeschreibung für einen bestimmten Ort nicht sofort mit ja, aber ... abzulenken. In Berlin haben wir in bestimmten Bereichen ein verstärktes Problem mit migrantischem Antisemitismus. In Halle war es ganz klar der rechte Antisemitismus, der vor fünf Jahren zu zwei Toten führte. Und wenn die Tür der Synagoge nicht gehalten hätte, wären es viel mehr Opfer geworden. Also gibt es in Halle und Berlin unterschiedliche Probleme, die zu adressieren sind.

    Und zur Situation der Schwulen verweise ich als Schöneberger auf unseren Bundestagsabgeordneten Kevin Kühnert, der das Problem der homophoben Aggression durch muslimisch gelesene Männer vor kurzem thematisierte. Ich gehe davon aus, dass er weiß, wovon er spricht.

    Manche versuchen das Problem, als Geraune runterzuschreiben.

  • Seid mehr als einem Jahr ist alles anders



    Wir zerfleischen uns gegenseitig



    Das wird nichts mehr



    Der sogenannte aufgeklärte Mensch hat verloren



    Mir scheint der innere Kompass ist verloren

  • Perspektiven wie diese stärken die rechten Populisten, da sie paternalistisch kontinuierlich Opfer-Narrative bedienen und marginalisierte Gruppen ihre (Eigen-)Verantwortung absprechen.



    Es gibt einen sehr starken muslimisch geprägten Antisemitismus und eine enorme Queer-Feindlichkeit, die wirklich adressiert und bearbeitet werden muss. Wir dürfen diese Themen nicht den Rechten überlassen, indem wir sie, obwohl sie so deutlich erkennbar sind, immer wieder auf's neue negieren und abstreiten.

  • Ich verlinke hier einen Essay von Jan Feddersen, der sich ernsthaft mit den Ursachen auseinandersetzt.

    Deutschland braucht eine neue Einwanderungskultur.



    taz.de/Einwanderun...ation/!6020574&s=/

    "Ja, schlimm, heißt es in der linken Szene nach solchen Ereignissen, aber Einzelfälle. Man dürfe weder über Geflüchtete und schon gar nicht über den Islam und den Islamismus reden, das wäre dämonisierend, menschenverachtend und nütze – das ist die argumentative Hauptwaffe in diesem Diskurs – nur den Rechten. "

    "Was den Rechten aber am meisten dient, ist nicht das öffentliche Sprechen über Attacken im Alltag, sondern das begütigende Schweigen darüber. "

    Polizei und Justiz sind der Zunahme an Übergriffen und Straftaten nicht gewachsen, während die Täter sich bestätigt fühlen müssen, durch das Fehlen von Konsequenz. Und da Berlin pleite ist, wird sich daran auch nichts ändern.



    All das zu leugnen, dient keiner Sache.

  • Nun ja, wenn bzgl. des Antisemitismus dieser Bericht gemeint ist www.report-antisem...le-Berlin-2023.pdf, und der Autor Friedrichshain-Kreuzberg erwähnt, zeigt sich das Falltechnisch hinter Mitte 189 und Friedrichshain-Kreuzberg 126, kaum abgeschlagen Neukölln 118 und Charlottenburg-Wilmersdorf 97 folgen.



    Dann folgen Pankow mit 45, Tempelhof-Schöneberg mit 35, Steglitz-Zehlendorf mit 29, Treptow-Köpenick 22, Lichtenberg 21, Marzahn-Hellersdorf 18, Reinickendorf 10 und Spandau 9.

    Und soweit ich das sehe liegt die Technische Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin in Mitte, was so auch Anteil für höhere Fallzahlen haben könnte, im Falle der HU z.b. über die Schmierereien während der Besetzung. Gibt Sicher auch noch andere Faktoren wie z.b. das für Demonstrationen Mitte attraktiv ist, und man so dort auch hinzieht.

    Das der Autor seine Quelle „Berlin-Karte antisemitischer Vorfälle im Jahr 2023“ nicht verlinkt bzw. genauer benennt wirkt auf mich auch eher mäßig.

  • Wenn ich diese Debatte und besonders die Artikel über die Pogrome in Amsterdam so Revue passieren lasse, bekommen wir Ostdeutsche dann zukünftig auch so viel Verständnis eingeräumt? Die Argumentation bei den Hetzjagden von Chemnitz auf Basis eines 10 Sekunden Clips liefen irgendwie ganz anders ab in meiner Erinnerung. Die TAZ schwadroniert doch sonst in aller Regelmäßigkeit von NoGo Areas bei uns. Statistisch zu belegen ist das bei den im Vergleich zu Berlin hier lächerlich niedrigen Kriminalitätsraten ja auch nicht wirklich.

  • Dieses verkitschte Bild von NKL als lustig, buntem, liberalen Multikulti-Kiez ist nun wirklich absurd! Was gibt es denn noch an jüdischer bzw. israel-solidarischer Infrastruktur in Neukölln? Mit fällt da erst mal nur das "Bajzel" ein. Dieses hat nahezu täglich mit Angriffen bis hin zu Brandanschlägen zu kämpfen. Der Rest hat geschlossen. Sich als Jude bzw. Israeli in NKL und X-berg zu zeigen, ist schlicht lebensgefährlich. Schlägt der Autor vor sich zu erkenne zu geben, damit die Statistik wieder stimmt? Gleiches gilt für die LGBTQ-Community. Wie ist es denn die Situation am WE rund ums Schwuz? Anstatt hier die Verrohung zu relativieren, sollte der Autor seinen ideologischen Blick weiten, auf die Täter richten und fragen, wie es sein kann, dass es so viel "progressive" Toleranz für arabische und islamo-faschistischer Homohass und Antisemitismus gibt, der Berlin zu einer unsicheren Stadt macht.

    • @Amra:

      .. Was schade ist, denn der Punkt dass wir Antisemitismus und Homophobie nicht bei einer bestimmt Personengruppe verordnen dürfen und sollten, um die Mehrheitsgesellschaft zu entlasten ist und/oder Vorurteile zu schüren, ist an sich richtig und wichtig.

      Leider geht dieser wichtige Punkt aufgrund der von ihnen zu recht hart kritisiteren restlichen Inhalte des Artikels komplett unter und erscheint so nur als eine bloße Relativierung von seiten des Autors.

    • @Amra:

      In keiner einzigen Zeile hat Erik Peter Verrohung relativiert - im



      Gegenteil.

  • "Berlins Polizeipräsidentin rät Juden und Homosexuellen zu Vorsicht in Teilen der Stadt. Das Geraune dient letztlich der Entlastung der Mehrheitsgesellschaft. "

    Völlig richtig. Ich meine aber auch so manchen Artikel gelesen zu haben, wo solche oder ähnliche Empfehlungen sogar für ganze Bundesländer ausgesprochen werden. Hier wie da sind Pauschalisierungen und Generalverdacht unterkomplex und unreflektiert.

  • Eines darf man nicht vergessen und die Erfahrung habe ich persönlich in Berlin-Neukölln gemacht. Rechtsradikale bestimmen, wer schwul ist und wer nicht. Und die Feuerwehrleute schauen dabei biertrinkend aus 20m in aller Ruhe zu.

  • Die Problemübertragung auf eine Gruppe dient vor allem der Entlastung der Mehrheitsgesellschaft. Leider wohl sehr wahr.

    Wenn Sie das irgendwo hören oder lesen, dass ja "nur die ..." "das" wären, dann fragen Sie immer nach.



    In Deutschland ist die Polizei seit 1945 vor den Synagogen.