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Warnstreik am MontagFast alle Räder stehen still

Mit einem Mobilitätsstreik in nie da gewesenem Ausmaß machen Verdi und EVG mächtig Druck für ihre jeweiligen Tarifkonflikte. Ist das nur der Auftakt?

Der ICE bleibt stehen: Die Deutsche Bahn stellt am Montag ihren gesamten Fernverkehr ein und ist damit nicht alleine Foto: Sebastian Gollnow/dpa

Berlin taz | So etwas hat die Bundesrepublik noch nie gesehen: Am Montag steht der öffentliche Verkehr weitgehend still. Mit einer gemeinsamen Aktion sorgen die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) für eine bislang einzigartige Einschränkung der Mobilität.

Die Deutsche Bahn stellt ihren gesamten Fernverkehr ein. S-Bahnen fallen ebenso aus. In etlichen Städten fahren keine Busse, Straßen- und U-Bahnen. Selbst die Wuppertaler Schwebebahn schwebt nicht. Der Schiffsverkehr ist stark eingeschränkt. Geflogen wird auch nicht mehr viel, da nur der Flughafen Berlin-Brandenburg nicht bestreikt wird. Und wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte Autobahnen mit Tunneln meiden: Sie könnten geschlossen sein.

Dem glücklichen Umstand eines gemeinsamen Zeitfensters ihrer jeweiligen Tarifaus­einandersetzungen geschuldet, demonstrieren Verdi und EVG mit ihrem eintägigen Warnstreik, welche Macht Gewerkschaften in Deutschland noch haben können. Aber es ist erst mal nicht mehr als ein Muskelspiel. Von einem Aufruf zum unbefristeten Streik sind beide noch recht weit entfernt.

Auch wenn es bei der dritten Verhandlungsrunde für den öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, die von Montag bis Mittwoch in Potsdam stattfindet, nicht zu einer Einigung kommen sollte, würde zunächst einmal ein Schlichtungsverfahren folgen, inklusive einer während dieser Zeit geltenden Friedenspflicht. Bei der Deutschen Bahn steht Ende April erst die zweite Verhandlungsrunde an.

Vorherige kümmerliche Tarifabschlüsse

Das Signal ist gleichwohl stark. Das erscheint angesichts der erheblichen Differenz zwischen dem Anspruch der Beschäftigten und den Angeboten der Arbeitgeber auch notwendig. Eine Gehaltserhöhung in diesem Jahr von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro pro Monat mehr, fordert Verdi. Die EVG will 12 Prozent, mindestens jedoch 650 Euro.

Dem stehen Angebote gegenüber, die sich für dieses Jahr auf eine Einmalzahlung von 1.500 Euro im Mai konzentrieren. Eine Tariferhöhung von 3 Prozent soll dann für den öffentlichen Dienst im Oktober folgen, bei der Deutschen Bahn sogar erst im Dezember. Weitere 2 Prozent sowie eine nochmalige Einmalzahlung von 1.000 Euro soll es schließlich im kommenden Jahr geben.

Die hohen Lohnforderungen von Verdi und EVG erklären sich dabei nicht nur mit den stark gestiegenen Lebenshaltungskosten seit Beginn des Ukraine­kriegs im Februar 2022. Sie resultieren auch aus den äußerst kümmerlichen vorangegangenen Tarifabschlüssen, die den Beschäftigten im öffentlichen Dienst und der Deutschen Bahn schon 2021 trotz einer weitaus niedrigeren Inflationsrate einen Reallohnverlust beschert haben.

Entsprechend groß ist unter ihnen die Erwartungshaltung, dass sich die Gewerkschaften jetzt kämpferischer zeigen. Mit ihren Festgeldforderungen, von denen Nied­rig­ver­die­ne­r:in­nen überproportional profitieren würden, dokumentieren Verdi und EVG, dass sie sich besonders bei denjenigen in der Verantwortung sehen, die die Preisentwicklung in Deutschland mit voller Wucht trifft.

Durchaus noch Eskalationspotenzial

Ob der flächendeckende Mo­bi­litätsausstand an diesem Montag nur ein Vorgeschmack auf einen weitaus härteren Arbeitskampf ist, ist noch nicht absehbar. Bei der Deutschen Post ging Verdi bis an die Schwelle zum unbefristeten Streik, beließ es dabei jedoch: Unmittelbar nach der erfolgreichen Urabstimmung unter den Mitgliedern einigte sich die Gewerkschaft vor zwei Wochen überraschend auf einen Tarifkompromiss, der in seiner Kombination (einer Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro und einer später folgenden Festgelderhöhung um 340 Euro) möglicherweise eine Blaupause für den öffentlichen Dienst sein kann.

Der letzte richtig massive Streik im öffentlichen Dienst liegt jedenfalls schon sehr lange zurück. Und er beschränkte sich auf die alte BRD, da nach der Vereinigung zunächst noch getrennt für West und Ost verhandelt wurde. Gemeinsam mit den Bediensteten des öffentlichen Dienstes legten vom 27. April bis zum 7. Mai 1992 auch die Post- und Bahnangestellten die Arbeit nieder.

Wie heute führte das zu erheblichen Einschränkungen der Mobilität, allerdings wurde der Zugverkehr nicht vollständig lahmgelegt. Dafür versanken besonders die Großstädte in Abfallbergen, da auch die Müllwerker mit im Ausstand waren. Es gibt also durchaus noch Eskalationspotenzial.

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17 Kommentare

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  • Fast alle Räder stehen still. Richtig. Außer den Rädern des Individualverkehrs. Und wer motorisiert und wetterfest unterwegs sein will, der ist froh, dass er das eigene Auto noch nicht abgeschafft hat.

    Ohne Auto geht es nicht. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, hat dieser Streik ihn jetzt geliefert.

    • @Gorres:

      "Ohne Auto geht es nicht. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, hat dieser Streik ihn jetzt geliefert."

      Dann sind alle Deutschen, die kein Auto haben, heute jämmerlich zu Grunde gegangen?

  • ...ordentliche Löhne für ordentliche Arbeit sollten selbstverständlich sein...



    Dieser längst überfällige Streik zeigt uns , was für eine Politik hier in Deutschland die letzten 20 Jahre von Politik ( parteiübergreifend ) und Gewerkschaften gefahren wurde. Arbeitnehmerfreundlich geht ganz anders !!! Darum Streik - bis den Verantwortlichen für dieses Lohndamping die Flatter geht...



    Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Wertschätzung und Respekt gegenüber der Bevölkerung muss wieder hergestellt werden. Der soziale Frieden in unserem Land, wurde durch verfehlte Politik ausser Acht gelassen und ist nun mehr als nur gefährdet.

    • @Alex_der_Wunderer:

      Genau! Volle Zustimmung! Die Löhne sind viel zu niedrig.

      Mindestens 500 Euro mehr monatlich müssen (zum reinen Überleben) schon sein. Realistischer erscheinen mir 650 Euro wie von der EVG gefordert.

      Und Familienversorger müssen steuerlich viel stärker entlastet werden.

      Parole: "Wenn dein starker Arm es will, stehen alle Räder still!

      • @Goldi:

        Aber bitte die Steuererhöhungen dafür nicht vergessen. Das muss ja alles auch bezahlt werden von den Bürgern. Da jeder zehnte im öffentlichen Dienst arbeitet, wären das nur schlappe 50 Euro pro Steuerzahler mehr im Monat.

  • Ich würde es mal so sagen: Alles, was nicht die Inflation ausgleicht ist ein Verlust für die Beschäftigten. Von daher verstehe ich die Beschäftigen vollständig.

    • @Kartöfellchen:

      ....alles unschön und ungut, eine hausgemachte Inflation frist nur nicht in wenigen Wochen den Wohlstand der breiten Bevölkerung an.



      Auch Corona wird gerne für die schon vorher fehlgeleitete Politik ( parteiübergreifend ) vorgeschoben.



      Hier ist schon langr Zeit etwas in Schieflage geraten. Die Reserven der Bevölkerung müssten Anhand unseres Wirtschaftwachstums der vergangenen Jahrzehnte viel mehr hergeben...

  • Viel Erfolg! Also den Flugverkehr können sie flächendeckend gerne länger bestreiken ...

  • Ein Aspekt, der meines Erachtens bei diesem Thema bislang zu wenig Beachtung findet: Ein Streik im Verkehrssektor trifft Menschen, die kein Auto haben, sehr viel härter. Dies ist im Hinblick auf die erwünschte Verkehrswende höchst problematisch. Im Grunde besteht die einzige Lösung des Dilemmas darin, die Eisenbahner wieder zu verbeamten.

    • @IG:

      Hier muss ich zustimmen. Wenn man so etwas wie die Verkehrswende will, muss man Bahn und ÖPNV völlig neu - oder alt - denken: als hoheitliche Aufgabe. So etwas darf nicht bestreikt werden, und das geht nur mit Beamten.

    • @IG:

      ...dafür die Abgeordneten " privatisieren ", oder sind sie es schon alle...



      Na ja, ihre Diäten und Pensionen werden ja noch vom Steuerzahler berappt...

    • @IG:

      Nein. Die einzige Lösung ist ordentliche Bezahlung.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Das sagen die Gewerkschaften natürlich auch, aber "ordentliche Bezahlung" ist relativ. Gewerkschaften werden immer versuchen, mit Streiks noch etwas höhere Löhne zu erzielen, was an sich ja auch ihr gutes Recht ist. Ich bitte daher um Vorschläge, wie Streikfolgen "klimagerecht" auf die Verkehrsmittel verteilt werden können. Aktuell ist verdi da leider ein ganz schlechtes Vorbild: Ausgerechnet die ursprünglich angekündigten Tunnelschließungen auf Autobahnen (eine noch vergleichsweise geringfügige Einschränkung im Vergleich zur Komplettstillegung von Eisenbahn und ÖPNV) wurden nun wieder fallengelassen.

        • @IG:

          Die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes kämpfen darum, durch die Inflation nicht zu viel Lohn einzubüßen. Das ist sehr wichtig. Auch für die Verkehrswende. Die Bahn und der ÖPNV brauchen langfristig mehr Mitarbeiter. Das geht aber nur, wenn die Bezahlung stimmt. Dagegen spielt ein Tag mehr Verkehr auf der Straße keine Rolle.

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Mir zeigt das Ganze, dass die Verkehrsmittel uns mehr in die Abhängigkeit von anderen bringt: Abhängig davon, dass die Strecken, die man fahren will, genügend nachgefragt werden, um eine ÖPNV-Linie zu rechtfertigen, und abhängig von den Mitarbeitenden im ÖPNV selbst.

            Das Auto ist dagegen, solange es funktioniert und Sprit im Tank/die Batterie geladen ist, von anderen Menschen deutlich unabhängiger. Und diese Unabhängigkeit möchte ich eigentlich nicht gerne aufgeben.

            • @Gorres:

              Die Menschheit wäre schon froh, wenn sie das Auto nur nutzten, wenn keine Alternative existiert.

              Ich wohne auf dem Dorf und komme auch nicht ganz ohne Auto aus. Aber wenn es möglich ist, nutze ich lieber Bahn und Bus. Ach ja. Für kurze Strecken haben ich Füße...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        👍👍 Genau !