Polizeiforscherin über Gewalt im Einsatz: „Gewalttätig sind immer die anderen“

Die Kulturanthropologin Stephanie Schmidt hat Po­li­zis­t*in­nen bei ihrer Arbeit begleitet. Ein Gespräch über Gewalt und gebügelte Uniformen.

Blick aus dem Einsatzwagen während einer Nachtschicht auf der Reeperbahn

Wir und die: Blick aus dem Einsatzwagen während einer Nachtschicht auf der Reeperbahn Foto: Lars Berg/laif

wochentaz: Frau Schmidt, was für Musik hören Po­li­zis­t*in­nen im Auto auf dem Weg zum Einsatz?

Stephanie Schmidt: Meistens Radio, einen regionalen Musiksender. Es kam aber auch mal vor, dass K.I.Z gehört wurde. Das war aber nicht auf dem Weg zum Einsatz. Da wird das Radio meistens leiser oder ausgeschaltet, damit die Po­li­zis­t*in­nen sich konzen­trieren können.

Sie haben mehrere Monate als Forscherin bei der Polizei in Frankfurt am Main, Berlin und einem anderen Bundesland hospitiert. Wie wurden Sie aufgenommen?

Die meisten Po­li­zis­t*in­nen sind mir relativ offen begegnet. Auch wenn es immer eine gewisse Skepsis gibt. Man weiß aber aus der ethnografischen Forschung, dass junge weibliche Forscherinnen von Po­li­zis­t*in­nen gelegentlich besser toleriert werden.

forscht in Hamburg zu Polizei, Sicherheit und Künstlicher Intelligenz. Sie hat gerade das Buch „Affekt und Polizei“ (Transcript Verlag) veröffentlicht.

Gehen Po­li­zis­t*in­nen anders mit Emotionen um als andere Menschen in ihrem Job?

Das kann man so nicht sagen. Aber es gibt natürlich Spezifika. Po­li­zis­t*in­nen sind berechtigt und verpflichtet, Gewalt auszuüben. Es ist Teil ihrer Arbeit. Damit einher geht ein gesellschaftlicher Anspruch, dass sie Gewalt professionell, also neutral, objektiv und maßvoll ausüben müssen.

Wie schlägt man jemandem neu­tral ins Gesicht?

Das war auch die Ausgangsfrage meiner Forschung: Was heißt es, neutral und objektiv Gewalt auszuüben? Und in welchem Verhältnis steht diese Gewalt-Arbeit zum Affekt? Aus Sicht der Polizei ist es wichtig, dass die Gewaltausübung als polizeiliche Maßnahme erkannt wird und nicht als „Der Polizist ist wütend und schlägt zu“. Ob das immer klappt, steht absolut infrage. Die Polizei versucht, durch Körpertechniken und Sprache, Neu­tra­li­tät in ihren Handlungen herzustellen.

Indem sie den Faustschlag „polizeiliche Maßnahme“ nennt?

Der Begriff „Gewalt“ spielt in polizeilichen Selbstbildern kaum eine Rolle. Die Polizei präsentiert sich selbst über Begriffe wie „Ordnung“ oder „Sicherheit“. Gewalttätig sind immer die anderen, während polizeiliche Gewalt als „Maßnahme“ oder „Zwang“ bezeichnet wird. Das Gleiche gilt für Emotionen. In ihren Einsatzberichten beschreiben die Be­am­t*in­nen ausschließlich ihr Gegenüber in seiner Emotionalität. Zum Beispiel: „Die Person wurde aggressiv und daraufhin wurden Maßnahmen getroffen.“ Die Emotionalität der Po­li­zis­t*in­nen wird invisibilisiert.

Ist das nicht normales Beamtendeutsch?

Zum Teil. Die Polizei ist ja eine bürokratische Organisation. In Polizeiberichten werden oft Passivformulierungen verwendet und Po­li­zis­t*in­nen als Handelnde nur angedeutet. Also nicht: „Der Polizist X hat Y in die Beine getreten“, sondern „Y wurde zu Boden gebracht.“ So stellt man dar: Hier handelt der Staat, nicht Einzelpersonen. Auch die Uniform spielt dafür eine zentrale Rolle.

Inwiefern?

Sie ist extrem wichtig für das Herstellen der „neutralen Unpersönlichkeit“. Die Beamt*innen, die ich begleitet habe, waren viel damit beschäftigt, ob alles richtig geknöpft und gebügelt ist. Teilweise haben sie auch geprüft, ob ich meine Kleidung ordentlich trage. Die korrekt sitzende Uniform dient dem Selbstverständnis, der starke und objektive Staat zu sein. Und: Wenn mich jemand beleidigt, meint er nicht mich persönlich, denn ich trage ja die Uniform.

Warum reagieren Po­li­zis­t*in­nen dann oft so empfindlich auf Beleidigungen?

In meinen Forschungsinterviews haben sich viele Po­li­zis­t*in­nen beim Thema „Respekt und Autorität in der Gesellschaft“ sehr sensibel gezeigt. Sie sehen sich verantwortlich dafür, dass die gesellschaftliche Ordnung aufrecht erhalten wird. Sie sind diejenigen, die dafür sorgen, dass der Alltag von Menschen so weitergehen kann, wie er ist. Wenn das infrage gestellt wird, zeigen sie sich teils sehr sensibel.

Weil es ihre Identität hinterfragt.

Weil es die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit und ihrer Identität als Po­li­zis­t*in negiert oder abwertet. Wenn zum Beispiel „ACAB“, also die Abkürzung für „All Cops are Bastards“, auf einem Pullover oder als Parole an der Wand stand, haben sie das oft kommentiert und auch angezeigt, obwohl sie sich nicht unbedingt persönlich davon angegriffen fühlten.

