Vorwürfe gegen Polizei in Brandenburg: Wie starb Vitali N.?

In Königs Wusterhausen kommt ein Mann nach einem Polizeieinsatz ums Leben. taz-Recherchen zeigen: An der Darstellung der Polizei gibt es Zweifel.

Wappen der Polizei in Brandenburg

Ist die Polizei verantwortlich für den Tod von Vitali N.? Foto: Soeren Stache/dpa/picture alliance

BERLIN/KÖNIGS WUSTERHAUSEN taz | Am vergangenen Dienstag, um 21.15 Uhr, geht bei der Polizei im brandenburgischen Königs Wusterhausen ein Notruf ein. In einem Wohngebiet im Ortsteil Niederlehme treffen die Beamten auf einen Mann, der randaliert habe. So stellt es die Polizei später in ihrer Pressemitteilung dar. Gut 20 Stunden später ist Vitali N. tot.

Die Berliner Polizei ermittelt nun, die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Leiche obduzieren lassen. Am Dienstagmittag lag ein erstes Ergebnis vor: Es gebe vorerst keine Hinweise auf Fremdverschulden oder Gewalteinwirkung, sagt eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Man untersuche aber weiter.

Nach taz-Recherchen gibt es allerdings erhebliche Zweifel an der Schilderung der Polizei zum Ablauf der Festnahme. Der taz liegen interne Unterlagen vor, Teile der Patientenakte, ein Durchsuchungsprotokoll der Polizei sowie der Einsatzbericht des Notarztes, der Vitali N. in Königs Wusterhausen erstversorgt hat.

Die Polizeidirektion Süd in Cottbus gibt am Tag nach der Festnahme eine knappe Mitteilung heraus. Darin heißt es, der Festgenommene habe auf Gegenstände und Autos eingeschlagen. Er sei aggressiv und psychisch auffällig gewesen. Die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt. Mit Hilfe von Anwohnern sei er gefesselt worden, dann sei er ohnmächtig geworden, ein Notarzt sei gerufen worden. Dass der Mann zu diesem Zeitpunkt offenbar schon in Lebensgefahr schwebte, steht nicht in der Meldung. Auch den Tod vermeldet die Polizei nicht.

Notarztprotokoll widerspricht Polizei

Um 21.45 Uhr wird der Notarzt in Königs Wusterhausen alarmiert – wegen „Atemstillstand in polizeilicher Fixierung“, steht in seinem Einsatzprotokoll, das der taz vorliegt. Als er eintrifft, wird Vitali N. bereits durch die Polizei reanimiert. „Handschellen liegen noch an“, heißt es in dem Bericht. Das widerspricht der Darstellung der Polizei, die behauptet hatte, die Handschellen des Mannes seien gelöst worden, nachdem er in Ohnmacht gefallen sei. Ohnmächtige zu fixieren, gilt unter Not­ärz­t*in­nen als gefährlich. Die Reanimation wird erschwert, das Erstickungsrisiko steigt.

Der Notarzt notiert außerdem, dass Vitali N. feuchte Erde in Mund und Nase hatte. Über die Erde im Gesicht hatte bereits der Tagesspiegel berichtet. Im Raum stand, ob Vitali N. Erde geschluckt haben und daran erstickt sein könnte. Bei der Obduktion seien im Körper allerdings keine Erdreste gefunden worden, so die Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft gegenüber der taz. An Rücken und Schulter habe der Tote Einblutungen gehabt, diese seien aber nicht tödlich gewesen.

Die Polizeidirektion Süd will sich nicht zu dem Fall äußern. Sie verweist an das Brandenburger Polizeipräsidium. Auch das äußert sich nicht.

Der Notarzt in Königs Wusterhausen reanimiert Vitali N. am Dienstagabend zunächst weiter. Um 22.15 Uhr schlägt sein Herz wieder von allein. Warum er dann aber in ins knapp 30 Kilometer entfernte Klinikum Neukölln gebracht wird, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären.

Labortest zeigt: Der Mann ist nüchtern

In Berlin kommt er auf die Intensivstation, sein Blut wird untersucht. Der Laborbericht zeigt: Der Mann ist nüchtern. Kein Alkohol im Blut, kein Kokain, keine Amphetamine, Opiate oder andere Drogen, auf die die Me­di­zi­ne­r*in­nen testen.

In der Nacht schickt die Brandenburger Polizei ein Amtshilfegesuch an die Berliner Polizei. Die Berliner Beamten sollen Kleidungsstücke mitnehmen und eine Blutprobe „bitte dringend“ auf Alkohol, Betäubungsmittel und Medikamente testen. So ordnet es die Staatsanwaltschaft Cottbus an. Die Berliner Polizisten nehmen aus dem Klinikum Neukölln einen weißen, zerschnittenen Pullover mit, eine Jeans, eine Unterhose und schwarze Schuhe. Das geht aus dem Durchsuchungs-Protokoll der Polizei hervor. Auf taz-Anfrage äußert sich die Berliner Polizei nicht.

Vitali N. stirbt am frühen Mittwochabend, um 17.57 Uhr. Der Totenschein, den der behandelnde Arzt ausstellt, ist deutlich: Vitali N. ist erstickt. „Schwerste anoxische Hirnschädigung“, steht darin. Sauerstoffmangel im Gehirn, „durch gewaltsames zu Boden drücken von Gesicht und Thorax in Bauchlage“.

Der Tod von Vitali N. wird in der kommenden Woche auch den Innenausschuss des Brandenburger Landtags beschäftigen. Dessen Vorsitzende, die Linkspartei-Abgeordnete Marlen Block, sagt gegenüber der taz, sie fände es „mehr als bedenklich“, wenn die Darstellung der Polizei „deutlich von der vom Notarzt vorgefundenen Lage abweicht“. Das Ermittlungsverfahren dazu müsse bei der Berliner Polizei verbleiben.

Aus dem Klinikum Neukölln heißt es, Vitali N. sei allein gestorben. Angehörige konnten nicht ermittelt werden. Vitali N. wurde in Moldawien geboren und war bulgarischer Staatsbürger. Er wurde 45 Jahre alt.

Sie haben weitere Hinweise zu dem Fall? Hier erreichen sie uns.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.