Vorwürfe wegen Atomausstieg: Tricks von Habeck und Lemke?
Haben die grünen Minister beim Atomausstieg manipuliert? Die Union denkt laut über einen Untersuchungsausschuss nach.
Die Reihen der Koalition standen – ausnahmsweise. Es sei „völlig logisch“, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) entschieden habe, sagte der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Olaf in der Beek, nach einer der Ausschuss-Sondersitzungen, die am Freitag eilig im Bundestag einberufen worden waren. Die Opposition war da weniger handzahm: Es habe „Verdrehung von Fakten statt ergebnisoffener Prüfung“ in Habecks und im ebenfalls zuständigen und ebenfalls grün geführten Umweltministerium gegeben, zeterten Unions-Politiker. Sie drohten sogar mit einem Untersuchungsausschuss.
Haben „Strippenzieher der Grünen 2022 die Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke manipuliert“? Haben Habeck und Parteikollegin Steffi Lemke beim grünen Kernthema Atomausstieg getrickst, um der Parteibasis einen Erfolg vorzulegen – drei stillgelegte Atomkraftwerke? So insinuiert es eine Recherche des Monatsmagazins Cicero. Danach sollen sowohl im Wirtschafts- als auch im Umweltministerium im Frühjahr 2022 Expertenbedenken zum damals noch für den folgenden Jahreswechsel geplanten Atomausstieg unterdrückt worden sein.
Cicero hatte sich Einsicht in interne Unterlagen aus dem Bundeswirtschaftsministerium gerichtlich erstreiten müssen. Aus den Papieren geht angeblich hervor, dass Aussagen von eigenen Fachleuten wie auch von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) in den beiden Bundesministerien zugunsten des bereits geplanten Atomausstiegs umgedeutet worden sein sollen.
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Kern der Geschichte ist die Angst um die Energieversorgung Deutschlands nach Russlands Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Nur wenige Monate später sollten damals die Meiler Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim II vom Netz gehen. Nur kurze Zeit später, am 1. März, erklärten laut Cicero zwei Referenten und ein Referatsleiter aus dem für Reaktorsicherheit zuständigen Umweltministerium, dass ein Weiterbetrieb der drei Reaktoren „mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar“ sei – und dies sogar „über mehrere Jahre“.
Gerrit Niehaus, Abteilungsleiter für nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium, habe sich dann aber darangemacht, „die Kernbotschaft des Vermerks in ihr Gegenteil zu verkehren“. In einer neuen Textversion aus seiner Abteilung habe es geheißen: „Eine Laufzeitverlängerung ist aus Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen.“ Die Originalversion des Vermerks soll Habeck jedoch nie zu Gesicht bekommen haben.
Habeck schätzte das Papier scheinbar als „famos“ ein
Im nächsten Schritt soll sein damals noch im Dienst befindlicher und später geschasster Staatssekretär Patrick Graichen daraus ein fünfseitiges Papier verfasst haben. Tenor: Nach „einer Abwägung von Nutzen und Risiken“ sei eine Laufzeitverlängerung nicht zu empfehlen. Dieses Dokument bewertete zwar selbst Atomkritiker Niehaus als in Teilen „juristisch grob falsch“. Gleichwohl habe Graichen es an Habeck weitergeleitet. Der schätzte das Papier offenbar als „famos“ ein – und arbeitete damit weiter. Cicero kommt zum Ergebnis: „Die Fachleute im Ministerium fanden kaum Gehör. Ihre Einschätzungen wurden ignoriert oder verfälscht.“
Zudem zitiert das Magazin Fachleute aus Habecks Ressort, die Anfang März 2022 schrieben, es sei „unklar, ob für den nächsten Winter ausreichend Erdgas eingespeichert werden kann“, um neben den anderen Gasverbrauchern auch noch „einen tagelangen Betrieb von Gaskraftwerken“ zu ermöglichen. Das ist rückblickend allerdings gelungen, nicht zuletzt durch die extrem schnell gebauten LNG-Terminals an Nord- und Ostsee.
Habeck und Lemke wiesen die Vorwürfe zurück. „Das ist kein Spiel, wir reden über nukleare Sicherheit“, sagte die Umweltministerin. Habeck erklärte: „Die Unterlagen erzählen eine andere Geschichte, als es kolportiert wurde, nämlich dass das Ministerium und meine Person, und zwar schon vor dem russischen Angriffskrieg, aktiv auf die Betreiber der Atomkraftwerke zugegangen ist mit der Frage: Können eure Dinger länger laufen?“ Für ihn habe „die Versorgungssicherheit absolute Priorität“ gehabt, sein Ministerium „ohne Denkverbote“ gearbeitet. Nachdem die AKW-Betreiber gesagt hätten, die Brennstäbe könnten noch etwas länger laufen, sei die Laufzeit bis 15. April 2023 verlängert worden.
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