Ist Po­li­zis­t*in ein Beruf, in dem Persönlichkeit nichts zu suchen hat?

Die Privatheit von Po­li­zis­t*in­nen darf keine Rolle spielen. Sie sind ja der personifizierte Staat. Sie unterliegen dem Legalitätsprinzip, das heißt, sie haben eine Verfolgungspflicht bei Straftaten – egal ob sie im Dienst sind oder nicht. Das bedeutet zugespitzt, dass Po­li­zis­t*in­nen eigentlich nie mehr rein private Subjekte sind.

Aber persönliche Empfindungen und Emotionen sind ja trotzdem da. Was passiert mit denen?

Informell, auf den Dienststellen, sprechen Po­li­zis­t*in­nen sehr viel über Situationen, die belastend oder besonders anstrengend waren. Solche Erzählungen und Deutungen von Geschehnissen, auch von politischen, sind ein fundamentaler Bestandteil polizeilichen Alltags.

Was erzählt man sich da genau?

Das zentrale Narrativ ist: Es kann immer alles passieren, auch wenn meistens nichts passiert. Der Arbeitsalltag ist oft langweilig, selbst in Revieren, die als Kriminalitätsschwerpunkte gelten. Da werden viele Verkehrsunfälle aufgenommen oder Falschparker­tickets verteilt. Und trotzdem müssen sie immer darauf gefasst sein, dass sich das plötzlich ändert.

Wie gehen sie mit einer so spannungsgeladenen Langeweile um?

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Sich darauf einzustellen, dass es jederzeit zur Eskalation kommen kann und man dann vorbereitet sein muss, gibt Struktur. Woher soll man wissen, wann etwas Unvorhergesehenes passiert? Dazu orientieren sich Po­li­zis­t*in­nen an stereotypisierten Figuren, denen sie mehr oder weniger Affektkontrolle und damit ein unterschiedliches Eskalationspotenzial zuschreiben. Zum Beispiel „der Randalierer“, „die linken Chaoten“, „die Araber“. Das führt natürlich dazu, dass sie mit unterschiedlichen Personen unterschiedlich umgehen.

Und langweiliges Umherstreifen im Auto bekommt einen Sinn?

Genau. Auch Amoktaten oder Terroranschläge tauchen häufig in den Erzählungen auf. Das verfestigt die Idee, dass Polizeiarbeit dem Erhalt von Sicherheit und Ordnung dient. Aber davon abgesehen sind sie auch viel am Handy und trinken Energydrinks.

Wann setzen Po­li­zis­t*in­nen Aggressivität strategisch ein?

Ein Beispiel sind „Sprinträumungen“. Die dienen nicht dazu, Festnahmen zu machen, sondern eine Gruppe zu zerstreuen. Die Po­li­zis­t*in­nen laufen schnell los und stoßen einen Schrei aus. Das dient dazu, Aggressivität zu mobilisieren und die Entschlossenheit des Staats darzustellen.

Haben Sie eine Erklärung dafür, wie es zu Gewaltexzessen kommt?

Manchmal entwickeln sich Dynamiken, in denen Po­li­zis­t*in­nen die Anwendung von Gewalt als immer angemessener erscheint. Zum Beispiel beim G20, als Po­li­zis­t*in­nen im Objektschutz vor einem Hotel standen, weit weg von gewalttätigen Konfrontationen. Sie bekamen aber ständig Nachrichten über Funk, Facebook und den Whatsapp-Chat mit Kolleg*innen. Sie bekamen mehr und mehr das Gefühl, dass der Einsatz übermäßiger Gewalt notwendig wird, und waren emotional involviert, obwohl sie eigentlich nicht beteiligt waren.

Wie spricht die Polizei hinterher intern über ihre Gewaltexzesse?

Gewalt muss sich für die Polizei als sinnhaft erweisen. Dabei orientiert sie sich nicht unbedingt an rechtlichen Bestimmungen. Ein übermäßiger Gewalteinsatz kann als maßvoll gelten, obwohl die Gewalt nach rechtlichen Ansprüchen nicht verhältnismäßig ist. Die Erklärungsmuster lauten dann zum Beispiel „Man kann sich das als Staat nicht gefallen lassen“, oder:„Die verstehen es nicht anders.“

Und wenn es deutlich unangemessen war? Zum Beispiel, wie auf einem Video aus Lützerath zu sehen ist, wie eine Polizistin eine Demonstrantin am Zopf wegträgt.

Solche Gewalt wird auch intern kritisiert, aber oft als Ausnahme bezeichnet. In Interviews haben mir Po­li­zis­t*in­nen von Situationen erzählt, wo ihnen selbst oder Kol­le­g*in­nen eine Maßnahme „entglitten“ sei. Dann hieß es: Normalerweise sind ihre Maßnahmen rechtmäßig. Aber in der Situation haben sie sich selbst nicht wiedererkannt, oder ihnen ist die Maßnahme „entglitten“.

Wenn man lernt, anderen routiniert Schmerzen zuzufügen – was macht das mit einem?

Es normalisiert Gewalthandlungen. Gewalt ist für Po­li­zis­t*in­nen Teil ihrer Arbeit.

Sind Sie auch auf Gewaltlust gestoßen?

Das wurde nicht offen kommuniziert. In einem Interview hieß es: „Wenn man Lust hat, sich zu prügeln, weiß man, wo man hingeht und wie man die Leute provoziert, und dann hat man eine nette Schlägerei“. Sagbar war das nur, weil der Interviewpartner die Polizei schon lange verlassen hatte.

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