Vorschlag der EU-Kommission: „Genpflanzen“ ins Essen schmuggeln
Ein Entwurf der EU-Kommission sieht weitgehende Lockerungen für neue Gentechnikmethoden vor. Biobauern und Umweltschützer sind empört.
„Der Entwurf der EU-Kommission ist unterm Strich desaströs für die mehr als 80 Prozent der Verbraucher*innen, die keine Gentechnik auf ihrem Teller wollen. Er ist desaströs für das europäische Vorsorgeprinzip“, kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Das wäre das Aus der gentechnikfreien, konventionellen und ökologischen Landwirtschaft“, warnt die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. „Die abzusehende Patentierungswelle wird den Zugang zu genetischen Ressourcen für die Züchter:innen noch weiter erschweren oder unmöglich machen. Kleinere und mittlere ökologische und konventionelle Züchter:innen stehen damit vor dem Aus.“
Konkret geht es um Pflanzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT) wie der Genschere Crispr/Cas geschaffen wurden. Sie sollen von der Risikobewertung ausgenommen werden, wenn die erzeugten Sorten auch durch herkömmliche Verfahren wie Kreuzung oder Auslese hätten entstehen können. „Solche Pflanzen würden behandelt wie herkömmliche Pflanzen und würden keine Autorisierung, Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung brauchen“, heißt es in dem Entwurf.
Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA habe festgestellt, dass NGT keine neuen Risiken bedeuten. Außerdem gebe es in der EU und weltweit einen „signifikanten Bedarf“ für NGT-Pflanzen etwa zur Anpassung an den Klimawandel. Ob die NGT das besser als herkömmliche Züchtungstechniken können, ist umstritten.
Streit über Pestizideinsatz
Eine Kennzeichnungspflicht für Lebens- und Futtermittel aus NGT-Pflanzen ist in dem Entwurf, der nach seiner offiziellen Vorstellung noch durch das Europaparlament und den Rat der EU-Mitgliedstaaten muss, nicht vorgesehen. Immerhin müsste Saatgut oder vermehrungsfähiges Material eindeutig deklariert werden. Im Biolandbau sollen NGT-Pflanzen weiter nicht erlaubt sein.
„Die Kommission und die Agrarindustrie argumentieren, dass der Einsatz von NGTs zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft beitragen kann“, sagt der grüne Europaabgeordnete Martin Häusling, der selber einen Biolandhof betreibt. „Doch die Risiken für Biodiversität, Gesundheit, Züchtung und das Ernährungssystem sind hoch.“
Der Entwurf kommt inmitten einer ohnehin schon aufgeheizten Debatte über den Naturschutz und die Gentechnik. Am vergangenen Donnerstag konnte sich der Umweltausschuss des EU-Parlaments nicht auf eine gemeinsame Position zum geplanten Renaturierungsgesetz einigen – Konservative und Rechtspopulisten lehnen den Entwurf ab.
Streit gibt es auch über den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft. Brüssel plant eine Reduzierung, doch auch hier gibt es Widerstand. „Konservative Politiker-*innen torpedieren die Pestizidreduktion und fordern gleichzeitig die Deregulierung des Gentechnikrechts“, kritisiert der BUND. Es drohe ein „politischer Kuhhandel“.
SPD gegen Pläne zur Lockerung
Wie das Tauziehen ausgeht, hängt auch von der Bundesregierung ab. Denn neben dem Europaparlament haben auch die 27 EU-Staaten noch ein Wörtchen mitzureden. Wie sich die Bundesregierung positioniert, ist noch offen. Aus dem grün geführten Agrarministerium hieß es, gentechnisch veränderte Pflanzen sollten eine Risikoprüfung durchlaufen, gekennzeichnet werden und rückverfolgbar sein.
Dagegen signalisiert das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung. „Wir sollten die enormen Chancen nutzen, die in neuen Züchtungstechnologien stecken“, sagte Ministerin Bettina Stark-Watzinger. Doch der dritte Partner der Berliner Ampelkoalition, die SPD, steht auf der Bremse.
Der Vizechef der SPD-Fraktion im Bundestag, Matthias Miersch, spricht sich klar gegen die Pläne zur Lockerung der Gentechnikregeln aus. Sollte der bekannt gewordene Vorschlag Realität werden, wäre dies das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft, sagte er.
In einer repräsentativen Umfrage, die der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik in Auftrag gegeben hat, sprachen sich im Januar 58 Prozent der befragten Deutschen gegen eine Absenkung der Gentechnik-Standards aus. 25,2 Prozent antworteten mit „Ja“, 16,8 Prozent waren unentschieden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen